Seit zehn
Jahren fordert Armin P. Barth die Leser dieser Zeitung mit der Kolumne «Café
Mathe» heraus. Nun ist damit Schluss. Vergangene Woche ist die Kolumne zum
letzten Mal erschienen. Zum letzten Mal war die Überschrift «Ein Stück
Mathematik, zu einer Tasse Kaffee zu geniessen» über einem von Barths
Zahlenrätsel zu lesen. Um unsern Kolumnisten zu verabschieden, treffen wir ihn
auf eine Tasse Kaffee.
"Mathe-Unterricht könnte viel besser sein, Basellandschaftliche Zeitung, 25.9. von Raffael Schuppisser
Herr Barth, haben Sie eine Lieblingszahl?
Armin P.
Barth: Nein. Früher wurden Zahlen oft mit Bedeutung aufgeladen. Für mich ist
eine Zahl einfach ein Symbol, um zu zählen und zu ordnen. Keine Zahl ist besser
als die andere.
Galileo Galilei hat gesagt: «Das Buch der Natur ist in der
Sprache der Mathematik geschrieben.» Sehen Sie als Mathematiker Zahlen, wenn
Sie durch den Wald gehen?
Wenn ich durch den Wald spaziere, ist es meistens zur
Erholung, dann sehe ich keine Zahlen. Galileo Galilei meinte mit dem Zitat,
dass sich naturwissenschaftliche Zusammenhänge – etwa wie Körper zu Boden
fallen – am besten in mathematischen Formeln und Gleichungen darstellen lassen.
Und abseits der Natur?
Unsere Welt ist voller Mathematik, wir begegnen ihr auch
ständig im Alltag. So liegt etwa der Ampelsteuerung im Verkehr ein Algorithmus
zugrunde. Wenn wir im Internet mit der Kreditkarte ein Hotel buchen, so werden
die Daten mithilfe von Mathematik verschlüsselt. Man muss sich nur darauf
achten, dann entdeckt man überall unter der Oberfläche der Dinge Mathematik. Wenn
auf einen Schlag alle mathematischen Formeln gelöscht würden, funktionierte
unsere Welt nicht mehr.
Um die Mathematik im Alltag ging es auch oftmals in
Ihrer Kolumne «Café Mathe», die Sie während zehn Jahren auf dieser Seite für
unsere Leser geschrieben haben. Das darin enthaltene mathematische Rätsel zu
lösen, war meistens herausfordernd. Gilt das auch für das Ausbrüten der
Knacknüsse?
Oh ja. Ich fand es oftmals schwierig, Probleme zu finden, die
einerseits nicht banal sind, die man andererseits aber trotzdem ohne tiefe
Kenntnisse in Mathematik lösen kann. Bei «Café Mathe» spielt der Intellekt
gegen die Frage. Die Frage siegt, wenn sie unbeantwortet bleibt, der Mensch,
wenn er sie durchschaut.
Sie unterrichten an der Kantonsschule Baden
Mathematik. Haben Sie die Rätsel jeweils an Ihren Schülern getestet?
Einige
Jahre lang habe ich die Texte tatsächlich zuerst einer Klasse vorgelegt, um zu
schauen, ob sie verständlich und anregend sind und ob die Fragen den richtigen
Schwierigkeitsgrad haben.
Kann man Mathematik «lernen» wie eine Sprache oder
muss man das einfach können?
Niemand kann Mathematik einfach so. Der Bauplan
des menschlichen Hirns ist etwa 40 000 Jahre alt. Die Mathematik 2000 bis 3000
Jahre. Sie ist also nicht einfach im Hirn angelegt. Mathematische Fachbegriffe
muss man auswendig lernen wie Wörter einer Fremdsprache. Vor allem aber geht es
darum, Konzepte zu verstehen und zu lernen. Einfach so, etwa weil man einen
überdurchschnittlich hohen IQ hat, beherrscht man die nicht.
Stimmt es, dass
Buben besser sind als Mädchen?
Ganz sicher nicht! Es gibt bis heute keinen
wissenschaftlichen Grund für die Annahme, dass an die
XY-ChromosomenKonstellation der Männer eine Begabung gebunden sei. Das Problem
ist, dass Mädchen oft nicht genügend motiviert und gestärkt werden. Schon im
Kindesalter müsste Unterricht in Mathematik so gut sein, dass alle Kinder,
unabhängig vom Geschlecht, sehen, wie wichtig und spannend diese Fächer sind.
In der letzten Pisa-Studie belegten die Schweizer Schüler in Mathematik den ersten
Rang in Europa. Gleichzeitig hört man Hochschuldozenten klagen, dass die
Studenten im Gymnasium mathematisch zu wenig gut - ausgebildet werden. Wie fit
sind unsere Mittelschüler in Sachen Mathe?
Der Pisa-Test wird mit 15-Jährigen
gemacht. Also kurz bevor die Schüler ins Kurzgymnasium kommen. Um an der
Hochschule zu bestehen, sind aber viel komplexere mathematische Konzepte nötig.
Es stimmt tatsächlich, dass es erschreckend ist, was ETH-Studenten teilweise
für mathematische Defizite haben. Das weiss ich aus eigener Erfahrung, aber
auch aufgrund von Gesprächen mit Kollegen.
Das heisst also, dass am Gymnasium
etwas schieflaufen muss.
Leider denken einige Lehrpersonen noch immer, dass man
etwas nur oft und gut genug erklären muss, und dann sollten es die Jugendlichen
können. Es strömt dann wie durch einen Trichter ins Gehirn der Lernenden. Die
Forschung zeigt deutlich, dass das eine ganz falsche Vorstellung ist. Schüler
müssen sich selber Fragen zu einem Untersuchungsobjekt stellen, sich selber
Erklärungen zurechtlegen, selber Argumente erproben, weshalb etwas richtig oder
falsch ist. Und sie müssen neue Inhalte passgenau an ihr Vorwissen andocken
können. Dann werden sie besser.
Es liegt also am Unterricht?
Im Schnitt könnte
der MathematikUnterricht tatsächlich viel besser sein. Es ist leider wirklich
so, dass viele Schüler darüber klagen, dass Mathematik nicht ihr Fach sei.
Dabei ist jemand nicht grundsätzlich gut oder schlecht in einem Fach. Das sind
meist sehr feste Selbstkonzepte. Die Schüler reden sich das selber ein. Oder
noch schlimmer: Es wird ihnen eingeredet, indem sie etwa von ihren Eltern hören
«In Mathe war ich nie gut».
Wie weckt man die Freude an Mathematik bei Kindern
und Jugendlichen?
An den Anfang soll man immer herausfordernde, aber lösbare Probleme
stellen und nie Theorien, deren Relevanz man allenfalls erst später einsehen
kann. Man muss die Schüler dort abholen, wo sie stehen. Und zwar mit Aufgaben,
die sie interessieren und die etwas mit ihrem Alltag zu tun haben. Wichtig ist
auch, die Motivation zu stärken, denn diese ist anders als die Intelligenz kein
stabiles Persönlichkeitsmerkmal.
Und wie macht man das?
Aus der Forschung
wissen wir, dass drei Aspekte für die Motivation zentral sind:
Kompetenzerleben, soziale Akzeptanz und Autonomie. Um Kompetenzerleben zu
ermöglichen, sollte man immer wieder ermutigen und den Unterricht so gestalten,
dass Erfolgserlebnisse möglich sind. Soziale Akzeptanz verstärkt man, wenn man
die Schüler-Vorschläge aufgreift. Autonomie ist schwieriger zu erreichen. Aber
man kann immer wieder deutlich machen, warum es sich lohnt, gewisse Dinge zu
lernen und welche Probleme man damit bewältigen kann.
Achten Lehrer zu wenig
darauf?
Natürlich gibt es ausgezeichnete Lehrer. Leider aber auch andere. Man
weiss heute sehr genau, was guter Unterricht ist. Man sollte alles daransetzen,
die Erkenntnisse der modernen Lehr- und Lernforschung in die Schulstuben zu
bringen. Ein Lehrer sollte mit den Erkenntnissen dieser Forschung vertraut
sein. Das ist aber häufig nicht der Fall. Sinnvoll wäre deshalb, wenn man
entsprechende Fortbildungen durchführen würde. Selbst wenn die bei Lehrer, die
ja häufig über Überbelastung klagen, nicht sonderlich beliebt sein dürften.
Wie
wichtig sind neue Technologien für guten Unterricht?
Ich nutze noch immer
grösstenteils die Wandtafel, verwende aber auch eine digitale Plattform, auf
die sich die Schüler über Laptop oder Handy einloggen können. Papier oder
Laptop ist aber einerlei: Die Forschung zeigt klar, die Qualität des
Unterrichts hat nichts mit dem Medium zu tun, das benutzt wird. Leider aber ist
es eine fixe Idee vieler Bildungspolitiker, dass jeder Teil des Unterrichts mit
digitalen Medien ausgestaltet werden soll. Für das meiste, was man am Gymnasium
lernt, braucht man aber nicht mehr als Papier und Bleistift.
Sie unterrichten
jetzt seit 32 Jahren. Wie haben sich die Schüler seither verändert?
Die
Jugendlichen haben sich nicht verändert, aber die Begleitumstände. Während ich
als Teenager ein eher ruhiges Leben geführt habe, sind die Agenden der heutigen
Jugendlichen prall gefüllt. Und wegen der sozialen Medien stehen viele von
ihnen wahrscheinlich unter einem grösseren Druck als das bei mir der Fall war.
Und wie haben sich die Lehrer verändert?
Eigentlich so gut wie nicht.
Oft wird
kritisiert, dass Lehrer zu leger gekleidet sind, sogar in Flipflops zum
Unterricht erscheinen.
Ich unterrichte immer im Hemd. Eine förmliche Kleidung
finde ich angebracht. Es ist ja eine Auftrittssituation. Vor 30 Jahren war
diese Haltung noch verbreiterter. In den letzten zehn Jahren hat sich der
Kleiderstil der Kollegen aber nicht mehr gross verändert. Auch lassen sich von
der Kleidung natürlich keine Rückschlüsse auf die Qualität des Unterrichts
ziehen.
Zurück zu Ihrer Kolumne: Was war das erstaunlichste Leserfeedback, das
Sie bekomme haben?
Ein Leser warf mir einmal Gotteslästerung vor, weil ich
offenbar zu sehr an die Aussagekraft der mathematischen Wissenschaft glaube.
Ein anderer bestand darauf, ein mathematisches Problem lösen zu können, von dem
längst bewiesen ist, dass es unlösbar ist. Interessanterweise wollte er die
sachlichen Argumente aber nicht zur Kenntnis nehmen.
Hand aufs Herz, haben Sie
mal einen Fehler gemacht? Eine Aufgabe falsch gestellt oder eine falsche Lösung
ausgearbeitet?
Ja, mindestens zweimal. Einmal wars aber das Versehen der
Redaktion, weil mathematische Sonderzeichen falsch dargestellt wurden. Bei
einer anderen Aufgabe haben mich ein paar Leser darauf aufmerksam gemacht, dass
die Lösung falsch sein musste. Ich hatte mich schlicht verzählt. Das zeigt
wieder einmal, dass Mathematiker oftmals nicht gut im Rechnen sind.
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