14. August 2018

Hausaufgaben gehören zur Schule

Silvia Stettler vom Verein Aaregäuer äussert sich zu den Gefahren des Lehrplan 21 und weshalb Hausaufgaben zur Schule gehören.

Silvia Stettler ist Präsidentin des Vereins Aaregäuer Nachhilfe, Bild: zvg
Für Silvia Stettler ist klar: "Hausaufgaben gehören zur Schule", Oltner Tagblatt, 14.8. von Sarah Kunz


Nun ist es so weit: Ab Montag heute wird der Lehrplan 21 im Kanton Solothurn an der Primarstufe integral eingeführt. Die zweite und die dritte Klasse der Sekundarstufe I folgen aufbauend in den Jahren 2019/2020 und 2020/2021. Die Diskussionen bezüglich Lehrplan 21 laufen schon seit geraumer Zeit. Vor allem die mögliche aber im Kanton noch nicht beschlossene Abschaffung von Hausaufgaben gibt viel zu Reden.

Der Verein Aaregäuer mit Sitz in Wolfwil setzt sich im Rahmen seiner regelmässigen Weiterbildung für Nachhilfelehrpersonen laufend mit solch aktueller Bildungsthemen auseinander. Der Verein bietet Einzelnachhilfe für Schüler und Nachhilfe für KV-Lernende in Firmen an. Mit seinem Angebot will der Verein Schüler aus der Region individuell fördern und unterstützen.

Silvia Stettler, Präsidentin des Vereins, gibt Auskunft über die kontrovers geführte Debatte. Für die Abschaffung spricht beispielsweise, dass lernschwächere Kinder stärker gefördert und betreut werden. Doch was geschieht nach der Primarschule, wenn Schüler plötzlich mit Bergen von Hausaufgaben konfrontiert werden?

Frau Stettler, wie lautet Ihre persönliche Meinung zur Abschaffung von Hausaufgaben?
Silvia Stettler: Ich finde das überhaupt keine gute Idee. Im Ansatz ist die Überlegung gut, die Eltern vermehrt zu entlasten und zugleich den lernschwächeren Kindern und solchen mit weniger Unterstützung von zu Hause aus stärker in der Schule zu fördern. Es braucht aber individuelle Ansätze. In dieser Form, wie sie momentan diskutiert ist, finde ich die Abschaffung nicht sinnvoll.

Welcher Grundgedanke steckt dahinter?
Wir Menschen sind nicht gleich. Wir haben nicht die gleichen Voraussetzungen und somit auch nicht die gleichen Chancen. Nicht alle haben zu Hause ein geeignetes Lernumfeld und bei Bedarf Unterstützung, um Hausaufgaben bewältigen zu können. Der Stoff, den die Kinder in der Schule behandeln, hat sich stark verändert. Dadurch sind viele Eltern überfordert, ihren Kindern die nötige Unterstützung zu bieten. Das stellt wiederum Lehrer vor grössere Herausforderungen. Die Lösung für dieses Dilemma scheint deshalb darin zu bestehen, die Schule für den gesamten Lernprozess verantwortlich zu machen. Somit hätten alle die gleichen Voraussetzungen für den Lernerfolg.

Was erhofft man sich denn davon?
Dass das Lernen vor allem in der Schule stattfindet. Dadurch sollen vor allem die Eltern entlastet werden. Zudem soll dies dazu führen, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben, und dank der einheitlichen Förderung etwa das gleiche Niveau erreichen. Doch für mich stellt sich die Frage, ob diese scheinbar logische Überlegung die Problematik der Chancengleichheit effektiv löst.

Inwiefern?
Es gibt noch viele Baustellen. Man spricht von Chancengleichheit, doch man will mit dieser Massnahme vor allem lernschwächere oder benachteiligte Kinder ansprechen. Für die Lernstärkeren könnte die Abschaffung von Hausaufgaben eine Niveausenkung zur Folge haben, weil diese nicht mehr ihrem Niveau entsprechend gefördert werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass unterschiedliche Umfeld-Voraussetzungen, unterschiedliche Begabungen und unterschiedliche Persönlichkeiten immer dazu führen werden, dass sich das Lernverhalten stark unterscheidet. Gerade deshalb ist es wichtig, die Schüler dort abholen zu können, wo sie gerade stehen. Gut wäre deshalb eine Individualisierung der Hausaufgaben.

Was sind Ihre Befürchtungen?
Ich befürchte, dass es gewisse Schüler sehr schwer haben könnten, wenn sie sich in der Sekundarschule dann plötzlich mit Hausaufgaben konfrontiert sehen. Sie konnten nie lernen, selbstständig den Schulstoff zu erarbeiten und sich auf eine Lernkontrolle vorzubereiten. Wenn lernen nicht mehr gelernt und erfahren wird, werden entlang der Bildungskarriere die Probleme immer grösser. Die Debatte um die Abschaffung von Hausaufgaben wird nicht zu Ende geführt. Man muss auch an später denken.

Bis jetzt haben Hausaufgaben immer zum Schulalltag gehört. Wieso soll jetzt ein Umschwung erfolgen?
Das hängt natürlich mit der Einführung des Lehrplan 21 zusammen. Bisher dienten die Hausaufgaben dazu, dass die Kinder selbstständig ein Thema beziehungsweise den Schulstoff vertiefen, üben, repetieren und sich auf Lernkontrollen vorbereiten.

Wie sieht die Diskussion an den Thaler und Gäuer Schulen aus?
Grundsätzlich geht es ja jetzt um die Umsetzung des Lehrplan 21. Jetzt in der Einführungsphase werden die Diskussionen, so viel ich weiss, natürlich intensiviert. Der Lehrplan hat noch sehr viele Baustellen, die jetzt während der Umsetzung angegangen werden müssen. Da gibt es noch sehr viel zu diskutieren, die Schulen müssen sich jetzt auch erst einmal an den neuen Lehrplan gewöhnen.

Was halten Sie vom Lehrplan 21?
Ich finde ihn grundsätzlich gut und notwendig. Wegen dem hohen Druck auf Kinder und Lehrpersonen braucht es eine Veränderung. Aber spannend ist ja schon, dass überall in den verschiedenen Kantonen die Umsetzung anders angegangen wird, obwohl der neue Lehrplan die Schulen vereinheitlichen soll.

Wie sollen die fehlenden Hausaufgaben kompensiert werden?
Heute ist der Lernprozess örtlich aufgeteilt. Ein Teil des Übens und Vertiefens erfolgt ausserhalb der Schule durch Hausaufgaben. Wenn nun dieser Teil wegfällt, stellt sich die Frage, soll in Zukunft der gesamte Lernprozess im ordentlichen Schulunterricht erfolgen? Dann müsste man zwingend die Lernstoffmenge verringern, was man bisher nicht vorsieht. Oder muss die Schule ein neues Zusatzangebot schaffen, für begleitetes individuelles Üben und Lernen? Unterschiedliche individuelle Lerntempi müssen zwingend möglich sein. Dies bedeutet in der Konsequenz: Will man Hausaufgaben abschaffen, muss ein neues Bildungsgefäss eingeführt werden.

Wie könnte dieses aussehen?
Man könnte das schulische Angebot mit spezifischem Learncoaching in themenbezogenen Niveaugruppen erweitern. In einem neu angedachten Schulmodell könnten solche Ideen in einem Tagesschulangebot am besten integriert werden. Auch personifizierte Hausaufgaben sind erstrebenswert. In unserem Schulsystem kann das aber noch kein Thema sein. In Thaler und Gäuer Schulen sind die Schülerzahlen pro Klasse relativ hoch. Es ist für einen Lehrer unmöglich jedem Einzelnen individuelle Hausaufgaben zu geben, die an das Niveau der Schüler angepasst sind. Das Erhöhen der Lektionenzahl führt dazu, dass Kinder weniger zu Hause arbeiten müssten. Das halte ich für einen sinnvollen Ansatz.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Verein, wenn der Lernprozess der Kinder nur noch in der Schule stattfinden soll?
Wir rechnen dann mit noch mehr Nachfragen, weil gewisse Schüler noch mehr Lücken haben werden, den Anschluss verlieren und innerhalb kurzer Zeit ungenügende Noten haben. Die Eltern reagieren dann, unterstützen selber oder holen sich zusätzlich Hilfe. Sie wollen ja nur das Beste für ihr Kind. Ob die Förderung in der Schule oder zu Hause erfolgt, ist da nicht massgebend.

Und was bedeutet das?
Unsere Aufgabe als Verein wird sogar noch viel umfassender werden, wenn der Lernprozess vornehmlich in der Schule stattfindet. Wir werden mehr gefordert sein, um vor allem Lerntechnik und Lernmethodik zu vermitteln. Unsere Unterstützung besteht ja nicht darin, dass unsere Nachhilfelehrer mit den Schülern und Jugendlichen Hausaufgaben erledigen. Sie unterstützen beim Vertiefen der Fächer, Vorbereitungen auf Lernkontrollen oder LAP-Prüfungen. Momentan haben wir 55 Nachhilfelehrer, das ist ja bereits sehr viel. Aber wir sind ein sehr gutes Team.


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