Denke ich an meine
ersten Schuljahre zurück, kommen mir nicht die Noten für gutes Betragen, der
Subjonctif oder Differenzialrechnungen in den Sinn, sondern meine Lehrer. Sie
beschäftigten mich damals von den Erwachsenen neben den Eltern am meisten. Ich
liebte und hasste sie, fühlte mich erkannt und war enttäuscht. Ich liess nie
einen entkommen. Nicht in meinem Tagebuch.
Die Lehrer meines Lebens, NZZ, 17.8. von Birgit Schmid
Lehrer prägen einen fürs
Leben. Das werden jetzt zum Schulbeginn auch viele Kinder erfahren. Lehrpläne
und Reformen spielen für das Heranreifen keine grosse Rolle. Später werden sich
die Schüler vor allem an die Männer und Frauen erinnern, die dort vorne vor der
Klasse stehen.
Ein guter Lehrer ist parteiisch
Was ist ein guter
Lehrer, eine gute Lehrerin? Ich kann das aus meiner Erinnerung sagen. Zuerst
natürlich jeder, der etwas in mir sah und dies durch sein Interesse förderte.
Den Zettel, den ich in der Primarschule von Herrn B. erhielt und auf dem er in
steiler Schrift eine Arbeit bewertete, bewahrte ich auf wie einen Liebesbrief.
Er ermutigte mich, das weiterzuverfolgen, woran mir lag. Nicht einmal meine
beste Freundin durfte ihn lesen, als ob die Worte ihre prophetische Kraft
verloren hätten, sobald sie nicht mehr geheim waren. Vielleicht war es auch
bloss die Wichtigtuerei einer Elfjährigen, die ahnte, dass der Kampf um den
ersten Platz auch ein Ansporn sein konnte.
Lehrer B. nahm keine
Rücksicht auf allfällige Vorwürfe, dass er seine Schülerinnen und Schüler
ungleich behandle. Obwohl ich bei anderen Lehrern unterlag und selber die
schmerzhafte Erfahrung machte, nicht zu den Bevorzugten zu gehören, würde ich
sagen: Ein guter Lehrer ist parteiisch und verteilt seine Zuneigung nicht
gerecht über die Klasse. Er sollte es zwar nicht zu offensichtlich zeigen, aber
wenn man schon bei Eltern zweifeln kann, ob sie jedes Kind gleich gern haben,
muss man das auch bei einem Lehrer annehmen. Besser so als ein beziehungsloses,
gleichgültiges Unterrichten aus Angst, jemandem zu nahe zu treten.
Die guten Lehrer
gestalteten die Stunden unabhängig und richteten sie nach Interessen aus. Frau
M., Deutschlehrerin in der Oberstufe, brachte mir nach dem Elternabend ihre
vergilbte Ausgabe von «Die Mutter» von Maxim Gorki mit. Wenn ihr etwas
verändern wollt, forderte sie uns auf, so handelt. Sie war nicht gerade wie «Rita»,
die herrlich unorthodoxe Lehrerin aus der gleichnamigen dänischen Fernsehserie,
die sich um keinerlei politische Korrektheit schert. Aber auch Frau M. war
grossherzig und setzte sich für ihre Schüler ein.
Als Gymnasiastin gefiel
mir der Ernst, mit dem Herr B. über das Gretchen im «Faust» redete. Wörter wie
«Lebenszimmer» übernahm ich von ihm. Er wählte Aufsatzthemen, als ginge es
darum, schreibend herauszufinden, wer man ist. Als ginge es also um alles.
Freie Denker
Die besten Lehrer waren
die freien Denker. Peter von Matt, mein Professor an der Uni, legte nie eine
weltanschauliche Folie über seine Lehre. Das machte sie so lustvoll. Dass sie
manche zu unakademisch fanden, war ein Lob, weshalb ihn Marcel Reich-Ranicki ja
den «besten Schriftsteller der Schweiz» nannte. In seinen Vorlesungen konnte
man abschauen, wie eigenständiges Urteilen geht.
Schliesslich erinnere
ich mich gerne an jene Literaturprofessorin, die ihren Studenten sagte: «Lebt
euer Leben wie einen guten Roman oder ein gutes Drehbuch.» Um die jungen Leute
vor Mittelmass und Anspruchslosigkeit zu bewahren, fragte sie suggestiv: «Würde
das Publikum beim Film eures Lebens hinauslaufen?»
Und jetzt zu den
schlechten Lehrern. Man erkennt sie daran, dass man am liebsten aus dem
Schulzimmer hinauslaufen möchte.
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