Eigentlich müssten sie es ja wissen, die Lehrerinnen und Lehrer: Ihre
Einstellung gegenüber den Schülern hat einen grossen Einfluss auf deren
Leistung. Umso wichtiger ist es, dass sie ihren Schützlingen möglichst
unvoreingenommen gegenübertreten. Weder Geschlecht noch familiäres Umfeld noch
Herkunft sollten den professionellen Umgang mit den Schülern beeinflussen.
Lehrer haben Vorurteile gegen Migrantenkinder, NZZaS, 8.7. von René Donzé
Doch das ist graue Theorie. «Die Förderung und Beurteilung von Kindern
erfolgt leider nicht so neutral, wie sie sollte», sagt Markus Neuenschwander,
Professor an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Zu diesem Schluss kommt eine Forschungsgruppe unter seiner Leitung in einer
Studie mit 75 Lehrern und 1100 Schülern, die den Titel «Scala» trägt. Ihre
Erkenntnis: Pädagogen erwarten von Schülern mit Migrationshintergrund von
vornherein schlechtere Leistungen als von einheimischen Kindern. Oder anders
gesagt: Die Erwartungen an Migrantenkinder sind tiefer, als objektiv angezeigt
wäre.
Besonders augenfällig war dieser Unterschied in der Mathematik, wo
faktisch kein Leistungsunterschied zwischen Migrantenkindern und einheimischen
Kindern bestand. «Dennoch lag auch hier die Leistungserwartung der Lehrpersonen
massiv tiefer», sagt Neuenschwander. Im Fach Deutsch gibt es zwar objektiv
unterschiedliche Leistungen von Migranten und Nichtmigranten, doch sind die
Unterschiede in den Erwartungen der Lehrerinnen und Lehrer noch grösser. Das
Fatale ist, dass diese tiefen Erwartungen zu tieferen Leistungen bei den
Schülern führen. Auch das weist die neue Studie nach.
Fachleute sprechen vom Pygmalioneffekt. «Wer von einem Kind weniger
erwartet, fördert und fordert es weniger», sagt Neuenschwander. Das kann für
Migrantenkinder negative Folgen haben. Sie geraten in einen Teufelskreis.
Vorurteile werden bestätigt. «Die Leistungsunterschiede zwischen Migranten und
Nichtmigranten werden also im Verlauf einer Schulkarriere immer grösser», so
der Professor.
Die Studie bestätigt Ergebnisse von anderen Untersuchungen im Ausland
und die Erfahrung vieler Fachleute in der Schweiz. «Geringe Erwartungen führen
zu geringen Leistungen», sagt Erziehungswissenschaftlerin Katharina Maag, die
an der Universität Zürich zu solchen Themen forscht. Besonders ausgeprägt zeige
sich das etwa beim Übertritt von der Primarschule an die Oberstufe. «Noch immer
werden Kinder mit Migrationshintergrund weniger gut gefördert, weil man ihnen
zum Beispiel das Gymi gar nicht zutraut», sagt sie.
Die Studie von Neuenschwander zeigt übrigens auch Vorurteile gegenüber
Kindern aus bildungsfernen Familien auf. Und geschlechtsbedingte Stereotypen:
Trotz gleich guten Testergebnissen wurden von Mädchen bessere Leistungen in
Deutsch erwartet, von Knaben in Mathematik.
Beat Zemp, Präsident des Lehrerverbands Schweiz nimmt seine Kolleginnen
und Kollegen in Schutz: «Erwartungen sind immer durch Erfahrungen geprägt, die
sich im Verlauf der Zeit zu Stereotypen verdichten können», sagt er. Das gelte
für Lehrer genauso wie für andere, etwa Journalisten oder Politiker.
«Lehrpersonen sind nicht davor gefeit, negative Erwartungshaltungen auf
Schüler zu übertragen», sagt Zemp.
Für Neuenschwander ist klar: Dagegen muss man etwas unternehmen. Er hat
eine Weiterbildung für Lehrer entworfen, bei der sie ihre Einstellungen
gegenüber Migrantenkindern reflektieren und systematisch hinterfragen. «Den
meisten ist ja gar nicht bewusst, dass sie Vorurteile haben.» Mit einer
Begleitstudie konnte er aufzeigen, dass die Absolventen dieser Weiterbildung
weniger voreingenommen waren und die Leistungen adäquater einschätzten.
Uniprofessorin Katharina Maag begrüsst solche Anstrengungen: «Die
Lehrpersonen müssen sich verbessern», sagt sie. «Dazu braucht es Information,
aber auch ein ständiges Hinterfragen der eigenen Haltung.» Und den
regelmässigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Für Lehrerpräsident Zemp
wäre es darüber hinaus wichtig, dass vermehrt auch Lehrer mit
Migrationshintergrund in die Schulhäuser kämen. Noch ist ihr Anteil sehr
gering. «Eine bessere Durchmischung der Schulteams würde die Erwartungshaltung
der Kolleginen und Kollegen positiv beeinflussen», sagt er.
Die Lehrer sind das nicht alleine. Auch der sich hartnäckig haltende, längst wissenschaftlich widerlegte, Glaube an die Vererbung von psychischen und kognitiven Eigenschaften führt dazu, dass man nicht jedem gute Leistungen zutraut. Auch der Lehrplan 21 schraubt mit seinen Minimalzielen (Zyklen) und dem selbstgesteuerten Lernen sowohl Anforderung und Förderung (Lehrer als blosse Lernbegleiter Coach) drastisch herunter. Das gilt auch immer wenn den Schülern Steine aus dem Weg geräumt werden, wie zum Beispiel mit der Basisschrift, die in den USA zu 23% erwachsenen Analphabeten geführt hat.
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