Gibt es
visuelle und auditive Lerntypen? Bringt «Bulimie-Lernen» etwas? Und fördern
Schlafpausen das Memorieren? Wir haben verbreitetes Lernwissen getestet. ETH-Lernforscherin Elsbeth Stern erklärt.
1. Es gibt verschiedene Lerntypen. Stimmt
nicht
«Ich
bin beim Lernen eher der visuelle Typ», sagen manche – es ist eine
weitverbreitete Vorstellung, dass jeder Mensch seine eigene Art hat, wie er am
besten lernt. «Stimmt nicht!», sagt Lernforscherin Elsbeth Stern, «Lerntypen
sind der grösste Mythos, den es gibt.» Die Theorie der verschiedenen Lerntypen
habe «die Aussagekraft von Astrologie».
Wenn
Menschen unterschiedlich gut lernten, liege das vor allem an Unterschieden in
der Intelligenz. «Aber man hört eben lieber, dass man die Differenzialrechnung
nicht beherrscht, weil man einem anderen Lerntyp entspricht. Das ist auch für
die Eltern leichter zu akzeptieren – und wohl der Grund, warum sich dieser
Unsinn so lange hält.»
Sieben Lernthesen im Check,Tages-Anzeiger, 5.5. von Tina Huber
2. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu lernen.
Stimmt
Mit 65
Jahren einen Schachkurs belegen – das geht! Es sei ein Irrtum, zu meinen, dass
man im Alter schlechter lerne, sagt Elsbeth Stern. «Denn neues Wissen baut auf
altem auf – und das wächst mit dem Alter.» Zwar gibt es tatsächlich
Untersuchungen, die zeigen, dass die Lernfähigkeit mit den Jahren nicht mehr
dieselbe ist. Doch sei dabei wohl eher der Wille entscheidend, die Mühsal auf
sich zu nehmen, sagt Stern: «Ich bin überzeugt: Müssten wir alle Chinesisch
lernen, um unsere Renten zu erhalten, wir würden das ohne Probleme bewältigen.»
3. Wer in unterschiedlicher Umgebung lernt,
kann sich Dinge besser merken. Stimmt nicht
Vokabeln
erst in der Bibliothek üben, später die Grammatik draussen am See: So könne man
sich die verschiedenen Lerninhalte besser merken, lautet ein oft gehörter Tipp.
Forscherin Elsbeth Stern widerspricht: Die Effekte seien zwar da, aber nur
gering. Das Entscheidende sei nicht der Ort, an dem man lerne, sondern die
Konzentration. Natürlich – den ganzen Tag zu Hause auf dem Sofa zu pauken, ist
nicht inspirierend. Aber das Lernen beeinträchtigt es nicht zwangsläufig.
4. Die besten Einfälle haben wir unter der
Dusche. Stimmt
Stundenlang
an einem Problem geknobelt – ergebnislos. Später unter der Dusche kommt uns
plötzlich die zündende Idee. Zufall? Nein. Es kann tatsächlich helfen, sich
einer ganz anderen Tätigkeit zu widmen, um auf neue Gedanken zu kommen.
Entscheidend ist, dass wir Dinge tun, die weitgehend automatisiert sind:
spazieren, Auto fahren auf einer einsamen Landstrasse, duschen. So gerät das
Hirn in einen diffusen Zustand, in dem die Gedanken frei wandern – und sich
vielleicht unvermittelt zu einer neuen Idee zusammenfügen.
5. Sich vor einer Prüfung Wissen
einzuprügeln, bringt nichts. Stimmt
«Bulimie-Lernen»
nennt man es auch, wenn sich Schüler bis spät in die Nacht das gefühlte halbe
Mathebuch einhämmern und am nächsten Tag an der Prüfung «auskotzen». Nachhaltig
ist das nicht: Damit neues Wissen langfristig gespeichert wird, braucht es in
erster Linie Wiederholung – und Verständnis für die Zusammenhänge. Die Chance
ist also gross, dass der Stoff nach der Prüfung bald wieder vergessen ist. Und
dass Schlafmangel der Gedächtnisleistung nicht zugutekommt, liegt ebenfalls auf
der Hand.
6. Wer bereits eine Fremdsprache spricht,
lernt leichter weitere Sprachen. Stimmt
Grundsätzlich
gilt auch hier: Neues Wissen basiert immer auf vorhandenem. Wer bereits eine
Sprache beherrscht, hat deshalb Vorteile, weil er über konzeptionelles Wissen
verfügt: Welche Zeitformen, welche Personalpronomen gibt es? Das gilt selbst
dann, wenn die Sprachen so unterschiedlich sind wie Französisch und Chinesisch.
Aber: «Wenn ich eine Sprache gut beherrschen will, muss ich sie über längere
Dauer während mindestens 40 Prozent der Zeit nutzen», sagt Elsbeth Stern.
7. Vor dem Schlafen lernt man am besten.
Stimmt
Wer
zwischen zwei Lerneinheiten seinen Geist zur Ruhe kommen lässt, lernt
tatsächlich leichter. Mehrere Studien belegen den positiven Effekt von Schlaf
auf das Erinnerungsvermögen. Eine neuere französische Studie hat zudem gezeigt,
dass Probanden sich selbst nach sechs Monaten deutlich besser an das Gelernte
erinnerten, wenn sie mit Schlafpausen gebüffelt hatten. Die Erfolgsformel
lautet «Lernen-Schlafen-Lernen». Also: am besten abends lernen, eine Nacht
schlafen und am Morgen nochmals hinter die Bücher. Das ist
erfolgversprechender, als wenn wir am Morgen und dann wieder am Abend lernen.
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