13. Mai 2018

Sieben Lernthesen im Check

Gibt es visuelle und auditive Lerntypen? Bringt «Bulimie-Lernen» etwas? Und fördern Schlafpausen das Memorieren? Wir haben verbreitetes Lernwissen getestet. ETH-Lernforscherin Elsbeth Stern erklärt.

1. Es gibt verschiedene Lerntypen. Stimmt nicht
«Ich bin beim Lernen eher der visuelle Typ», sagen manche – es ist eine weitverbreitete Vorstellung, dass jeder Mensch seine eigene Art hat, wie er am besten lernt. «Stimmt nicht!», sagt Lernforscherin Elsbeth Stern, «Lerntypen sind der grösste Mythos, den es gibt.» Die Theorie der verschiedenen Lerntypen habe «die Aussagekraft von Astrologie».

Wenn Menschen unterschiedlich gut lernten, liege das vor allem an Unterschieden in der Intelligenz. «Aber man hört eben lieber, dass man die Differenzialrechnung nicht beherrscht, weil man einem anderen Lerntyp entspricht. Das ist auch für die Eltern leichter zu akzeptieren – und wohl der Grund, warum sich dieser Unsinn so lange hält.»
Sieben Lernthesen im Check,Tages-Anzeiger, 5.5. von Tina Huber


2. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu lernen. Stimmt
Mit 65 Jahren einen Schachkurs belegen – das geht! Es sei ein Irrtum, zu meinen, dass man im Alter schlechter lerne, sagt Elsbeth Stern. «Denn neues Wissen baut auf altem auf – und das wächst mit dem Alter.» Zwar gibt es tatsächlich Untersuchungen, die zeigen, dass die Lernfähigkeit mit den Jahren nicht mehr dieselbe ist. Doch sei dabei wohl eher der Wille entscheidend, die Mühsal auf sich zu nehmen, sagt Stern: «Ich bin überzeugt: Müssten wir alle Chinesisch lernen, um unsere Renten zu erhalten, wir würden das ohne Probleme bewältigen.»

3. Wer in unterschiedlicher Umgebung lernt, kann sich Dinge besser merken. Stimmt nicht
Vokabeln erst in der Bibliothek üben, später die Grammatik draussen am See: So könne man sich die verschiedenen Lerninhalte besser merken, lautet ein oft gehörter Tipp. Forscherin Elsbeth Stern widerspricht: Die Effekte seien zwar da, aber nur gering. Das Entscheidende sei nicht der Ort, an dem man lerne, sondern die Konzentration. Natürlich – den ganzen Tag zu Hause auf dem Sofa zu pauken, ist nicht inspirierend. Aber das Lernen beeinträchtigt es nicht zwangsläufig.

4. Die besten Einfälle haben wir unter der Dusche. Stimmt
Stundenlang an einem Problem geknobelt – ergebnislos. Später unter der Dusche kommt uns plötzlich die zündende Idee. Zufall? Nein. Es kann tatsächlich helfen, sich einer ganz anderen Tätigkeit zu widmen, um auf neue Gedanken zu kommen. Entscheidend ist, dass wir Dinge tun, die weitgehend automatisiert sind: spazieren, Auto fahren auf einer einsamen Landstrasse, duschen. So gerät das Hirn in einen diffusen Zustand, in dem die Gedanken frei wandern – und sich vielleicht unvermittelt zu einer neuen Idee zusammenfügen.

5. Sich vor einer Prüfung Wissen einzuprügeln, bringt nichts. Stimmt
«Bulimie-Lernen» nennt man es auch, wenn sich Schüler bis spät in die Nacht das gefühlte halbe Mathebuch einhämmern und am nächsten Tag an der Prüfung «auskotzen». Nachhaltig ist das nicht: Damit neues Wissen langfristig gespeichert wird, braucht es in erster Linie Wiederholung – und Verständnis für die Zusammenhänge. Die Chance ist also gross, dass der Stoff nach der Prüfung bald wieder vergessen ist. Und dass Schlafmangel der Gedächtnisleistung nicht zugutekommt, liegt ebenfalls auf der Hand.

6. Wer bereits eine Fremdsprache spricht, lernt leichter weitere Sprachen. Stimmt
Grundsätzlich gilt auch hier: Neues Wissen basiert immer auf vorhandenem. Wer bereits eine Sprache beherrscht, hat deshalb Vorteile, weil er über konzeptionelles Wissen verfügt: Welche Zeitformen, welche Personalpronomen gibt es? Das gilt selbst dann, wenn die Sprachen so unterschiedlich sind wie Französisch und Chinesisch. Aber: «Wenn ich eine Sprache gut beherrschen will, muss ich sie über längere Dauer während mindestens 40 Prozent der Zeit nutzen», sagt Elsbeth Stern.

7. Vor dem Schlafen lernt man am besten. Stimmt

Wer zwischen zwei Lerneinheiten seinen Geist zur Ruhe kommen lässt, lernt tatsächlich leichter. Mehrere Studien belegen den positiven Effekt von Schlaf auf das Erinnerungsvermögen. Eine neuere französische Studie hat zudem gezeigt, dass Probanden sich selbst nach sechs Monaten deutlich besser an das Gelernte erinnerten, wenn sie mit Schlafpausen gebüffelt hatten. Die Erfolgsformel lautet «Lernen-Schlafen-Lernen». Also: am besten abends lernen, eine Nacht schlafen und am Morgen nochmals hinter die Bücher. Das ist erfolgversprechender, als wenn wir am Morgen und dann wieder am Abend lernen.

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