12. Mai 2018

Ewiggestrige sind gegen Tagesschulen

Die Vorteile eines schlanken und erst noch günstigen Tagesschulmodells, wie es die Stadt Zürich bald einem Drittel der Schulkinder bereitstellen will, sind unbestritten. Tagesschulen wirken sich positiv auf Organisation und Zusammenhalt an den Schulen aus, fördern die Gleichstellung und kurbeln durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Volkswirtschaft an. Wer dazu ein Nein in die Urne legt, verschliesst die Augen vor sämtlichen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 50 Jahre. Es ist bezeichnend, dass nicht einmal die SVP als einzige Gegnerin des Projekts unter den Stadtzürcher Parlamentsparteien den generellen gesellschaftlichen Bedarf an Tagesschulen negiert.
Die Zeit ist reif für die Tagesschule, NZZ, 12.5. von Lena Schenkel


Wer behauptet, dass das neue Tagesschulmodell familienfeindlich sei, irrt: Es ist davon auszugehen, dass viele Eltern sogar mehr Zeit für ihre Kinder haben werden. Zum einen ist durch die verkürzte Mittagspause früher Schulschluss, zum andern gehen neu alle Kinder einer Familie an denselben Tagen nachmittags zur Schule und sind entsprechend öfter gemeinsam zu Hause. Die bisherigen Erfahrungen der jetzigen Pilotschulen zeigen, dass die Nachfrage an zusätzlicher ausserschulischer Betreuung eher sinkt. Wer diese trotzdem in Anspruch nehmen will oder muss, spart gegenüber dem Betreuungsangebot in der heutigen Form. Das neue Modell ist damit in mehrfacher Hinsicht familienfreundlich.
Es ist das Ergebnis eines breiten politischen Kompromisses, zu dem alle beigetragen haben: Die Linke ist zurückgerudert, was die kostenlose oder einkommensabgestufte Verpflegung und tatsächlich ganztägige Betreuung betrifft. Die Bürgerlichen gaben nach, als es darum ging, nach Unterrichtsende zumindest optional Aufgabenhilfe an den Schulen anzubieten.

Natürlich lohnt es sich, jetzt, da die Schulstrukturen neu aufgegleist werden, genauer hinzuschauen und zu prüfen, wie man die Betreuungszeit in der Tagesschule auch pädagogisch nutzen könnte. Wenn damit Kinder aus sozioökonomisch schlechteren Verhältnissen gefördert werden, ist dies selbstverständlich begrüssenswert. Das geschieht allerdings bereits beim gemeinsamen Mittagessen: Kinder aus allen Schichten und Kulturen verbringen wertvolle Zeit miteinander und rücken näher zusammen. In der freiwilligen Aufgabenhilfe nach Schulschluss erhalten Schüler zudem auf fachlicher Ebene zusätzliche Unterstützung.

Wenn Private oder gemeinnützige Organisationen darüber hinaus Programme mit pädagogischem Mehrwert anbieten möchten, sollen sie dies tun können. Solche Angebote sollten jedoch nicht zu einem fixen Bestandteil des Tagesschulmodells werden. Dann nämlich würden jene Eltern benachteiligt, die ihre Kinder grundsätzlich selbst betreuen und fördern möchten – im Familienverbund. Selbst eine Abmeldemöglichkeit griffe da zu wenig weit. Bereits jetzt besteht ein gewisser sozialer Druck, die Kinder am Mittagessen mit ihren Kameraden teilhaben zu lassen und nicht von der Tagesschule abzumelden.

Die Verzahnung von formaler Bildung und informellem Lernen in der Tagesschule stellt die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Staat und Eltern ohnehin bereits bis zu einem gewissen Grad infrage. Die Erziehungsfreiheit der Eltern ist ein hohes Gut. Wenn die Volksschule darin zu stark und umfassend eingriffe, wäre es tatsächlich nicht mehr weit zur «Staatsschule à la DDR», wie die SVP «die Tagesschule ohne Wahlfreiheit» nennt.


2 Kommentare:

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  2. ich fühle mich nicht von gestern nur weil ich mit meinen Kindern Mittagspause machen möchte ich fühle mich aber meiner Freiheit beraubt weil in Zürich mit dem sogenannt "Freiwilligen" Pilot ein Zeitdruck (80Minuten Mittagspause) besteht der es praktisch unmöglich macht die Wahlfreiheit zu leben.

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