Der oberste Basler Rektor nimmt Stellung zur
Zunahme der Zahl der Gymnasiasten, der Zwischenprüfungen und der verunsicherten
Lehrer. Wenn im Sommer das neue Schuljahr startet, werden erstmals Sek-Schüler ans Gymnasium wechseln. Die Gymnasial-Quote dürfte dabei steigen und die Planungssicherheit sinken, was bei den Lehrern zu Verunsicherung führt
Ulrich Maier ist Leiter Mittelschulen und Berufsbildung im Basler Erziehungsdepartement, Bild: Juri Junkov
Oberster Rektor Maier: "Eine tiefere Gymi-Quote wird uns nicht gelingen", Basellandschaftliche Zeitung, 16.4. von Samuel Hufschmid
Herr Maier, ein Ziel der Schulreform war es, die
Gymnasialquote zu reduzieren. Dieses Ziel scheint in weiter Ferne, die
Gymnasiasten-Zahlen dürften eher steigen. Ist das richtig?
Ulrich Maier: Das
stimmt, eine Reduzierung wird uns nicht gelingen, wir müssen mit einem Anstieg
der Gymnasialquote rechnen. Und es ist kein Geheimnis, dass wir darüber aus
mehreren Gründen nicht glücklich sein können.
Wieso mehrere Gründe?
Ich bin einerseits Leiter der Mittelschulen, also
für die Gymnasien zuständig und in dieser Funktion darum besorgt, dass die hohe
Qualität der gymnasialen Ausbildung erhalten bleibt, was bei steigenden
Schülerzahlen nicht sicher ist. Andererseits bin ich aber auch Leiter der
Berufsbildung und damit dafür verantwortlich, dass den Ausbildungsbetrieben
genügend talentierte Lehrlinge zur Verfügung stehen.
Wie stehen die Rektoren der Gymnasien zu höheren
Schülerzahlen? Schliesslich bedeuten viele Schüler auch, dass sie das Angebot
an ihrer Schule ausbauen können und sicherlich niemandem kündigen müssen
...
Das stimmt, für die einzelnen Rektoren sind viele
Anmeldungen an ihrer Schule zunächst natürlich positiv, eine Bestätigung, dass
ihr Gymnasium ein attraktives Angebot bietet. Andererseits wird es für sie
schwieriger, die Qualität des Unterrichts sicherzustellen. Wenn mehr Schüler
eines Jahrgangs das Gymnasium beginnen, dann bleiben erwartungsgemäss mehr auf
der Strecke, die Anzahl Gymi-Abbrecher steigt.
Genau diese Forderung hat jüngst in dieser Zeitung
ein Mitglied der Schulkommission des Gymnasiums Leonhard gestellt – eine
Zwischenprüfung nach zwei Jahren, die über den weiteren Verlauf entscheidet.
Wie stehen Sie dazu?
Für mich ist es keine Lösung, wenn wir die
Selektion ans Gymnasium verlegen. Das Problem ist die zu hohe Übertrittsquote
und diese würde vermutlich weiter steigen, wenn es im Verlauf der Gymnasialzeit
nochmals eine Selektionsphase mit einer Zwischenprüfung gibt.
Was sind denn die konkreten Ansätze des
Erziehungsdepartements?
Da kann ich Ihnen zur Zeit noch nichts sagen. Wir
arbeiten an verschiedenen Massnahmen, werden aber erst informieren, wenn diese
spruchreif sind. Was auch dazu gehört sind gute Alternativen für jene
Schülerinnen und Schüler, die am Gymnasium nicht reüssieren. Da sind wir schon
ziemlich nahe an einer Lösung, um den Übergang in die Berufsbildung attraktiver
zu gestalten.
Es ist ja jetzt schon so, dass in gewissen
Untermengen, etwa bei den deutschsprachigen Mädchen, weit mehr als jedes zweite
ans Gymnasium kommt. Dabei sind diese ja nicht naturgemäss intelligenter als
Vergleichsgruppen. Ist das die Zukunft, 60 Prozent Gymnasiasten?
Nein, bestimmt nicht, denn höhere Gymi-Quoten in
Untergruppen, das gab es schon immer. Vor 30 Jahren waren es einfach die Knaben
aus Akademikerfamilien, die überdurchschnittlich vertreten waren. Und auch wenn
Sie gewisse, gut gestellte Bezirke im Kanton Zürich anschauen, etwa Meilen oder
Zürichberg, dann sind dort die Gymnasialquoten auch sehr viel höher. Mehr
Sorgen bereitet mir, dass die Schere zwischen dem höchsten und dem tiefsten
Sek-Niveau in Basel auseinandergeht ...
Also dass einerseits Akademikerfamilien ihre Kinder
nur im Gymnasium sehen und andererseits Kinder aus zugewanderten Familien ihre
Kinder häufig gar nicht oder kaum schulisch fördern?
Ja, der mittlere E-Zug der Sekundarstufe, der
eigentlich der bestbesuchte sein sollte, weil die Abgänger sowohl für
attraktive Lehrstellen als auch für den akademischen Weg infrage kommen, dieser
mittlere Zug ist in Basel vergleichsweise schlecht besucht. Und diese
Entwicklung scheint sich weiter zu akzentuieren. In anderen, eher gewerblich
geprägten Regionen, ist das genau umgekehrt.
Wie sehen Sie die Entwicklung in der näheren
Zukunft? Zahlen des Statistischen Amts Basel-Stadt zeigen, dass die Anzahl
Gymnasiasten weiter wachsen wird.
Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, denn
das kommende Schuljahr wird das Erste sein, das wirklich mit den künftigen
Jahren vergleichbar ist. Deshalb sind die Zahlen aktuell tiefer. Aber dass der
Druck aus der Gesellschaft, das Gymnasium als vermeintlich einzigen und besten
Bildungsweg zu verfolgen, zunehmen wird, das spüren wir jetzt schon Jahr für
Jahr.
Wie muss man das verstehen? Ist es ein Kampf gegen
Windmühlen, wenn das Erziehungsdepartement die Gymnasialquote zu senken
versucht und der Druck von Elternseite gleichzeitig stetig wächst?
Ja, die Herausforderungen diesbezüglich werden uns
nicht so schnell ausgehen. Aber man muss das auch als zweiten Teil der
Schulreform sehen, wir müssen weiterarbeiten und schauen, dass wir die Ziele
einer tieferen Gymnasialquote und einer gleichmässigeren Verteilung der
Schülerzahlen auf die drei Sek-Niveaus erreichen.
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