16. April 2018

Druck auf Gymnasium steigt

Der oberste Basler Rektor nimmt Stellung zur Zunahme der Zahl der Gymnasiasten, der Zwischenprüfungen und der verunsicherten Lehrer. Wenn im Sommer das neue Schuljahr startet, werden erstmals Sek-Schüler ans Gymnasium wechseln. Die Gymnasial-Quote dürfte dabei steigen und die Planungssicherheit sinken, was bei den Lehrern zu Verunsicherung führt
Ulrich Maier ist Leiter Mittelschulen und Berufsbildung im Basler Erziehungsdepartement, Bild: Juri Junkov
Oberster Rektor Maier: "Eine tiefere Gymi-Quote wird uns nicht gelingen", Basellandschaftliche Zeitung, 16.4. von Samuel Hufschmid



Herr Maier, ein Ziel der Schulreform war es, die Gymnasialquote zu reduzieren. Dieses Ziel scheint in weiter Ferne, die Gymnasiasten-Zahlen dürften eher steigen. Ist das richtig?
Ulrich Maier: Das stimmt, eine Reduzierung wird uns nicht gelingen, wir müssen mit einem Anstieg der Gymnasialquote rechnen. Und es ist kein Geheimnis, dass wir darüber aus mehreren Gründen nicht glücklich sein können.

Wieso mehrere Gründe?
Ich bin einerseits Leiter der Mittelschulen, also für die Gymnasien zuständig und in dieser Funktion darum besorgt, dass die hohe Qualität der gymnasialen Ausbildung erhalten bleibt, was bei steigenden Schülerzahlen nicht sicher ist. Andererseits bin ich aber auch Leiter der Berufsbildung und damit dafür verantwortlich, dass den Ausbildungsbetrieben genügend talentierte Lehrlinge zur Verfügung stehen.

Wie stehen die Rektoren der Gymnasien zu höheren Schülerzahlen? Schliesslich bedeuten viele Schüler auch, dass sie das Angebot an ihrer Schule ausbauen können und sicherlich niemandem kündigen müssen ...
Das stimmt, für die einzelnen Rektoren sind viele Anmeldungen an ihrer Schule zunächst natürlich positiv, eine Bestätigung, dass ihr Gymnasium ein attraktives Angebot bietet. Andererseits wird es für sie schwieriger, die Qualität des Unterrichts sicherzustellen. Wenn mehr Schüler eines Jahrgangs das Gymnasium beginnen, dann bleiben erwartungsgemäss mehr auf der Strecke, die Anzahl Gymi-Abbrecher steigt.

Genau diese Forderung hat jüngst in dieser Zeitung ein Mitglied der Schulkommission des Gymnasiums Leonhard gestellt – eine Zwischenprüfung nach zwei Jahren, die über den weiteren Verlauf entscheidet. Wie stehen Sie dazu?
Für mich ist es keine Lösung, wenn wir die Selektion ans Gymnasium verlegen. Das Problem ist die zu hohe Übertrittsquote und diese würde vermutlich weiter steigen, wenn es im Verlauf der Gymnasialzeit nochmals eine Selektionsphase mit einer Zwischenprüfung gibt.

Was sind denn die konkreten Ansätze des Erziehungsdepartements?
Da kann ich Ihnen zur Zeit noch nichts sagen. Wir arbeiten an verschiedenen Massnahmen, werden aber erst informieren, wenn diese spruchreif sind. Was auch dazu gehört sind gute Alternativen für jene Schülerinnen und Schüler, die am Gymnasium nicht reüssieren. Da sind wir schon ziemlich nahe an einer Lösung, um den Übergang in die Berufsbildung attraktiver zu gestalten.

Es ist ja jetzt schon so, dass in gewissen Untermengen, etwa bei den deutschsprachigen Mädchen, weit mehr als jedes zweite ans Gymnasium kommt. Dabei sind diese ja nicht naturgemäss intelligenter als Vergleichsgruppen. Ist das die Zukunft, 60 Prozent Gymnasiasten?
Nein, bestimmt nicht, denn höhere Gymi-Quoten in Untergruppen, das gab es schon immer. Vor 30 Jahren waren es einfach die Knaben aus Akademikerfamilien, die überdurchschnittlich vertreten waren. Und auch wenn Sie gewisse, gut gestellte Bezirke im Kanton Zürich anschauen, etwa Meilen oder Zürichberg, dann sind dort die Gymnasialquoten auch sehr viel höher. Mehr Sorgen bereitet mir, dass die Schere zwischen dem höchsten und dem tiefsten Sek-Niveau in Basel auseinandergeht ...

Also dass einerseits Akademikerfamilien ihre Kinder nur im Gymnasium sehen und andererseits Kinder aus zugewanderten Familien ihre Kinder häufig gar nicht oder kaum schulisch fördern?
Ja, der mittlere E-Zug der Sekundarstufe, der eigentlich der bestbesuchte sein sollte, weil die Abgänger sowohl für attraktive Lehrstellen als auch für den akademischen Weg infrage kommen, dieser mittlere Zug ist in Basel vergleichsweise schlecht besucht. Und diese Entwicklung scheint sich weiter zu akzentuieren. In anderen, eher gewerblich geprägten Regionen, ist das genau umgekehrt.

Wie sehen Sie die Entwicklung in der näheren Zukunft? Zahlen des Statistischen Amts Basel-Stadt zeigen, dass die Anzahl Gymnasiasten weiter wachsen wird.
Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, denn das kommende Schuljahr wird das Erste sein, das wirklich mit den künftigen Jahren vergleichbar ist. Deshalb sind die Zahlen aktuell tiefer. Aber dass der Druck aus der Gesellschaft, das Gymnasium als vermeintlich einzigen und besten Bildungsweg zu verfolgen, zunehmen wird, das spüren wir jetzt schon Jahr für Jahr.

Wie muss man das verstehen? Ist es ein Kampf gegen Windmühlen, wenn das Erziehungsdepartement die Gymnasialquote zu senken versucht und der Druck von Elternseite gleichzeitig stetig wächst?
Ja, die Herausforderungen diesbezüglich werden uns nicht so schnell ausgehen. Aber man muss das auch als zweiten Teil der Schulreform sehen, wir müssen weiterarbeiten und schauen, dass wir die Ziele einer tieferen Gymnasialquote und einer gleichmässigeren Verteilung der Schülerzahlen auf die drei Sek-Niveaus erreichen.


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