Weil sich Eltern öfter beschweren, fürchten Schulleiter neue
Gerichtsfälle. Nun warnt der nationale Verband: «Der Rechtsschutz ist so
wichtig wie nie zuvor.» Doch warum kommt es häufiger zu Streit?
Klagen im Klassenzimmer, Südostschweiz, 3.3. von Yannick Nock
Unzufriedene
Eltern scheuen keine Konflikte mehr. Während Entscheidungen von Lehrern und
Schulleitern früher oft anerkannt wurden, ist das längst nicht mehr der Fall.
Stattdessen wird mit juristischen Schritten gedroht. Dabei ist es egal, ob es
um Noten, die Hausaufgaben oder den Übertritt ans Gymnasium geht: Wo Eltern
nicht einverstanden sind, kommt es zu Streit – der manchmal erst vor Gericht
endet.
Der Trend
beschäftigt Schulen in allen Kantonen – und hat Folgen für das Personal. Der
Schweizer Schulleiterverband wird nun auf seiner Website deutlich: «Der
Rechtsschutz ist so wichtig wie nie zuvor», schreibt er. Der Verband hat
deshalb reagiert und bietet seinen über 2000 Mitgliedern eine kollektive
Rechtsschutzversicherung an.
«Eltern sind
heute öfter der Meinung, dass etwas falsch laufen muss, wenn ihr Kind schlechte
Noten erhält oder nicht fürs Gymnasium empfohlen wird», sagt Bernard Gertsch,
Präsident des Schulleiterverbandes. Ein Grund sind die wachsenden
Zukunftsängste: «Durch die Digitalisierung und den technischen Fortschritt wird
es in 20 Jahren viele Berufe in der heutigen Form nicht mehr geben», sagt
Gertsch. Das bereite vielen Eltern Sorge. Zudem seien sie nicht mehr an
autoritäre Instanzen gewöhnt. Väter und Mütter wiederum fühlen sich oft missverstanden
und sehen ihren Nachwuchs unfair behandelt. Die Folge: Die Spannungen an den
Schulen steigen.
Bliebe es bei
Auseinandersetzungen mit Eltern, wären keine weiteren Versicherungen nötig. Die
zuständige Schulbehörde ist für den Schutz ihres Personals zuständig. Dass der
Schulleiterverband trotzdem für den Rechtsschutz wirbt, liegt an den Folgen
solcher Konflikte. Sie können zu einer Kündigung beitragen. «Zuletzt haben mehr
Mitglieder ihre Entlassung oder deren Begründung angefochten», sagt Gertsch. Deshalb
habe man nun auf der Website auf die Bedeutung des Rechtsschutzes hingewiesen.
Auch das Arbeitszeugnis – und damit die Chance auf künftige Stellen – seien oft
ein Streitpunkt.
52 Seiten
gegen Problemeltern
Die
Entwicklung geht über alle Hierarchiestufen hinweg. Nicht nur Schulleiter, auch
Lehrer beklagen den gestiegenen Druck. Der Schweizer Lehrerverband hat deshalb
bereits im Herbst einen 52-seitigen Ratgeber veröffentlicht. Er zeigt, wie man
mit Problemeltern umgehen sollte – samt Fallbeispielen.
Einerseits
seien die Eltern anspruchsvoller geworden, andererseits hätten sie weniger
Hemmungen, ihrem Unmut freien Lauf zu lassen, heisst es darin. «Lehrer galten
früher als Respektspersonen, heute müssen sie sich öfter rechtfertigen.»
Besonders junge Lehrkräfte dürfen sich einiges anhören. Eltern halten sie
schnell für inkompetent. Unterschwellig schwingt immer der gleiche Vorwurf mit:
«Der Lehrer ruiniert die Berufschancen meines Kindes.»
Landesweite
Zahlen zu den Beschwerden gibt es nicht. Jeder Kanton handhabt die Statistiken
anders. Die Entwicklung ist dennoch eindeutig: So erhält der Rechtsdienst des
Zürcher Volksschulamts heute mehr Anfragen als früher, schrieb der «Blick»
kürzlich. Der Dienst bearbeite 3000 Anfragen pro Jahr, rund 400 stammen von Eltern.
Weitere Kantone wie Basel-Stadt oder St. Gallen bestätigen den Trend auf
Anfrage.
Damit
Konflikte nicht vor Gericht enden, hat der Lehrerverband ein Positionspapier
entwickelt, über das derzeit diskutiert wird. Die Lehrer fordern erstens eine
unabhängige Ombudsstelle, damit ein Streit nicht eskaliert. Früher hätten
Schulinspektoren die Rolle des Vermittlers übernommen, doch diese Position gibt
es vielerorts nicht mehr. Zweitens sind die pädagogischen Hochschulen gefragt.
Sie sollen in der Ausbildung der angehenden Lehrer das Elterngespräch zum
Pflichtstoff erklären.
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