Der Täter von Rupperswil führte
eine Liste mit elf weiteren potenziellen Opfern. Identifizieren konnte er die
Buben dank Online-Recherchen. Der schreckliche Fall richtet den Fokus damit auf
ein gesellschaftliches Problem, das mit dem digitalen Fortschritt immer
wichtiger wird: Wie schützt man die Jungen im Internet?
Was Schulen ungeschützt online stellen, Blick, 18.3. von Reza Rafi
Von allen Seiten werden Teenager zur Vorsicht in
den sozialen Medien angehalten. Fachleute warnen davor, zu viel von sich
preiszugeben. Wer sich ungeschützt mit Bild und Namen präsentiert, macht sich
zum möglichen Ziel von Pädophilen, Betrügern und Erpressern. Viele Eltern
verzichten auf Bilder ihres Nachwuchses auf Facebook & Co. Das Zürcher
Kompetenzzentrum Cybercrime erarbeitet derzeit mit Partnerbehörden eine
Strategie, um die Bürger im Umgang mit den neuen Medien zu schulen.
Nun müsste man erwarten, dass gerade die Schulen
hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch weit gefehlt.
Es steht im krassen Widerspruch zur
Aufklärungsarbeit von Experten und der Empfehlung von Datenschützern, was
manche Bildungseinrichtungen ohne Passwortschutz ins World Wide Web
stellen: Per Mausklick lässt sich von Klassenfoto zu Klassenfoto wandern;
man stösst auf Stundenpläne – weiss also, wann die Zöglinge Schulschluss haben
–, Klassenarbeiten, Lehrernamen, Zimmernummern, Ferienpläne.
Am freizügigsten sind die Schulen im Aargau. Anders als in anderen Kantonen existieren dort keinerlei
Datenschutzrichtlinien für das Bildungswesen.
Gläserne Schulen
Innert kürzester Zeit lassen sich im Autokanton
Dutzende Beispiele von gläsernen Schulen finden, wie eine Stichprobe des SonntagsBlicks zeigt.
Wenig zimperlich im Umgang mit Daten ist man auch
bei der Schule Widen. Dort werden die Primarklassen stolz der Öffentlichkeit
präsentiert.
Einem Vater wurde dies zu viel. Boris Etter, von
Beruf Rechtsanwalt und Verleger, hat 2016 Beschwerde gegen die «rechtswidrige
Bildpublikation auf der Website der Schule Widen» eingereicht. Er wollte verhindern, dass die Einrichtung das Klassenbild
seines Sohnes, der damals in die fünfte Klasse ging, ins Internet stellt –
ohne Passwortschutz, mit Angaben der Klasse, des vollen Namens der Lehrerin und
des Klassenzimmers. «Im Interesse aller Kinder fordere ich Sie hiermit auf, die
rechtswidrige und gefährliche Internetveröffentlichung von Klassenfotos,
Lehrern, Zimmern und Stundenplänen zu unterlassen», heisst es im Schreiben.
Es folgte eine Anzeige wegen Verstosses gegen das
Aargauer Datenschutzgesetz. Pikanterweise verwies Etter bereits in seiner Anzeige im Mai 2016
auf den Fall Rupperswil: Er erinnerte die Behörden an die
«Ereignisse und derzeitigen klaren Erkenntnisse im Fall Rupperswil, dass der
Täter sein Opfer genau ausgewählt hatte». Für Etter ist klar: Die Schule
«tritt das Datenschutzrecht mit Füssen».
In seiner Antwort wies der kantonale Datenschützer
die Anzeige ab. Die Präsidentin der Schulpflege Widen befand in ihrer Antwort:
«Eine Schulwebseite lebt von Berichten und Bildern der Schule, weshalb wir
unbedingt an diesen festhalten wollen.» Es würden schliesslich «keine Schülernamen
neben das jeweilige Foto gesetzt. Eine Identifikation ist somit nicht möglich.»
Man habe als Reaktion auf Etters Anzeige jedoch
entschieden, jegliche Fotos und alle auf unserer Schulwebsite veröffentlichten
Berichte und Schülerarbeiten per sofort zu löschen».
Es gibt nur eine Empfehlung
Die Aargauer Bildungsdirektion sieht keinen
Handlungsbedarf, stellt jedoch klar: «Wir empfehlen den Schulen, auf Bilder von
Schülerinnen und Schülern und weitere Personendaten wie Schülerlisten auf
Schulwebseiten zu verzichten.»
Klassenfotos könnten für die Aargauer «allenfalls
auf einer geschützten internen Plattform zur Verfügung gestellt werden» –
sofern freilich eine Einwilligung der Schüler und Eltern eingeholt wird.
«Stundenpläne erachten wir als weniger problematisch, solange sie nicht direkt
mit einzelnen Schülerinnen und Schülern in Verbindung gebracht werden können.»
Die Zurschaustellung von Schülerbildern ohne
Passwortschutz bleibt indes vor allem eine Spezialität aus dem Rüeblikanton.
Sehr viel strikter verfährt beispielsweise
die Stadt Zürich. Im Leitfaden des
Schuldepartements («Umgang mit der Volksschule») steht zur Publikation von
Klassenfotos: «Schützen Sie Ihre Daten organisatorisch und technisch gegen
unbefugten Zugriff».
Ähnlich restriktiv sind etwa die Kantone Baselland
und St. Gallen. Im Leitfaden des Kantons
Bern heisst es zu «Bildern, auf denen Personen identifizierbar sind», diese
würden auch «trotz Einwilligung problematisch bleiben».
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen