26. März 2018

Kompetitiv und kreativ

Letzte Woche führten wir ein Telefongespräch mit unserem jüngsten Sohn. Dank seiner ausgezeichneten internationalen Matur darf er auf der Eliteuniversität in London, dem Imperial College, studieren. Er berichtete uns von seinem erfolgreichen Abschluss eines Projekts. Mit seinem Team entwickelte er einen Sender und baute ihn in ein Fahrrad ein. Damit konnte man jederzeit in ganz London dessen Standort im Netz nachverfolgen.
Ich fragte ihn, wie seine Arbeit beurteilt wurde. Er lachte und meinte, dass er zwar sehr stolz auf dieses Projekt sei, es im Vergleich aber höchst durchschnittlich wäre. So entwickelten beispielsweise seine koreanischen Freunde einen Handschuh, der die Bewegungen der Gebärdensprache direkt und digital in Töne umwandelte. So könne man einen stummen Menschen ausgezeichnet verstehen. Auch andere Projekte hatten es in sich und würden das seinige bei weitem übertreffen.
Die ostasiatische Herausforderung, Bieler Tagblatt, 26.3. von Alain Pichard


An dieser Stelle ist nachzuholen, dass seine ehemalige College-Studentin Li aus Myamar, eine Landesmeisterin in Mathematik, bessere Maturnoten aufzuweisen hatte als mein Sohn, aufgrund einer Quotenregelung der Eliteuniversitäten aber keine Zulassung erhielt. Mit anderen Worten, würde es nur nach den Noten gehen, studierten an den Eliteunis in aller Welt vor allem Chinesen, Koreaner, Vietnamesen, junge Menschen aus Hongkong oder Singapur.

Die Ostasiaten zeigen uns brutal auf, dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen, dem sich die Schule nicht ohne Weiteres entziehen kann. Die TIMMS-Sieger Singapur, China, Taiwan, Südkorea und neuerdings auch Vietnam bringen atemberaubende Resultate in der Mathematik hervor. Von 1000 Schülern weisen diese Länder zwischen 300 – 500 Hochleister auf, das sind Schüler, die die oberste Kompetenzstufe in diesem Fach erreicht haben. Die Schweiz bringt es auf 60, Deutschland auf 50 und Frankreich auf lediglich 20 Spitzenschüler unter 1000. 

Die Top Resultate der Asiaten werden mit Pauken bis zum Umfallen, mit massiver Unterstützung der Eltern plus einer starken Förderung der Hochbegabten erreicht. Und bezahlt wird es mit wirklichem Stress, einer beängstigenden Suizidrate und unglücklichen Schülern.

Natürlich will niemand bei uns ein solches Schulsystem einführen, auch ich nicht. Aber genau das Gegenteil zu machen, kann ebenfalls nicht unser Weg sein und würde unser Land nicht nur bildungsmässig ins Abseits führen. Eine Schule, die keine Leistung verlangt, kann genauso inhuman sein wie eine asiatische Paukerschule.

Und wir dürfen es uns auch nicht zu einfach machen. Bildungsexperten, die in die ostasiatischen Länder reisen, um deren Erfolgsrezept zu erkunden, berichten uns, dass es sich bei diesen Assen nicht einfach um roboterhaft gedrillte Rechenmaschinen handelt. Der dortige Unterricht habe eine enorme Tiefe und ein hochstehendes Niveau, wie man es bei uns selten begegnet.

Dies bestätigt auch mein Sohn, der seine asiatischen Kommilitonen zwar als unglaublich kompetitiv aber auch als kreativ und engagiert erlebt.


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