Die Präsidentin des Lehrerinnen- und
Lehrerverbandes steht den Plänen der Volksschule Kriens, die Hausaufgaben
abzuschaffen, eher kritisch gegenüber. Ein Dozent der PH Luzern erklärt
hingegen, wie neue Modelle funktionieren können.
Annamarie Bürkli zweifelt an den "Lernzeiten", Bild: Dominik Wunderli
Das sagen Pädagogen zum Krienser Modell, Luzerner Zeitung, 28.3. von Susanne Balli
Als erste
Gemeinde im Kanton Luzern streicht Kriens ab dem nächsten Schuljahr die
Hausaufgaben auf der Primarstufe. Neu sollen die Kinder jeden Vormittag während
des regulären Unterrichts 20 bis 30 Minuten individuell Aufgaben lösen, um
Gelerntes vertiefen zu können (wir berichteten am 19. März). Damit will die
Volksschule Kriens einerseits die Kinder entlasten und andererseits die
Chancengleichheit in der Bildung fördern.
Was sagen
erfahrene Pädagogen zum Krienser Modell? «Hausaufgaben sind immer wieder ein
Thema in den Lehrerzimmern. Besonders seit der Einführung des Lehrplans 21»,
sagt Annamarie Bürkli, Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbandes Kanton
Luzern. Mit dem Lehrplan 21 sei die Zahl der Lektionen gestiegen. Vielfach
werde darum in der Diskussion um Hausaufgaben der Lehrplan 21 vorgeschoben.
«Hier muss man aber klar sehen, dass Kinder in anderen Kantonen schon lange
eine höhere Anzahl an Lektionen besuchen.»
Zweifel an freiwilligen
Lernzeiten
Dass
Kriens nun den Pilotversuch wagt und die klassischen Hausaufgaben abschafft,
sieht Bürkli ambivalent. «Man muss schauen, wie sich das Krienser Modell
bewährt. Es gibt immer gewissen schulischen Stoff, den man individuell lernen
und vertiefen muss.» Ob das Modell gelingen könne, hänge darum davon ab, wie
konsequent die täglichen 20 bis 30 Minuten der obligatorischen Lernzeit in der
Praxis umgesetzt würden. «Da bin ich eher noch skeptisch. Ich zweifle auch
daran, ob die freiwilligen Lernzeiten am Nachmittag dann wirklich von jenen
Schülerinnen und Schülern besucht werden, die diese nötig haben», so Bürkli.
Eher
kritisch gegenüber der Abschaffung von Hausaufgaben ist sie noch aus einem
weiteren Grund: «Die Einsicht der Eltern, was die Kinder in der Schule machen,
bleibt auf der Strecke.»
Im
Krienser Modell sieht Bürkli aber auch Vorteile. Es sei eine Tatsache, dass
Hausaufgaben in den Familien häufig zu Konflikten führen, und dass ein
beträchtlicher Teil der Eltern keine Zeit habe, das Kind bei den Hausaufgaben
zu begleiten. «Früher war ein Elternteil immer zu Hause. Heute sieht dies bei
einem grossen Teil der Familien anders aus. Und ob man nach einem
Acht-Stunden-Arbeitstag noch Zeit und Nerven hat, mit dem Kind die Hausaufgaben
durchzugehen, bezweifle ich», so Bürkli. Dies sei ein Punkt, der für die
Abschaffung der klassischen Hausaufgaben spreche. Andererseits achte ein
Grossteil der Lehrpersonen darauf, Hausaufgaben zu erteilen, welche die Kinder
nicht überfordern und welche sie alleine machen können.
Generell
stünden zahlreiche Kinder heute unter Zeitdruck und Stress. «Die
Freizeitgestaltung ist heute ein grosses Problem. Häufig sind Kinder in der
Freizeit zu stark verplant.» Und es stünden auch nicht allen Kindern zu Hause
der nötige Platz und die erforderliche Ruhe für Hausaufgaben zur Verfügung.
«Darum ist es legitim, dass die Schulen andere Wege suchen, und die Art der
Vertiefungs- und Übungsarbeit überdenken.» So oder so: Im Grundsatz sei es den
Lehrpersonen bereits heute freigestellt, Hausaufgaben zu geben oder nicht. «Am
Ende muss der Schulstoff sitzen.»
Bürkli
kann sich gut vorstellen, dass das Krienser Modell auch für andere Schulen
interessant klingt. Bis sich ein neues System etabliere, werde es aber noch ein
paar Jahre dauern. Denn: «Hausaufgaben sind ähnlich stark verwurzelt wie das
Notensystem. Sie lassen sich nicht so einfach abschaffen.»
Rolle der Eltern auch an der PH
ein Thema
Auch die
PH Luzern setzt sich mit dem Thema Hausaufgaben auseinander. «In der Ausbildung
gehen wir auf Chancen, aber auch auf die Problematik von Hausaufgaben ein»,
sagt Marco Wyss. Wyss ist Dozent für erziehungswissenschaftliche Fächer im
Studiengang Primarstufe der PH Luzern und begleitet Studierende in Praktika.
Das Schwergewicht der Ausbildung liege im Erteilen von sinnvollen Hausaufgaben.
Es gehe also weniger um die Frage «Hausaufgaben – ja oder nein», sonder
vielmehr darum, die angehenden Lehrpersonen zu einem reflektierten Umgang mit
Hausaufgaben zu befähigen. «Es ist unerlässlich, dass die Kinder Aufträge erhalten,
die sie versehen und selbstständig machen können.» Die Rolle der Eltern werde
ebenfalls thematisiert. «Elterliche Hilfe kann hilfreich, aber auch
kontraproduktiv sein», sagt Wyss.
Verschiedene Wege zum
selbstständigen Lernen
Die
Frage, ob es Sinn macht, die klassischen Hausaufgaben abzuschaffen, ist laut
Wyss zwar berechtigt, aber wenig Gewinn bringend. «Vielmehr geht es um die
Frage, wie und in welcher Art die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen der
Kinder gestärkt werden können.» Die Schule müsse und solle selbstständiges
Lernen fördern. «Dies lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen.
Regelmässige, gut auf die Lernbedürfnisse der Kinder abgestimmte Aufträge
können sowohl im Rahmen der Schule als auch zu Hause eingesetzt werden», sagt
er.
Zum
Argument der Chancengleichheit meint Wyss, dass die Startchancen ungleich
verteilt seien. Einige Kinder verfügten zu Hause über keinen geeigneten
Arbeitsplatz, müssten Familienaufgaben übernehmen, hätten zeitintensive Hobbys
oder Eltern, die aufgrund sprachlicher Barrieren ihre Kinder nicht unterstützen
könnten. «Deshalb können Hausaufgaben die Chancenungleichheit verstärken.»
Fest
steht auch für Wyss: «Üben und Vertiefen sind wichtige Phasen im Lernprozess.»
Ändern würde sich aber mit solchen «Lernzeiten», wie Kriens sie plane, nicht
viel. Das Üben in der Schule habe den Vorteil, dass die entsprechende
Lernumgebung vorhanden sei. Zudem sei die Verbindung zwischen Unterricht und
Hausaufgaben eher gegeben. «Damit das Modell aber funktioniert, braucht es Lehrpersonen,
die es mittragen. Und auch die Bereitschaft der Eltern, der Weiterentwicklung
der Hausaufgabenthematik eine Chance zu geben.» Deshalb müsse das Modell allen
Beteiligten gut erklärt und begründet werden. Zudem sei es wichtig, die
Erfahrungen mit dem neuen Modell sorgfältig zu analysieren und auszuwerten.
Zur
Frage, ob Hausaufgaben in der Zukunft ausgedient haben, sagt Wyss: «Das wird
sich weisen. Es gibt eigentlich keinen Grund, intelligent gestellte, gut vor-
und nachbereitete Hausaufgaben gegenüber der integrierten Form auszuspielen.
Mit Blick auf die Chancengerechtigkeit und die volle Wochenstundentafel kann
man neue Formen wagen.»
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