1. März 2018

Frühfremdsprachen verheizen Mint-Nachwuchs

«Fremdsprachen lernen, je früher, desto besser, ist ein Mythos!» Diese Ansicht vertritt Marianne Manzanell in einem Schreiben an die «Südostschweiz». Sie sitzt im Verwaltungsrat der Bündner Freymatic AG und war Mitglied im Hochschulrat der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur. Mit ihrem Schreiben greift sie das Thema der fehlenden Fachkräfte im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (Mint) auf. Auslöser des Problems sei unter anderem, dass die Schulen zu sprachenorientiert seien.
Zahlen statt Worte für mehr Ingenieure, Südostschweiz, 1.3. von Corinne Raguth Tscharner

Frau Manzanell, wieso ist der Frühsprachenunterricht an den Bündner Schulen Ihrer Meinung nach ein Faktor, der für den Mangel an Ingenieuren verantwortlich ist?
MARIANNE MANZANELL: Mit dem Frühsprachenunterricht verheizen wir potenzielle Mint-Leute schon in der Primarschule. All den Kindern, die in diesen Fächern begabt sind, wird mit der starken Gewichtung auf die sprachlichen Fächer der Karriereweg in die Mint-Berufe erschwert.

Inwiefern ist dieser Weg schwerer einzuschlagen?
Die mathematisch und naturwissenschaftlich begabten Kinder scheitern beim Eintritt in höhere Bildungsstätten an der Sprachenhürde. Sie wenden in der Primarschule viel zu viel Zeit für Fremdsprachen auf. Und das erwiesenermassen mit wenig Erfolg. Das hat einen Einfluss auf ihren späteren schulischen Werdegang. Wenn beispielsweise ein Kind in den Fremdsprachen ungenügende Noten im Zeugnis hat, schafft es den Sprung in die Sekundar- oder Kantonsschule nicht. Das ist aber der Ort, an dem wir den Mint-Nachwuchs haben wollen.

Es braucht den Frühsprachenunterricht also eigentlich nicht?
In der Diskussion über das Lernen von Frühsprachen werden muttersprachliches Lernen und Lernen in Lektionen nicht unterschieden. Dabei sind die Gehirne für abstraktes Denken erst im Alter von zwölf Jahren genug entwickelt, um eine Sprache auf dem schulisch-systematischen Weg zu lernen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Nur wird das in der Politik nicht berücksichtigt.

Ist das nicht eine Kriegserklärung an die Vielsprachigkeit unseres Kantons?
Wenn man den Sprachunterricht abschaffen würde, dann schon. Aber mein Ziel ist nicht die Abschaffung, sondern den Unterricht auf eine Stufe zu stellen, auf der die Kinder wirklich davon profitieren.

Wäre das die Lösung?
Auf alle Fälle sollte man den Sprachunterricht unbedingt erst dann starten, wenn die Kinder dazu bereit sind und die Grundlagen dafür haben. Lehrer an der Kantonsschule haben mir gesagt, dass die Schüler mit Frühsprachenunterricht nach acht Wochen im dritten Schuljahr gleich weit sind wie die Schüler, die bei null anfangen.

Dennoch werden Frühfremdsprachen unterrichtet. Was sind die Konsequenzen?
Die Stunden, die wir im Fremdsprachenbereich einsetzen, gehen zulasten des Textverständnisses in Deutsch und zulasten von Fächern wie Mathematik und Informatik. Das Mint-Wissen ist in der Schweiz aber enorm wichtig, denn genau dort haben wir unsere Wertschöpfung.

Sollte man denn anstelle der Sprachen also die Mint-Fächer früher und intensiver angehen?
Es gibt bereits Bestrebungen, die Fehlentwicklung an den Schulen zu korrigieren. Da ist man auf dem richtigen Weg. Ohne den frühen Fremdsprachenunterricht hätte man zusätzlich mehr Zeit für andere Fächer. Wenn Fremdsprachen in Lektionen gelehrt werden, sind jedoch gute grammatikalische Kenntnisse in der Erstsprache entscheidend.

Sie finden, dass die Ressourcen für die Frühfremdsprachen anderswo eingesetzt werden sollten?
Ja, denn das kostet wahnsinnig viel Geld. Die Lehrer müssen alle Ausbildungen ohne grossen Nutzen machen, und all die Unterrichtsstunden sind kostspielig. Zudem nimmt die Motivation der Kinder für die Schule ab.

Wieso das?

Die Kinder lernen sehr viel und stecken viel Energie in das Fach. Der Erfolg dabei ist aber gering, weil sie noch nicht bereit sind für diese Art von Lernen. Zudem werden die Lehrer verheizt, indem sie realisieren, dass sie mit viel Arbeit wenig Erfolg haben. Und auch die Eltern leiden, die mit den Kindern büffeln müssen. Ich bin eigentlich entsetzt, wie man Bildungspläne machen kann ohne Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die mit wenigen Stichwörtern im Netz zu finden sind.

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