«Fremdsprachen lernen, je früher, desto
besser, ist ein Mythos!» Diese Ansicht vertritt Marianne Manzanell in einem
Schreiben an die «Südostschweiz». Sie sitzt im Verwaltungsrat der Bündner
Freymatic AG und war Mitglied im Hochschulrat der Hochschule für Technik und
Wirtschaft HTW Chur. Mit ihrem Schreiben greift sie das Thema der fehlenden
Fachkräfte im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik (Mint) auf. Auslöser des Problems sei unter anderem, dass die Schulen
zu sprachenorientiert seien.
Zahlen statt Worte für mehr Ingenieure, Südostschweiz, 1.3. von Corinne Raguth Tscharner
Frau Manzanell, wieso ist der
Frühsprachenunterricht an den Bündner Schulen Ihrer Meinung nach ein Faktor,
der für den Mangel an Ingenieuren verantwortlich ist?
MARIANNE MANZANELL: Mit dem
Frühsprachenunterricht verheizen wir potenzielle Mint-Leute schon in der
Primarschule. All den Kindern, die in diesen Fächern begabt sind, wird mit der
starken Gewichtung auf die sprachlichen Fächer der Karriereweg in die
Mint-Berufe erschwert.
Inwiefern ist dieser Weg schwerer
einzuschlagen?
Die mathematisch und
naturwissenschaftlich begabten Kinder scheitern beim Eintritt in höhere
Bildungsstätten an der Sprachenhürde. Sie wenden in der Primarschule viel zu
viel Zeit für Fremdsprachen auf. Und das erwiesenermassen mit wenig Erfolg. Das
hat einen Einfluss auf ihren späteren schulischen Werdegang. Wenn
beispielsweise ein Kind in den Fremdsprachen ungenügende Noten im Zeugnis hat,
schafft es den Sprung in die Sekundar- oder Kantonsschule nicht. Das ist aber
der Ort, an dem wir den Mint-Nachwuchs haben wollen.
Es braucht den Frühsprachenunterricht
also eigentlich nicht?
In der Diskussion über das Lernen von
Frühsprachen werden muttersprachliches Lernen und Lernen in Lektionen nicht
unterschieden. Dabei sind die Gehirne für abstraktes Denken erst im Alter von
zwölf Jahren genug entwickelt, um eine Sprache auf dem schulisch-systematischen
Weg zu lernen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Nur wird das in der Politik
nicht berücksichtigt.
Ist das nicht eine Kriegserklärung an
die Vielsprachigkeit unseres Kantons?
Wenn man den Sprachunterricht
abschaffen würde, dann schon. Aber mein Ziel ist nicht die Abschaffung, sondern
den Unterricht auf eine Stufe zu stellen, auf der die Kinder wirklich davon
profitieren.
Wäre das die Lösung?
Auf alle Fälle sollte man den
Sprachunterricht unbedingt erst dann starten, wenn die Kinder dazu bereit sind
und die Grundlagen dafür haben. Lehrer an der Kantonsschule haben mir gesagt,
dass die Schüler mit Frühsprachenunterricht nach acht Wochen im dritten
Schuljahr gleich weit sind wie die Schüler, die bei null anfangen.
Dennoch werden Frühfremdsprachen
unterrichtet. Was sind die Konsequenzen?
Die Stunden, die wir im
Fremdsprachenbereich einsetzen, gehen zulasten des Textverständnisses in
Deutsch und zulasten von Fächern wie Mathematik und Informatik. Das Mint-Wissen
ist in der Schweiz aber enorm wichtig, denn genau dort haben wir unsere Wertschöpfung.
Sollte man denn anstelle der Sprachen
also die Mint-Fächer früher und intensiver angehen?
Es gibt bereits Bestrebungen, die
Fehlentwicklung an den Schulen zu korrigieren. Da ist man auf dem richtigen
Weg. Ohne den frühen Fremdsprachenunterricht hätte man zusätzlich mehr Zeit für
andere Fächer. Wenn Fremdsprachen in Lektionen gelehrt werden, sind jedoch gute
grammatikalische Kenntnisse in der Erstsprache entscheidend.
Sie finden, dass die Ressourcen für die
Frühfremdsprachen anderswo eingesetzt werden sollten?
Ja, denn das kostet wahnsinnig viel
Geld. Die Lehrer müssen alle Ausbildungen ohne grossen Nutzen machen, und all
die Unterrichtsstunden sind kostspielig. Zudem nimmt die Motivation der Kinder
für die Schule ab.
Wieso das?
Die Kinder lernen sehr viel und
stecken viel Energie in das Fach. Der Erfolg dabei ist aber gering, weil sie
noch nicht bereit sind für diese Art von Lernen. Zudem werden die Lehrer
verheizt, indem sie realisieren, dass sie mit viel Arbeit wenig Erfolg haben.
Und auch die Eltern leiden, die mit den Kindern büffeln müssen. Ich bin
eigentlich entsetzt, wie man Bildungspläne machen kann ohne Berücksichtigung
von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die mit wenigen Stichwörtern im Netz zu
finden sind.
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