Es sind
die zwei bevölkerungsreichsten Kantone der Schweiz, die am 4. März über den
Lehrplan 21 abstimmen. Und doch interessiert sich ausserhalb von Bern und
Zürich kaum jemand für die Abstimmung. Das ist erstaunlich, hatte der
gemeinsame Lehrplan für die ganze Deutschschweiz vor kurzem noch die Emotionen
hochgehen lassen.
Der Widerstand gegen den Lehrplan 21 ist erlahmt, Luzerner Zeitung, 13.2. von Roger Braun
Die SVP
witterte im Lehrplan einst einen Wahlkampfschlager und schoss aus allen Rohren
gegen das «ideologieverbrämte» Reformwerk der kantonalen Erziehungsdirektoren.
Die Partei kritisierte die «Bürokratisierung der Schule», eine
«antiföderalistische Gleichschaltung» und eine «Laissez-faire-Pädagogik», die
von Vertretern der 68-Bewegung vorangetrieben werde. 2008 berief die Partei
eigens einen Sonderparteitag ein, um sich für den Kampf einzuschwören. Zwei
Jahre später legte sie ein 139-seitiges Grundlagenpapier für eine konservative
Wende in der Schule vor. Es folgte ein 93-seitiges Gegenprojekt zum Lehrplan
21. Im Wahlkampf 2011 machten SVP-Granden wie Toni Brunner, Silvia Blocher und
Ulrich Schlüer Kampagne mit der Volksschule. Alle sie demonstrierten
Kampfeswille, um gegen den Lehrplan vorzugehen.
Interne Kritik am Abseitsstehen
der SVP
Nun da die
Abstimmungen in Bern und Zürich anstehen, hält die Partei jedoch still. Von der
SVP Schweiz ist nichts zu hören, die letzte Medienmitteilung der Partei zur
Bildung datiert aus dem Jahre 2014. Dies mag mit der vernichtenden Bilanz der
bisherigen Volksabstimmungen zusammenhängen. In sechs Kantonen hat die
Stimmbevölkerung bisher über den neuen Lehrplan befunden – und jedes Mal hiess
es diesen gut. Nicht einmal knapp wurde es. Mit Nein-Mehrheiten von zwei
Dritteln bis drei Vierteln lehnten die Stimmberechtigen die Bürger-Initiativen
gegen den Willen der SVP jeweils ab.
Hat die SVP
den Widerstand gegen den Lehrplan aufgegeben? Schlüer sagt, die Partei komme
nicht darum herum, Prioritäten zu setzen. «Bei der Frage nach dem
Rahmenabkommen mit der EU geht es um die Existenz der Schweiz, da müssen wir
alle Kräfte auf diese Aufgabe konzentrieren.» Von einer Aufgabe des Themas will
er nicht sprechen, so engagiere er sich beispielsweise im Vorstand des
Initiativkomitees in Zürich. Gleichzeitig räumt er ein, dass die SVP Schweiz
vor einigen Jahren in der Bildungspolitik noch deutlich aktiver gewesen sei.
«Aufgrund der aktuellen Erfordernisse muss die Bildungspolitik zurückstehen»,
sagt er.
Schlüer
engagiert sich unter anderem im Verein «Bildungs-kompass», der versucht, die
reformkritischen kantonalen Bürgerkomitees zu vernetzen. Mit dabei ist dort
auch Anian Liebrand, der ehemalige Präsident der Jungen SVP. Er drückt es noch
etwas deutlicher aus als Schlüer. «Die SVP Schweiz hat das Thema die
vergangenen Jahre schleifen lassen», sagt er. «Die hundertseitigen Papiere, die
mit viel Aufwand erarbeitet wurden, versanden», bedauert er. Auch der Kontakt
zu kritischen Lehrpersonen und Bildungsfachleuten sei auf Eis gelegt. Mit Blick
auf die umfassenden Vorarbeiten sagt er: «Wir waren einst sehr gut aufgestellt,
doch nun ziehen wir die Sache nicht durch. Das ist ein Fehler.»
Das
Abseitsstehen der SVP hilft den kantonalen Behörden, die den Lehrplan einst
entwickelt haben. «Nachdem sich die SVP vom Thema abgewendet hatte, hat sich
die Debatte deutlich beruhigt», sagt der ehemalige Präsident der
Erziehungsdirektorenkonferenz und heutiger Nationalrat der Liberalen Partei,
Christoph Eymann (BS). In den deutlichen Abstimmungsresultaten erkennt er ein
Grundvertrauen der Bevölkerung in die Behörden, wenn es um die detaillierte
Bestimmung der Lerninhalte geht. Er geht davon aus, dass der Lehrplan 21 auch
in Zürich und Bern eine komfortable Mehrheit finden wird. Selbst Liebrand als
Gegner des Lehrplan 21 schätzt die Lage als schwierig ein.
«Aufgrund der
klaren Resultate in anderen Kantonen wäre es eine grosse Überraschung, wenn
die Initiativen angenommen würden», sagt er.
Eliane Perret hat folgenden Kommentar verfasst:
AntwortenLöschenWenn es tatsächlich so wäre, dass der Widerstand gegen den Lehrplan 21 erlahmt ist, wäre das ein Armutszeugnis für unsere Demokratie. Das würde bedeuten, dass es unseren "Volksvertretern", Bildungsobrigkeiten und deren Lobbies mit Hilfe der Medienübermacht gelungen ist, die Diskussion zu zertrümmern. Immerhin haben bei jeder der bisherigen Abstimmungen zum Lehrplan 21 ein Drittel, d.h. jeder Dritte für die Initiativen gestimmt und damit gezeigt, dass sie es wagen, sich auf Grund vertiefter Informationen aus alternativen Informationsquellen selber eine Meinung zu bilden und gegen den Mainstream zu votieren.