28. Februar 2018

Mille feuilles-Macher nehmen Kritik ernst

In den Räumen des Schulverlags Plus in Bern riecht es nach frisch gedruckten Büchern. Entfernt erinnert der Geruch auch an die eigene Schulzeit. Auf den Regalen sind Bestseller wie das Kochbuch «Tiptopf» aufgereiht, aber auch Publikationen, die dem Verlag bisher keinen Gewinn eingebracht haben. Ein solches Lehrmittel ist «Mille feuilles», mit dem Drittklässler seit 2011 die französische Sprache entdecken sollen. Ende dieses Schuljahrs wird die erste Generation von Schülern der dritten bis zur neunten Klasse mit «Mille feuilles» und dem Oberstufenwerk «Clin d’œil» Französisch gelernt haben.
Verlagsleiter Bernhard Kobel und Projektleiterin Michelle Harnisch bleiben optimistisch, Bild: Raphael Moser
Im Sprachlabor der Macher von "Mille feuilles", Berner Zeitung, 26.2. von Mirjam Messerli


Bis spätestens Ende Jahr soll die Universität Freiburg erste wissenschaftliche Ergebnisse darüber vorlegen, wie gut die Kinder und Jugendlichen denn nun die Sprache beherrschen. Doch schon während des ersten Durchgangs mit dem neuen Lehrmittel war die Kritik aus den beteiligten sechs Kantonen derart gross, dass Teile überarbeitet wurden und werden. Der Kanton Baselland erwägt sogar den Ausstieg aus dem Sprachenprojekt Passepartout. Grob zusammengefasst wird bemängelt: Die Schüler könnten nicht besser Französisch, obschon sie bereits in der dritten Klasse damit begonnen hätten statt wie früher in der fünften.

Bernhard Kobel hat gewisses Verständnis für die Kritik. «Etwas so grundlegend Neues ist für alle eine Herausforderung.» Trotzdem würde sich der Geschäftsführer des Schulverlags «etwas mehr Geduld» mit «Mille feuilles» wünschen. «Es macht keinen Sinn, dauernd an einem Lehrmittel herumzuschrauben, wenn noch nicht einmal die ersten fundierten Ergebnisse zu seinem Nutzen vorliegen.»

Kantone fordern Service
Dessen ungeachtet haben die beteiligten Kantone letztes Jahr gefordert, dass der Schulverlag «Mille feuilles» für das fünfte und das sechste Schuljahr grundlegend überarbeitet. Ein ungenügendes Zeugnis also für das neue Lehrmittel? Nein, findet Kobel. «Viele Kritiker meinen eigentlich den Lehrplan 21, wenn sie das Lehrmittel als schlecht bezeichnen.»

Nicht der Schulverlag habe die neue Didaktik vorgegeben. «Mille feuilles» basiere auf dem Lehrplan 21 und der gesamtschweizerischen Sprachenstrategie. «Auf diesen Grundlagen bauten wir das Lehrmittel auf und gewannen mit unserem Konzept die damalige Ausschreibung», sagt Kobel. Er findet es «etwas einfach», wenn nun von politischer Seite die Arbeit von Fachleuten schlechtgemacht werde, «die doch bloss einen politischen Auftrag umgesetzt haben».

Den Einwand, Kritik komme ja auch von Schulen und Eltern, lässt der Verlagsleiter teilweise gelten: Lehrpersonen, aber auch Eltern müssten sich an die neue Didaktik gewöhnen. «Für die Lehrerinnen und Lehrer bringt ein neues Lehrmittel zunächst ganz klar mehr Aufwand beim Vorbereiten der Lektionen.»

Es sei der Akzeptanz zudem nicht förderlich, wenn ein Lehrmittel in gewissen Kantonen obligatorisch sei. «Wir wissen ja alle, wie wir reagieren, wenn uns etwas vorgeschrieben wird.»

Verlag finanziert vor
Die stark überarbeitete Auflage von «Mille feuilles» 5 dürfte frü- hestens auf das Schuljahr 2019/2020 vorliegen. Ein Jahr später «Mille feuilles» 6.

Bereits diesen Sommer erscheint aber eine Ergänzung für die fünften und sechsten Klassen. «On bavarde?», plaudern wir?, heisst die neue Sprachspielbox, mit der die Kinder in Rollenspielen das Sprechen in Alltagssituationen verbessern sollen. Wollen die Schulen diese Box einsetzen, müssen sie sie aber zum ursprünglichen Lehrmittel dazukaufen. Dieses sei sowieso schon kostspielig, weil es pro Schuljahr und Schüler nur einmal verwendet werden könne, wurde von Gemeinden bemängelt. Kritiker sagen, der Schulverlag wolle auf diese Weise Umsatz generieren.

Kobel winkt ab: «Mille feuilles» sei ein Projekt, das der Verlag vorfinanziere. «Umsatz haben wir damit zwar gemacht, aber die Investitionskosten sind bei weitem nicht refinanziert.» Auch die Kosten für die Überarbeitung trägt der Schulverlag. Sie seien «recht hoch», sagt der Geschäftsführer, ohne das näher zu beziffern. Das Konzept für die neue Version von «Mille feuilles» 5 und 6 wird den Kantonen in den nächsten Wochen präsentiert. Sie sollen die Details zuerst erfahren.

Bisher ein Verlustgeschäft
Was Kobel aber ausführt: Bisher habe der Schulverlag einen «tiefen zweistelligen Millionenbetrag» in die Entwicklung des neuen Lehrmittels gesteckt. «Ein Lehrmittel auf den Markt zu bringen, ist etwas Langfristiges.» Bei einem grösseren Auftrag rechnet der Verlag mit fünf bis sechs Jahren, bis er daran verdient. Bei «Mille feuilles» wird es länger dauern. Eben weil es laufend weiterentwickelt wird und eines der grössten Projekte des Schulverlags ist.

Für Inhalt und Gestaltung mitverantwortlich ist seit drei Jahren Michelle Harnisch. Seit einem Jahr ist sie Projektleiterin. Die bilingue Sozialwissenschaftlerin entwickelt «Mille feuilles» gemeinsam mit zahlreichen Autoren, Fachleuten, Gestaltern oder Multimediaspezialisten. «Wir nehmen jede Kritik ernst», sagt Harnisch. So hätten Lehrpersonen den Wunsch nach einer Verbtabelle geäussert, auf der die verschiedenen Zeitformen auf einen Blick ersichtlich seien.

Für die Oberstufe habe der Verlag eine solche nachgeliefert, erklärt die Projektleiterin. Nicht aber für die Unterstufe: «Dort steht nicht das Wörtli- oder das Verbformenlernen im Fokus. Die Kinder sollen ein Gefühl für die Sprache entwickeln.» Dieses «Sprachbad» basiert auf der Erkenntnis, dass ein Kleinkind eine Sprache lernt, indem es sie immer wieder hört.

Auch der multimediale Teil von «Mille feuilles» wird laufend angepasst. Zu Beginn arbeiteten die Schüler mit einer beigelegten CD, nun können sie unter anderem über eine App zu den Inhalten gelangen. Auch in diesem Punkt sieht Verlagsleiter Bernhard Kobel ein Problem bei den Vorgaben für das Lehrmittel: «Es musste zwar multimedial sein, noch sind aber nicht alle Schulen technisch auf dem gleichen Stand.» Gewisse Angebote könnten sie nur eingeschränkt nutzen. Das neue Lehrmittel habe aber dazu beigetragen, dass die Schulen in ihre IT-Infrastruktur investiert hätten. «Das empfinden viele Lehrpersonen als positiv.»

Als Pioniere im Fokus
Auf «Mille feuilles» ist Kobel trotz aller Kritik stolz: «Wir haben mit diesem Lehrmittel Pionierarbeit geleistet.» Nicht zuletzt deshalb sei die Kritik daran auch grösser als bei einem konventionelleren Werk. Auch für die Zukunft von «Mille feuilles» ist Kobel optimistisch. Bei jedem Paradigmenwechsel dauere es zehn Jahre, bis die neuen Denkund Verhaltensmuster akzeptiert seien, sagt Kobel.


«Über das Lehrmittel ‹Bonne chance› wurde auch diskutiert, als es 1987 eingeführt wurde.» Darum ist er überzeugt: «Grössenordnung ab 2021 wird ‹Mille feuilles› akzeptiert sein, und kaum einer möchte es noch tauschen.» On verra.

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