In den
Räumen des Schulverlags Plus in Bern riecht es nach frisch gedruckten Büchern.
Entfernt erinnert der Geruch auch an die eigene Schulzeit. Auf den Regalen sind
Bestseller wie das Kochbuch «Tiptopf» aufgereiht, aber auch Publikationen, die
dem Verlag bisher keinen Gewinn eingebracht haben. Ein solches Lehrmittel ist
«Mille feuilles», mit dem Drittklässler seit 2011 die französische Sprache
entdecken sollen. Ende dieses Schuljahrs wird die erste Generation von Schülern
der dritten bis zur neunten Klasse mit «Mille feuilles» und dem Oberstufenwerk
«Clin d’œil» Französisch gelernt haben.
Verlagsleiter Bernhard Kobel und Projektleiterin Michelle Harnisch bleiben optimistisch, Bild: Raphael Moser
Im Sprachlabor der Macher von "Mille feuilles", Berner Zeitung, 26.2. von Mirjam Messerli
Bis
spätestens Ende Jahr soll die Universität Freiburg erste wissenschaftliche
Ergebnisse darüber vorlegen, wie gut die Kinder und Jugendlichen denn nun die
Sprache beherrschen. Doch schon während des ersten Durchgangs mit dem neuen
Lehrmittel war die Kritik aus den beteiligten sechs Kantonen derart gross, dass
Teile überarbeitet wurden und werden. Der Kanton Baselland erwägt sogar den
Ausstieg aus dem Sprachenprojekt Passepartout. Grob zusammengefasst wird
bemängelt: Die Schüler könnten nicht besser Französisch, obschon sie bereits in
der dritten Klasse damit begonnen hätten statt wie früher in der fünften.
Bernhard
Kobel hat gewisses Verständnis für die Kritik. «Etwas so grundlegend Neues ist
für alle eine Herausforderung.» Trotzdem würde sich der Geschäftsführer des
Schulverlags «etwas mehr Geduld» mit «Mille feuilles» wünschen. «Es macht
keinen Sinn, dauernd an einem Lehrmittel herumzuschrauben, wenn noch nicht
einmal die ersten fundierten Ergebnisse zu seinem Nutzen vorliegen.»
Kantone fordern Service
Dessen
ungeachtet haben die beteiligten Kantone letztes Jahr gefordert, dass der
Schulverlag «Mille feuilles» für das fünfte und das sechste Schuljahr grundlegend
überarbeitet. Ein ungenügendes Zeugnis also für das neue Lehrmittel? Nein,
findet Kobel. «Viele Kritiker meinen eigentlich den Lehrplan 21, wenn sie das
Lehrmittel als schlecht bezeichnen.»
Nicht
der Schulverlag habe die neue Didaktik vorgegeben. «Mille feuilles» basiere auf
dem Lehrplan 21 und der gesamtschweizerischen Sprachenstrategie. «Auf diesen
Grundlagen bauten wir das Lehrmittel auf und gewannen mit unserem Konzept die
damalige Ausschreibung», sagt Kobel. Er findet es «etwas einfach», wenn nun von
politischer Seite die Arbeit von Fachleuten schlechtgemacht werde, «die doch
bloss einen politischen Auftrag umgesetzt haben».
Den
Einwand, Kritik komme ja auch von Schulen und Eltern, lässt der Verlagsleiter
teilweise gelten: Lehrpersonen, aber auch Eltern müssten sich an die neue
Didaktik gewöhnen. «Für die Lehrerinnen und Lehrer bringt ein neues Lehrmittel
zunächst ganz klar mehr Aufwand beim Vorbereiten der Lektionen.»
Es sei
der Akzeptanz zudem nicht förderlich, wenn ein Lehrmittel in gewissen Kantonen
obligatorisch sei. «Wir wissen ja alle, wie wir reagieren, wenn uns etwas
vorgeschrieben wird.»
Verlag finanziert vor
Die
stark überarbeitete Auflage von «Mille feuilles» 5 dürfte frü- hestens auf das
Schuljahr 2019/2020 vorliegen. Ein Jahr später «Mille feuilles» 6.
Bereits
diesen Sommer erscheint aber eine Ergänzung für die fünften und sechsten
Klassen. «On bavarde?», plaudern wir?, heisst die neue Sprachspielbox, mit der
die Kinder in Rollenspielen das Sprechen in Alltagssituationen verbessern
sollen. Wollen die Schulen diese Box einsetzen, müssen sie sie aber zum
ursprünglichen Lehrmittel dazukaufen. Dieses sei sowieso schon kostspielig,
weil es pro Schuljahr und Schüler nur einmal verwendet werden könne, wurde von
Gemeinden bemängelt. Kritiker sagen, der Schulverlag wolle auf diese Weise Umsatz
generieren.
Kobel
winkt ab: «Mille feuilles» sei ein Projekt, das der Verlag vorfinanziere.
«Umsatz haben wir damit zwar gemacht, aber die Investitionskosten sind bei
weitem nicht refinanziert.» Auch die Kosten für die Überarbeitung trägt der
Schulverlag. Sie seien «recht hoch», sagt der Geschäftsführer, ohne das näher
zu beziffern. Das Konzept für die neue Version von «Mille feuilles» 5 und 6
wird den Kantonen in den nächsten Wochen präsentiert. Sie sollen die Details
zuerst erfahren.
Bisher ein Verlustgeschäft
Was
Kobel aber ausführt: Bisher habe der Schulverlag einen «tiefen zweistelligen
Millionenbetrag» in die Entwicklung des neuen Lehrmittels gesteckt. «Ein
Lehrmittel auf den Markt zu bringen, ist etwas Langfristiges.» Bei einem
grösseren Auftrag rechnet der Verlag mit fünf bis sechs Jahren, bis er daran
verdient. Bei «Mille feuilles» wird es länger dauern. Eben weil es laufend
weiterentwickelt wird und eines der grössten Projekte des Schulverlags ist.
Für
Inhalt und Gestaltung mitverantwortlich ist seit drei Jahren Michelle Harnisch.
Seit einem Jahr ist sie Projektleiterin. Die bilingue Sozialwissenschaftlerin
entwickelt «Mille feuilles» gemeinsam mit zahlreichen Autoren, Fachleuten,
Gestaltern oder Multimediaspezialisten. «Wir nehmen jede Kritik ernst», sagt
Harnisch. So hätten Lehrpersonen den Wunsch nach einer Verbtabelle geäussert,
auf der die verschiedenen Zeitformen auf einen Blick ersichtlich seien.
Für die
Oberstufe habe der Verlag eine solche nachgeliefert, erklärt die
Projektleiterin. Nicht aber für die Unterstufe: «Dort steht nicht das Wörtli-
oder das Verbformenlernen im Fokus. Die Kinder sollen ein Gefühl für die
Sprache entwickeln.» Dieses «Sprachbad» basiert auf der Erkenntnis, dass ein
Kleinkind eine Sprache lernt, indem es sie immer wieder hört.
Auch
der multimediale Teil von «Mille feuilles» wird laufend angepasst. Zu Beginn
arbeiteten die Schüler mit einer beigelegten CD, nun können sie unter anderem
über eine App zu den Inhalten gelangen. Auch in diesem Punkt sieht
Verlagsleiter Bernhard Kobel ein Problem bei den Vorgaben für das Lehrmittel:
«Es musste zwar multimedial sein, noch sind aber nicht alle Schulen technisch
auf dem gleichen Stand.» Gewisse Angebote könnten sie nur eingeschränkt nutzen.
Das neue Lehrmittel habe aber dazu beigetragen, dass die Schulen in ihre
IT-Infrastruktur investiert hätten. «Das empfinden viele Lehrpersonen als
positiv.»
Als Pioniere im Fokus
Auf
«Mille feuilles» ist Kobel trotz aller Kritik stolz: «Wir haben mit diesem
Lehrmittel Pionierarbeit geleistet.» Nicht zuletzt deshalb sei die Kritik daran
auch grösser als bei einem konventionelleren Werk. Auch für die Zukunft von
«Mille feuilles» ist Kobel optimistisch. Bei jedem Paradigmenwechsel dauere es
zehn Jahre, bis die neuen Denkund Verhaltensmuster akzeptiert seien, sagt
Kobel.
«Über
das Lehrmittel ‹Bonne chance› wurde auch diskutiert, als es 1987 eingeführt
wurde.» Darum ist er überzeugt: «Grössenordnung ab 2021 wird ‹Mille feuilles›
akzeptiert sein, und kaum einer möchte es noch tauschen.» On verra.
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