30. Januar 2018

Scheinheilige Beschwichtigungen und Durchhalteparolen

Als Reaktion auf Kritik sprachen die Verantwortungsträger kritischen Eltern und erfahrenen Lehrpersonen jahrelang die Urteilskraft ab. Erst aufgrund der unübersehbaren, verheerenden Auswirkungen der Passepartout-Ideologie und des medialen Drucks sah sich Passepartout-Projektleiter Reto Furter gezwungen, sein 50-Millionen-Projekt ineinem Interview mit der BaZ zurechtfertigen. Mit scheinheiligen Beschwichtigungsversuchen, verzweifelten Durchhalteparolen und abenteuerlichen Prognosen demonstriert er einmal mehr, dass das Projektmanagement nicht imstande ist, das untaugliche Konzept der sogenannten Mehrsprachigkeitsdidaktik und die dazugehörenden Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’œil» und «New World» ernsthaft zu hinterfragen. Im Gegenteil. Trotz der verheerenden Umfragewerte, trotz massiver Kritik anlässlich kantonaler Passepartout-Hearings und trotz andauernder Negativpresse wird auf der mit Steuergeldern finanzierten Passepartout-Website weiterhin ein ideologisch verklärtes Bild vermittelt, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Eine widersprüchliche Ideologie, Basler Zeitung, 30.1. von Jürg Wiedemann

Einerseits behauptet das Projektmanagement, man habe die Französischlehrmittel vor der Einführung seriös erprobt. Andererseits wird gefordert, man müsse den Schlussbericht der Evaluation im Jahr 2021 abwarten, um beurteilen zu können, ob sich die flächendeckende Einführung dieser im internationalen Vergleich bizarren Didaktik bewährt habe. Ein klarer Widerspruch in sich selbst. Widersprüchlichkeit ist denn auch eines der Hauptmerkmale der Passepartout-Ideologen:

Dank «Sprachbad» seien die Kinder in der Lage, die Fremdsprache wie ihre Muttersprache zu erlernen – ganz ohne «Büffeln». Vier Jahre später verkündet Manuele Vanotti, der für das Passepartout-Projekt im Kanton Basel-Stadt verantwortlich ist, dass es sich um kein «Sprachbad» handle, da die wöchentliche Unterrichtszeit von lediglich zwei bis drei Wochenlektionen viel zu kurz sei. Die Rahmenbedingungen waren allerdings von Beginn an klar, sodass seitens der Passepartout-Ideologen gesunder Menschenverstand gereicht hätte, um gar nie erst die unhaltbare Behauptung eines «Sprachbads» aufzustellen.
Dank der angeblichen Überlegenheit der Mehrsprachigkeitsdidaktik seien die Kinder schon nach kurzer Zeit darin geschult, sich in der Fremdsprache handlungsorientiert und frei zu äussern. Vier Jahre später muss das Passepartout-Management eingestehen, dass die Kinder nach über 350 Lektionen Frühfranzösisch noch nicht einmal die wichtigsten 300 Wörter beherrschen, also weniger als ein Wort pro Lektion gelernt haben.

Dank angepriesener Lernstrategien seien die Lernenden fähig, die grammatischen Strukturen zu entdecken und sie sich anzueignen. Nach sechs Jahren sehen sich die Gymnasien im Kanton Bern allerdings gezwungen, den Grammatikteil aus den Aufnahmeprüfungen zu streichen. Die lapidare Begründung: Man kann nicht abfragen, was nicht vorhanden ist.

Dank vermehrter Sprachvergleiche seien die Schüler/-innen in der Lage, selbst komplizierte Texte zu entschlüsseln. Nach sechs Jahren weist die Mehrsprachigkeitsforscherin Susanne Zbinden jedoch wissenschaftlich nach, dass das Leseverständnis der «Clin d’œil»-Lernenden signifikant schlechter ist als dasjenige derer, welche die französische Sprache mit Texten gelernt haben, die dem jeweiligen Sprachniveau angepasst sind. Und erst nach sechs Jahren hartnäckiger Beratungsresistenz sieht sich der «Schulverlag plus» aufgrund einer Intervention der betroffenen sechs Bildungsdirektor/-innen gezwungen, «Mille feuilles 5» und «Mille feuilles 6» «substanziell» umzuschreiben. Offensichtlich wird mit der angekündigten Überarbeitung versucht, zu retten, was nicht zu retten ist.

Angesichts dieser verheerenden Bilanz ist es höchste Zeit, die grobfahrlässige Schulutopie Passepartout zu stoppen. Danach kann sich der Fremdsprachenunterricht wieder erfolgreich an der bewährten und international anerkannten Didaktik orientieren. Es darf nicht sein, dass die Passepartout-Verantwortlichen aus Eigeninteressen zulasten der Schülerinnen und Schüler auf Zeit spielen, sei es um des Geldes wegen oder um das eigene Gesicht zu wahren.

Jürg Wiedemann, Landrat Grüne-Unabhängige und Vorstand Starke Schule beider Basel.


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