Die Kritik am Passepartout-Konzept mit seinen umstrittenen Lehrmitteln und -methoden reisst nicht ab. In all den Jahren hat sich trotz des grossen Widerstandes von Seiten der Lehrer und aus der Elternschaft jedoch wenig getan. Die völlig unbrauchbaren Lehrmittel Mille feuilles und New World werden weiterhin flächendeckend in den sechs Passepartout- Kantonen (BS, BL, SO, BE, FR, VS) und in Graubünden (New World) eingesetzt. Heftiger Widerstand in Graubünden bis direkt an die Spitze des Erziehungsdepartements prallte aber an der kompromisslosen Haltung von Erziehungschef Martin Jäger (SP) ab. Ohne auf die inhaltliche Kritik einzugehen, verheizte man dort einen ganzen Jahrgang mit Probefassungen von New World. Man ist offenbar bereit, schamlos die Schulkinder den Kopf hinhalten zu lassen, damit die eigene Unfähigkeit nicht zu Tage treten soll. Neben den Politikern, die sich hinter den Verantwortlichen verstecken, ist auch die Haltung der PH als "Kompetenzzentren" verantwortungslos. Niemand fand und findet sich, der offen Stellung bezieht, obwohl hinter vorgehaltener Hand unablässig über die Lehrmittel hergezogen wird. Wie hier schon früher beschrieben, arbeiten die Bildungspolitik, PH und die Verlage zusammen. Der angefügte Artikel aus dem Jahre 2011 belegt, dass die Kritik an den Lehrmitteln nicht neu ist. Nun wäre es endlich an der Zeit zu handeln! (uk)
Schlechte Noten für "Mille feuilles", Berner Zeitung, 12.9.2011
Im Kanton Zürich
rebellieren ganze Schulen gegen das eigens fürs Frühenglisch entwickelte
Lehrmittel. Es sei zu kompliziert und überfordere die meisten. Zudem fehle es
an Übungsmaterial, der Aufwand für die Lehrer sei zu hoch (wir berichteten).
Auch im Kanton Bern ist
seit den Sommerferien ein neues Lehrmittel im Einsatz (siehe Box). «Mille
feuilles», so der Name, wurde fürs Frühfranzösisch ab der dritten Klasse
entwickelt. Wie einst das Zürcher Englischlehrmittel, so priesen die Fachleute
auch «Mille feuilles» als Unterrichtsmaterial, das modernste pädagogische und
didaktische Ansprüche erfülle. Margreth Däscher, Projektverantwortliche bei der
Berner Erziehungsdirektion, betonte bei verschiedenen Gelegenheiten, dass sie
«schaurig den Plausch» am neuen Lehrmittel habe.
Fortschritte
kaum messbar
Aber reicht es, wenn
Fachleute und vielleicht auch die Schülerinnen und Schüler den Plausch haben?
Oder droht das Frühfranzösischlehrmittel ebenso Schiffbruch zu erleiden wie das
Englischlehrmittel im Kanton Zürich? Laut Urs Kalberer, Bündner Sekundarlehrer
und Sprachdidaktiker, muss die Methode des Sprachenlernens nicht modern,
sondern effektiv sein. Er kennt das umstrittene Zürcher Englischlehrmittel und
hat sich für diese Zeitung mit «Mille feuilles» auseinandergesetzt. Er stellt
dem Lehrmittel kein gutes Zeugnis aus und sieht durchaus Parallelen zum Zürcher
Lehrmittel.
So bei den Lernzielen.
Danach sollen die Kinder kommunikative Handlungsfähigkeit, das Bewusstsein für
Sprache und Kulturen sowie lernstrategische Kompetenzen erwerben. «Das
eigentliche Erlernen der Sprache wird mit Inhalten angereichert, die mit dem
Spracherwerb nur indirekt etwas zu tun haben», sagt Kalberer. Dazu komme, dass
sich die Lernziele nur schwer oder gar nicht überprüfen liessen.
Auch übersteige «Mille
feuilles» die intellektuelle Fähigkeit der meisten Primarschüler. Ein Lernziel
laute etwa: «Ich habe gelernt, die Rückmeldungen und Beurteilungen von
Mitschülern als Chance zum Weiterlernen zu nutzen.» Laut Kalberer ein sehr
ambitioniertes Ziel für einen Maturanden. «Aber was soll ein Drittklässler
damit konkret anfangen?»
Umstrittenes
Konzept
«Mille feuilles» basiere
zudem, wie das Zürcher Lehrmittel auch, auf dem sogenannten
handlungsorientierten Lernen. Ein laut Kalberer sehr zeitintensives Konzept,
das sich für motivierte Erwachsene, nicht aber für Primarschüler eignet.
Ausserdem stelle das Lehrmittel sehr hohe Anforderungen an das organisatorische
Geschick der Lehrkraft: «Unverständlich, dass man eine derart umstrittene
Methode flächendeckend einsetzt.»
Kalberer kritisiert auch
den linguistischen Ansatz des Lehrmittels. Dieser sieht vor, das Hören und
Verstehen in der Fremdsprache zu fördern. Dafür wäre jedoch viel mehr Input und
eine hervorragende Sprachkompetenz der Lehrer nötig, sagt Kalberer. «Mit nur
drei Wochenlektionen fehlt allerdings die Zeit.» Der Input werde zudem durch
die langen deutschen Sequenzen im Lehrmittel zusätzlich verringert.
Fachleute
ohne Plan?
Kalberers Fazit zu
«Mille feuilles» ist vernichtend: «Bei den Lehrmitteln zeigt sich, dass die
Promotoren des frühen Sprachunterrichts nicht wissen, wie man Primarschülern
eine Fremdsprache beibringt.» Zwar haben die sechs Passepartout-Kantone die
Entwicklung von «Mille feuilles» nicht finanziert. Sie haben sich gegenüber dem
Schulverlag jedoch verpflichtet, das Lehrmittel zu nutzen. Bleibt die Hoffnung
des Berner Erziehungsdirektors Bernhard Pulver (Grüne), dass die Kinder mit
Frühfranzösisch die Hemmungen verlieren, in der fremden Sprache zu sprechen.
Doch auch hier zweifelt Kalberer: «Spätestens mit der Pubertät sind alle
Hemmungen wieder da.»
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