19. Januar 2018

Nur vereinzelte Kritik an Strassburger Urteil

Holzpenisse und Plüschvaginas erhitzten 2011 die rechtskonservativen Gemüter: Sie waren der Meinung, die als Sex-Koffer apostrophierten Unterrichtsmaterialien, die an Basler Schulen zum Einsatz gekommen seien, enthielten «pornografische Inhalte». Liberalere Geister verglichen das Instrument 2015 während der parlamentarischen Debatten zur schliesslich wieder zurückgezogenen Schutzinitiative, wonach Sexualkunde Sache der Eltern sein sollte, dann lieber mit einer «Bäbistube» (Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann).
«Beim Schwimmunterricht ist das etwas anderes», NZZ, 19.1. von Valerie Zaslawski


Kinder präventiv schützen
Heute sind sich die Parteien immerhin in einem Punkt einig: Das Urteil desEuropäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das die Einschätzung desBundesgerichts stützt, sei zu begrüssen. Die Zürcher SP-Nationalrätin Chantal Galladé meint: «Sexualaufklärung ist etwas Wichtiges und demnach höher zu gewichten als das Interesse eines Einzelnen.» Es gehe darum, Kinder präventiv zu schützen; es gehe um die Gesundheit der Kleinsten.
Auch LDP-Nationalrat und Bildungspolitiker Christoph Eymann, der damals dem Basler Erziehungsdepartement vorstand, sagt: «Es ist erfreulich, dass das Urteil die gängige Praxis eines stufengerechten Programms stützt.» Damit werde auch die Schutzfunktion der Schule bestätigt. Auf die polemische Debatte blickt der Liberale gelassen zurück: Es habe viele falsche Behauptungen gegeben. Gewisse Korrekturen seien aber gemacht und die Kommunikation verbessert worden.

Die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin zeigt für den Aufstand genauso wenig Verständnis. Sie spricht von einigen «pseudoreligiösen Fundamentalisten» und von «extrem konservativen Kreisen», die sich gegen diese Art von Sexualunterricht zur Wehr setzten. Die Christlichdemokratische Volkspartei habe damit nichts zu tun. Und die SVP begrüsst den Entscheid des EGMR ebenfalls. Der Luzerner Nationalrat und Bildungspolitiker Felix-Müri sagt: «Es ist grundsätzlich richtig, dass man am Schulunterricht teilnehmen muss.» Über den Inhalt lasse sich allerdings streiten. Die Aufklärung müsse zeitgemäss sein – er selbst sei noch mit «Blüemli und Bienli» aufgeklärt worden. Doch der «Sex-Koffer» gehe zu weit.

SVP kritisiert WHO-Standards

Anders als Müri sieht das der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner. Er hatte an vorderster Front gegen die umstrittenen Basler Unterrichtsmaterialien gekämpft. So hätte er sich denn auch einen liberaleren Entscheid des EGMR gewünscht. Es sollte den Eltern überlassen werden, ob sie ihre Kinder am Sexualunterricht teilhaben lassen wollen – oder eben nicht. «Beim Schwimmunterricht», so Frehner, «ist das freilich etwas anderes.» Die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog, ebenfalls Mitglied der Bildungskommission, pflichtet ihrem Parteikollegen bei: «Beim Sexualunterricht geht es um die Reife der Kinder, beim Schwimmunterricht um deren Integration.» Immerhin sei es ein Teilerfolg, dass der EGMR nur reaktiven und nicht systematischen Sexualkundeunterricht an Kinder im Kindergarten- und Unterstufenalter befürworte.

Den beiden SVP-Exponenten ist es wichtig, Missbrauch möglichst früh zu verhindern, die «Frühsexualisierungspläne» der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind ihnen aber ein Graus. Herzog hatte im vergangenen Dezember eine Interpellation eingereicht, in der sie vom Bundesrat wissen möchte, wie er sich zu den propagierten Standards stellt. Die Antwort steht noch aus. Es gehe nicht an, findet Herzog, dass vierjährige Kinder sich mit «frühkindlicher Masturbation» auseinandersetzen sollten oder dass «Vergnügen und Lust, den eigenen Körper zu berühren» in der Schule zu thematisieren seien, wie gemäss den WHO-Standards vorgesehen. Noch sind wir von diesen hierzulande aber weit entfernt. Und das sei auch gut so, meint Herzog.


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