Wenn ich gewusst hätte, was der erste Schultag nach sich zieht. Ich
hätte meinen Thek nicht so sorglos ins Dorfschulhaus von Oberwinterthur
getragen. Aber als Dreikäsekoch fehlt einem der Überblick. Darum alles der
Reihe nach: Zuerst Wörter buchstabieren, und dann die Reise antreten durch die
zerklüftete Schweizer Bildungslandschaft. Diese Reise von Zürich über den
Kanton Aargau nach Bern machte mich zum Lehrplan-21-Fan.
So wurde ich zum Lehrplan-21-Fan, Tages Anzeiger, 19.1. von Christoph Aebischer
Auf meiner persönlichen Schulreise wurde ich unfreiwillig zum
Römerexperten. Diese antiken Imperialisten hielten sich nie an Kantonsgrenzen,
fanden aber leider nicht im selben Schuljahr statt. Die Schildkrötenformation
der Legionäre, mit der sie uns Helvetier bei Bibracte bedrängten, kann ich
Ihnen bis heute aus dem Effeff beschreiben. Dafür fehlten mir ganze
Jahresinhalte in Französisch, Mathematik und sogar in Naturwissenschaften, als
ich kurz vor dem Ende meiner Bildungsreise die neunte Klasse in Bern begann.
Während sich meine Klassengspändli mal mit der Zukunft (Beruf, weiterführende
Schule), mal mit der Gegenwart (Buben mit Mädchen) beschäftigten, büffelte ich
Vokabeln und mathematische Regeln.
21 Lehrpläne auf 240 Kilometern
Warum auf einer Distanz von 240 Kilometern von Osten nach Westen bisher
21 verschiedene Lehrpläne galten, leuchtet niemandem ein. Zum Vergleich:
München liegt etwa gleich weit von Stuttgart entfernt. Ich wette, die Deutschen
sind pragmatischer. Immerhin musste ich nicht alle kantonalen Volksschulen
kennen lernen. Mir reichten drei mit ihren erst noch unkoordinierten
Übertritten von der Primar- in die Sekundarstufe.
Es freut mich darum, dass ab diesem Sommer 17 Kantone denselben Lehrplan
haben und bis in zweieineinhalb Jahren dann alle 21 Kantone mit
deutschsprachiger Bevölkerung. Etwas weniger Kantönligeist macht die Schweiz
nicht kaputt und erleichtert das Leben von Schülern mit ähnlichem Schicksal.
Dessen Gegner haben es bei mir schwer. Die zusammengewürfelte Schar versucht
nun, am 4. März den neuen Lehrplan nach gescheiterten Versuchen in anderen
Kantonen auch in Zürich und Bern mit einem Sammelsurium an Einwänden zu
diskreditieren.
Dabei läuft die Weiterbildung der Lehrerschaft längst. In Bern würde
eine Annahme der Volksinitiative «Lehrpläne vors Volk!» diesen 4,6
Millionen-Franken-Aufwand infrage stellen, weil ein Ja im Unterschied zu Zürich
zum nachträglichen Absetzen des Lehrplans führen könnte. Vor lauter Geschwurbel
über ein angeblich fehlgeleitetes Kompetenzkonzept, die Vermessung der Schüler
oder die Abwertung der Lehrer zu Coachs droht der Gewinn dieser Reform
vergessen zu gehen: die Schaffung eines zeitgemässen Bildungsraums.
Was durch die Reform gewonnen wird
Man muss es ja nicht so weit treiben wie die International School of
Berne. Aber für mich damals und jedes Jahr für rund 6300 Kinder wäre deren
weltweit an über 4500 Schulen befolgtes Curriculum ein Segen. Und billiger für
alle: Nur schon die Nachhilfe wegen des unkoordinierten Fremdsprachenunterrichts
kostet pro Jahr 6,5 Millionen Franken.
Der Lehrplan 21 macht die Schule nicht zum Himmel auf Erden, aber auch
nicht zur Hölle. Entscheidend sind die Lehrerinnen und Lehrer. Sie bügeln –
wenigstens bei mir war das so – die Folgen der eidgenössischen Kleinkariertheit
mit einem Extraeinsatz aus. Aus Respekt vor deren Arbeit habe ich nur diesen
Wunsch: dass der Lehrplan wie versprochen kein Korsett, sondern zum Kompass
wird.
Wie naiv muss man sein, damit man beim Tages Anzeiger einen Kommentar zum Lehrplan 21 schreiben darf? Der Autor schwärmt vom "zeitgemässen Bildungsraum" und ignoriert völlig, dass die kantonalen Unterschiede nicht weniger werden, sondern wegen kantonalen Sonderlösungen eher ansteigen. So sollen es also 6,5 Millionen sein, die rein für das Kompensieren des Fremdsprachensalats ausgegeben werden.
AntwortenLöschenDie Übertritte in die Sekundarschule werden gerade durch das unsägliche Sprachenmodell überschattet - vom völlig unkoordinierten Übertritt ans Langzeitgymnasium will ich gar nicht sprechen.
Natürlich lässt der Kommentator auch die wohlbekannte Phrase vom Korsett und vom Kompass nicht aus. Dafür wendet er sich gnädig noch der "zusammengewürfelten Schar" zu, die verzweifelt versucht, den neuen Lehrplan zu diskreditieren. Die tiefgreifende und ernstzunehmende Kritik an der Kompetenzorientierung ist für ihn lediglich "Geschwurbel". Es ist erschreckend, wenn es die Befürworter des Lehrplans nötig haben, auf solchem Niveau Polemik gegen die Mitbestimmungs-Initiative zu betreiben.