Manche
Schüler erleben den Sprung von der Sek ins Gymi als regelrechten Kulturschock.
Lehrpersonen beider Stufen haben nun aufgezeigt, wo es hapert – und was zu tun
wäre.
Kaum im Gymi, schon frustriert: Mathe und Deutsch bereiten Sekabgängern Probleme, Limmattaler Zeitung, 5.12. von Heinz Zürcher
Nach dem Übertritt müssen sie nicht nur
fachlich aufholen, sie werden auch mit einer anderen Lern- und Prüfungskultur
konfrontiert. Manche geben das Kurzzeitgymi nach einigen Wochen auf oder fallen
am Ende der sechsmonatigen Probezeit durch. Jeder Fünfte scheitert.
Schwächere Sekundarschule
Der
schlechte Start ins Kurzzeitgymi ist auch systembedingt. Das verdeutlichen nun
die Resultate des Projekts Volksschule-Gymnasium (VSGYM). Lehrpersonen beider
Stufen haben gemeinsam Fach um Fach untersucht und aufgezeigt, wo die Probleme
liegen. Der Bericht wurde kürzlich öffentlich. Darin zeigen die Fachgruppen
auf, dass das Gefälle besonders in den Fächern Mathematik und Deutsch gross
ist.
Mathematik: Einen
Nachteil sieht die Fachgruppe ganz einfach darin, dass die Schulzeit im Gymi
zweimal reduziert wurde: 2002 wurden das Langzeit- und das Kurzzeitgymnasium um
je ein halbes Jahr gekürzt. 2012 fanden die Maturprüfungen erstmals vor den
Sommerferien statt. Seither fehle den Schülern insbesondere im Kurzzeitgymi die
Zeit, sich gut einzugewöhnen.
Die
Lehrpersonen sehen zudem eine deutliche Schwächung der Sekundarschule. Dies,
weil immer mehr Primarschüler direkt die Mittelschule anpeilen. Dadurch sinke
das Sekniveau. Mit dem neuen Lehrmittel «Mathematik Sekundarstufe I» habe sich
die Situation verschärft. Es verfolge einen völlig neuen Ansatz, Mathematik zu
vermitteln.
So
würden unter anderem neu die Wahrscheinlichkeitsrechnung behandelt und dafür
algebraische Techniken vernachlässigt. Den Sekschülern fehle dadurch die nötige
Routine, die für den Anschluss ans Gymi wichtig sei. Die Schüler erlebten einen
regelrechten Kulturschock und müssten erst einmal damit umgehen können, dass
ihre Mitschüler aus dem Untergymi den Stoff bereits beherrschten.
Deutsch: Dass
mehr leistungsstarke Schüler von der 6. Klasse direkt ins Gymi wechseln, mache
sich auch im Deutsch bemerkbar. Es fehlten schulische Vorbilder mit
herausragenden sprachlichen Leistungen, schreibt die Fachgruppe. Das führe
dazu, dass die Sekschüler weniger Ehrgeiz entwickelten.
Zudem
habe der Anteil der Sekschüler, deren Muttersprache nicht Deutsch sei,
zugenommen. Und der SMS-Stil, soziale Medien, automatische Korrekturprogramme
und die Schnelllebigkeit von Informationen führten dazu, dass im Unterricht
Fähigkeiten erworben und trainiert werden müssten, die zuvor als
selbstverständlich galten. Die Rechtschreibung habe auch in der
Lehrerausbildung weniger Gewicht. Beim Thema Korrektur werde beispielsweise
mehr auf Inhalt und Schreibprozess geachtet statt auf Orthografie und
Interpunktion.
In
vereinzelten Sekundarschulen würden zudem Berufswahlunterricht, Klassenrat oder
Projektarbeiten in den Deutschunterricht gepackt, ohne die Anzahl der
Deutschlektionen zu erhöhen.
Getrennte Klassen
Niklaus
Schatzmann, Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts, kennt den Bericht.
«Der akuteste Handlungsbedarf besteht sicherlich im Fach Mathematik», sagt er.
Mit dem Lehrmittel «Algebra-Training» habe man bereits reagiert. Das Heft dient
Sekundarschülern, welche die Gymiprüfung bestanden haben und sich auf die
Probezeit vorbereiten möchten.
Damals sind die Kantonsschulen selber aktiv geworden. Einige führen getrennte Klassen
für Sekabgänger respektive Schüler aus dem Untergymnasium. Andere bieten
während der Probezeit Nachhilfestunden an.
Erst ab der 3. Sek ins Gymi?
Die Fachgruppe Mathematik fragt sich, ob es nicht sinnvoll wäre, den Zugang künftig
nur noch ab der dritten Sekundarstufe zu ermöglichen und nicht bereits ab der
zweiten – oder die Aufnahmequote der Langzeitgymnasiasten leicht zu senken und
damit die Sekundarschule wieder zu stärken.
Überlegen
müsse man sich auch, ob man nicht die Vornoten berücksichtigen oder die
Prüfungsgebühr erhöhen wolle. Der Grund: Sekundarlehrpersonen berichten
offenbar, dass viele ihrer Schüler die Gymiprüfung ablegen würden, «um es
einfach einmal zu versuchen». Das Problem aber sei: Wer nicht wirklich ins Gymi
wolle, werde Mühe haben, sich für den grossen Arbeitsaufwand zu motivieren.
Der Lehrplan 21 und das Gymi
Um zu verhindern, dass die Untergymnasien den Stoff des Kurzzeitgymi vorwegnehmen,
solle zudem geprüft werden, ob in den Mittelschulen der Lehrplan 21 oder
zumindest Teile davon übernommen werden könnten. Niklaus Schatzmann sagt dazu:
«Das Gymnasium ist zwar nicht direkt vom Lehrplan 21 betroffen. Es muss sich
aber klar werden, inwiefern Stundentafel, Lehrplan und Unterricht vom LP 21
beeinflusst werden sollen.»
Dass
nun alle Vorschläge der Fachgruppen umgesetzt werden, ist höchst
unwahrscheinlich. Volksschulamt-Chefin Marion Völger sieht sie vor allem als
gute Basis, um den Dialog unter den Lehrpersonen und Amtsstellen
weiterzuführen. Auch Niklaus Schatzmann findet es primär wichtig, dass sich die
Lehrpersonen der jeweils anderen Stufe austauschen. Sie sollen die
unterschiedlichen Lehrmittel und Bedürfnisse kennenlernen – und sich auch mal
gegenseitig im Unterricht besuchen.
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