Die
Digitalisierung hat dazu geführt, dass Faktenwissen jederzeit weltweit fast
allen Menschen zugänglich ist. Der unbeschränkte Zugang zu Informationen gehört
zu den grossen gesellschaftlichen Umbrüchen des 21. Jahrhunderts. Google,
Wikipedia, Facebook begleiten und informieren uns täglich. Aber sind wir
Menschen deshalb wissender, klüger, gebildeter geworden?
Wahres Wissen ist human, Tages Anzeiger, 4.12. von Heinz Rhyn
Computer
sind heute in der Lage, sowohl Schachals auch Go-Weltmeister zu schlagen. Aber
einen ethisch-moralischen Kompass haben sie nicht: Microsoft liess einen mit
künstlicher Intelligenz ausgestatteten Roboter auf sozialen Medien
mitdiskutieren. Er nahm alles ungefiltert auf und wurde in weniger als 24
Stunden rassistisch und sexistisch.
Menschliche
Intelligenz unterscheidet sich grundsätzlich von der künstlichen, auch wenn
diese schon selber lernen kann. Was bedeutet das für die Schule und die Bildung
allgemein? Das spezifisch Menschliche wird an Bedeutung gewinnen.
Sinnlich-emotionale Erlebnisfähigkeit spielt dabei eine besondere Rolle.
Ein Beispiel:
Nach einem prächtigen Herbst ist nun der Winter eingekehrt. Erinnerungen an
folgende Zeilen werden wach: «Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.» Ein Computer würde uns vielleicht
Hinweise zu Architekturbüros nennen, und er würde uns Adressen von
Partnervermittlungsinstituten oder Dating-Sites liefern. Er weist uns auch auf
Rainer Maria Rilke hin, kann aber nicht die sinnlichen Erlebnisse zwischen
Herbst und Winter nachvollziehen, keine Emotionen, Gerüche,
Kindheitserlebnisse, Glück und Trauer mit dem Gedicht verbinden.
Allerdings
ist das kein Argument gegen Informatik im Schulunterricht. Informatikkenntnisse
gehören zur Allgemeinbildung. Aber so wie der Leseunterricht nicht mit Goethes
«Faust» beginnt, sondern mit Neugierde und einfachen Texten, so wird auch
Informatikunterricht nicht einfach bedeuten, das Programmieren in einer
bestimmten Programmiersprache zu lehren. Schülerinnen und Schüler sollen
zunächst lernen, Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Danach üben sie, diese
dem Rechner zu erklären. Dafür gibt es grundlegende Konzepte, die unabhängig
sind von den jüngsten Internetentwicklungen und sich über Jahrzehnte nicht
verändert haben. Wir müssen Kindern und Jugendlichen aufzeigen, was und wie sie
in einer digitalisierten Welt lernen sollen, um jenes Wissen zu erwerben, das
für das Leben und die Teilnahme in unserer Gesellschaft nötig ist. Wir müssen
ihr Interesse und ihr Vorwissen aufnehmen, ihnen einen klugen Wissensaufbau
ermöglichen, sie im Lernund Bildungsprozess anleiten und auch Misserfolge
zulassen.
Die
digitale Transformation wirft die Frage auf, ob die Schule nicht nur verändert,
sondern verdrängt wird. Wie können wir sicherstellen, dass künftig alle Kinder
und Jugendlichen in guter Qualität unterrichtet werden? Wie können
Bildungsgerechtigkeit, soziale Integration und demokratische Teilhabe
gewährleistet werden? Hier liegt die grösste Herausforderung.
Kräfte
bündeln
Die
Digitalisierung kann einschränkende, entmündigende, manipulierende Folgen
haben. Sie kann uns davon abhalten, die Welt anders als digital zu erleben und
das Menschliche auszublenden. Digitalisierung kann uns aber auch helfen,
Bildungsziele zu erreichen, die Selbst- und die Mitbestimmung auszubauen. Blinde
Euphorie ist dabei so wenig hilfreich wie Angstmacherei.
Wir
müssen unsere Kräfte bündeln, um diesen Prozess mitzugestalten. Dazu sind
Kooperationen der Hochschulen mit Institutionen und Firmen nötig, um die
Entwicklungen der digitalen Transformation in positive Bahnen zu lenken.
Heinz
Rhyn Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen