Ursina Pajarola, Unternehmensleiterin der Lernstudio Zürich AG, zur
Rolle der Hirnforschung im pädagogischen Alltag.
«Die Haltung der Lehrperson muss stimmen», NZZ, 6.11. von Walter Bernet
Von manchen wird die Hirnforschung als Wunderwaffe der Pädagogik
betrachtet. Was halten Sie, Frau Pajarola, davon?
Das Gehirn ist die Basis jeder geistigen Tätigkeit und somit auch des
Lernens. Insofern sind die neurobiologischen Erkenntnisse der Hirnforschung
gerade für die Pädagogik zentral – neben anderen Erkenntnissen. Lernen und
Lernmotivation sind mehrdimensionale Prozesse, die stark von individuellen
psychologischen Faktoren und somit den Persönlichkeitsmerkmalen der Lernenden
abhängig sind. Darum tun wir als Schulen gut daran, bei der Gestaltung unserer
Lern-Settings neurobiologische und psychologische Erkenntnisse zu nutzen.
Zu Ihnen kommen Schüler mit Lernproblemen, aber auch angehende
Gymnasiastinnen. Wie wirken sich die Funktionsmechanismen des Hirns konkret auf
deren Erfolg oder Misserfolg aus?
Zu klären ist zuerst, was mit «schulischem Erfolg» aus pädagogischer
Sicht gemeint ist. Wenn ein Kind eine ungenügende Prüfungsnote bekommt, erlebt
es dies vorerst als Misserfolg. Ist es aber noch immer ein Misserfolg, wenn es
dem Kind danach gelingt, das Resultat anzuerkennen, die Frustration emotional
zu bewältigen, die Fehler zu verstehen, Motivation für die nächste schulische
Herausforderung zu bilden und die stofflichen Lücken zu schliessen? Man muss
den gesamten Lernprozesses einbeziehen, um die Nachhaltigkeit des Erfolgs
beurteilen zu können. Nach den Auswirkungen der Funktionsmechanismen des Hirns
zu fragen, bringt uns dabei im Einzelfall nicht weiter. Hingegen versuchen wir,
die Lern-Settings gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen den individuellen
Lernvoraussetzungen anzupassen – auch unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse der
Hirnforschung.
Wie haben Sie die Resultate der Hirnforschung bei der Suche nach neuen
Lehr- und Lernmethoden genutzt?
Wir haben etliche neue Impulse gewonnen und sind dabei, diese in einem
pädagogischen Programm zu konkretisieren und zu strukturieren. Auch die beste
neurodidaktische Methode nützt aber nichts, wenn die Haltung der Lehrperson
nicht stimmt. Dass die Pädagoginnen und Pädagogen selbst motiviert sind und
grundsätzlich in erster Linie auf die Lerntypen und die individuellen
kognitiven, emotionalen und sozialen Voraussetzungen der Kinder und
Jugendlichen abstellen, ist unabdingbar.
Was machen Sie dabei anders als die Volksschule?
Hüben wie drüben wirken sehr engagierte Lehrpersonen, die ihren
Unterricht laufend mit den neusten Erkenntnissen anreichern. Stark
unterscheiden wir uns von der Volksschule bei den zeitlichen Ressourcen der
Lehrpersonen, den kleineren Klassen, in der Varianz der pädagogischen
Schwerpunktsetzung und der Reaktionszeit für innovative Projekte und Methoden.
Als privater Bildungsdienstleister leben wir davon, uns tagtäglich mit der
Frage nach der «guten Bildung» oder dem «lernförderlichen Klima» zu
beschäftigen.
Und was davon setzen Sie um?
Wir haben zum Thema Hirnforschung und Pubertät im vorletzten Jahr eine
Veranstaltungsreihe durchgeführt. Entstanden ist daraus das genannte
Bildungsprogramm. Zu den darin festgehaltenen Grundsätzen gehört etwa, dass
unsere Inputs so strukturiert sein müssen, dass das Hirn die Informationen auch
verankern kann, dass auf das Wiederholen und auf genügend Zeit für Reflexion zu
achten ist und dass die Schüler im Sinn eines entdeckenden, selbstgesteuerten
Lernens eigene Lösungen für Probleme finden sollen.
Angst oder Stress seien schlechte Lernbegleiter, sagen nicht nur
Hirnforscher. Wie bringt man Schülern Freude am Lernen und Selbstmotivation
bei?
Da spielen zahllose Faktoren mit. Mein persönliches Credo: Freude am
Lernen entsteht durch Vertrauen, Selbstachtung und ein gutes Vorbild in Form
eines konstanten Wegbegleiters, zum Beispiel einer motivierten Lehrperson.
Interview: Walter Bernet
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