Erziehungswissenschaftlerin
Margrit Stamm sucht die Gründe für die vielen Baselbieter Sek-P-Schüler bei
deren Eltern.
Hohe Sek-P-Schülerzahlen im Baselbiet: "Eltern haben den grössten Einfluss", Basellandschaftliche Zeitung, 17.11. von Samuel Hufschmid
Margrit Stamm:
Kurz zusammengefasst besagt der «Flynn-Effekt», dass der Intelligenzquotient in
den letzten Jahrzehnten in den Industriestaaten durchschnittlich angestiegen
ist. Menschen können lernen, was bei einem Test erwartet wird. Fürs
Bildungssystem bedeutet das, dass die abgefragte Intelligenz von Schülern
tatsächlich steigen kann – weil die geforderten Kompetenzen gezielter geschult
werden.
Sie sprechen das Phänomen «Teaching to the
test» an, also dass Lehrer ihre Schüler gezielt auf die vorgelegten Tests
vorbereiten.
Ja,
das ist einer der möglichen Faktoren. Gerade der Anteil der Intelligenz, die
sich auf Sachwissen, auf Fakten und Daten bezieht, kann sehr gut gefördert
werden. Den vermutlich grössten Einfluss auf die höheren Schülerzahlen in den
oberen Niveaus aber haben die Eltern.
Wie meinen Sie das?
Gerade
aus dem Baselbiet ist mir bekannt, dass es viele Rekurse von Eltern auf
Niveau-Zuteilungen gibt. Das ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass Kinder
aus bildungsnahen Familien immer noch so stark übervertreten sind an Gymnasien
und Hochschulen. Heute machen sich viele Eltern bereits sehr früh ein Bild von
den angeblichen Fähigkeiten ihrer Kindern und setzen sich dann dafür ein, dass
diese das angedachte Ziel auch erreichen. Dieses Phänomen kannte man früher
eher aus Städten, aber es scheint, dass die ländlichen Gebiete aufholen.
Ist es also die Nähe zur Stadt, die diesen
Trend im Baselbiet auslöst?
Baselland
ist sicher stark beeinflusst von der Stadtnähe. Es ist auch viel weniger
kleinräumig als etwa Graubünden, wo zum Beispiel auch lange Verkehrswege ein
Grund sein können, weshalb aus ländlichen Regionen weniger Kinder in höhere
Sek-Niveaus oder ans Gymnasium kommen. Zudem gibt es auch viele eigentlich
typisch städtische Eltern mit hohem Bildungsabschluss, die aufs Land ziehen, um
ihren Kindern ein noch optimaleres Umfeld zu bieten und diese nehmen natürlich
ihre entsprechende Einstellung mit.
Ist eine Aufteilung von je einem Drittel in
die drei Sek-Züge, wie sie in Basel-Stadt angestrebt wird, also überhaupt
durchsetzbar?
Das
wage ich zu bezweifeln. Selbst wenn die intellektuellen Fähigkeiten der Kinder
entsprechend verteilt sind: Eltern werden immer dafür sorgen, dass ihre Kinder
eher eine Stufe höher eingeschult werden. Das gilt übrigens nicht nur für die
oberste Stufe, sondern auch für das mittlere Niveau.
Die Statistiken zeigen, dass es vor allem die
Mädchen mit Muttersprache Deutsch sind, die sehr stark übervertreten sind im
obersten Sek-Niveau. Weshalb ist das so?
Mädchen
aus solchen Milieus sind einfach sehr gut angepasst an die Anforderungen
unseres aktuellen Bildungssystems. Denn dieses hat sich in den letzten Jahren
stark gewandelt, weg von starkem Wettbewerb und sich aneinander messen, hin zu
mehr sozialen, sprachlichen Kompetenzen. Auch wer seine Gefühle gut ausdrücken
kann und darüber spricht, ist im Vorteil. Ich sehe das kritisch, denn die
angestrebte Bildungsgerechtigkeit heisst nicht, gewisse Fähigkeiten zu
bevorzugen. Sondern dass alle Kinder bestmöglich nach ihren persönlichen
Fähigkeiten gefördert werden sollen.
Wäre es demnach sinnvoll, die Einteilung eher
später als bereits in der sechsten Klasse vorzunehmen? Beispielsweise um Buben
Spätzünder oder Nicht-Muttlersprachlern länger Zeit zu geben, um aufzuholen?
In
dieser Frage gehen die Meinungen von Experten weit auseinander. Ich persönlich
finde, dass eine möglichst späte Aufteilung besser wäre, weil die Kinder nicht
zu früh unter Druck kommen und mehr Zeit haben, sich zu entwickeln. Aber eben,
das ganze ist eine Reissbrettangelegenheit, denn das Phänomen der Eltern, die
sich schon im Kindergarten ein abschliessendes Urteil über die Fähigkeiten
ihrer Kinder machen, nehmen zu. Und solche Eltern werden in den häufigsten
Fällen Wege und Möglichkeiten finden, dass sich ihre Prognose für ihre Kinder
auch erfüllt – egal, ob die Aufteilung in Niveaus nun in der vierten, sechsten
oder zehnten Klasse stattfindet.
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