Gewerkschafterin
und Grossrätin Kerstin Wenk (SP) über unzufriedene Lehrer und die Angst vor den
Chefs
«Das Erziehungsdepartement nimmt die Lehrer nicht ernst», Basler Zeitung, 2.11. von Nina Jecker
BaZ: Am
Gotthelf-Schulhaus wollten Lehrer die Lernberichte verweigern. Und in einem
Leserbrief in der BaZ solidarisieren sich mehrere Kollegen mit ihnen. Was läuft
schief im Departement von LDP-Regierungsrat Conradin Cramer?
Kerstin
Wenk: Die Lehrerschaft ist mit vielem unglücklich. Es geht nicht um
Kleinigkeiten, sondern wirkliche Probleme, die dem Schulbetrieb und den
Schülern schaden.
Die
Kritik an den Lernberichten ist klar. Was sind die anderen Baustellen?
Etwa
die Leistungschecks, die im Bildungsraum Nordwestschweiz bereits die Leistungen
von Primarschülern messen und vergleichen sollen.
Was
ist das Problem mit diesen Checks?
Zum
einen ist es unnötig, bereits Primarschüler in dieser Form zu testen und zu
vergleichen. Ausserdem: Was ist denn die Aussage, wenn eine Klasse schlecht
abschneidet? Wer trägt die Schuld – der Lehrer, die Schüler, das schwierige
Viertel, in dem die Schule steht? Das Ergebnis aus einem solchen
Vergleichscheck bringt der Lehrperson keine neuen Erkenntnisse. Sie kennt ihre
Schülerinnen und Schüler. Und die zusätzlichen Ressourcen, die für eine
optimale Unterstützung der Schülerinnen und Schüler notwendig wären, sind nicht
vorhanden. Ausserdem leidet der Unterricht, wenn Lehrpersonen nur noch im Hinblick
auf die Vergleichstests unterrichten.
Wie
breit abgestützt ist die Kritik an diesen Checks?
Sehr
breit. Die Basler Lehrerschaft hat an der Gesamtkonferenz im Frühling eine
Resolution eingereicht. Diese wurde von gut 80 Prozent der anwesenden Lehrerschaft
verabschiedet. Vier von fünf Lehrpersonen sind also für eine Abschaffung der
Checks oder plädieren zumindest für Freiwilligkeit. Eine Umfrage über das
weitere Vorgehen findet zurzeit statt.
Und
doch werden sie durchgeführt.
Beim
Erziehungsdepartement (ED)scheint man die Kritik nicht ernst zu nehmen. Anstatt
die Checks abzuschaffen, wolle man an diesen festhalten und weitere Erfahrungen
damit sammeln. Das einzige Zugeständnis sind kleine Anpassungen.
Wie
kam das bei den Lehren an?
Natürlich
nicht gut. Da fühlt man sich nicht für voll genommen.
Das
scheint generell ein Problem beim ED zu sein. Gegenüber der BaZ berichten
Lehrer von einem arroganten Umgangston und dass sie mit allen Anliegen
abblitzen.
Das
ist uns von der Gewerkschaft VPOD ebenfalls bekannt. Wer sich beschwert, läuft
ausserdem Gefahr, als Stänkerer abgestempelt zu werden, der mit den Neuerungen
nicht Schritt halten kann. Das wird teilweise auch von den Schulleitungen so
vermittelt: Entweder man macht ohne Murren beim neuen System mit oder man ist
dort falsch.
Die
Schulleitungen unterstützen also die Vorgaben aus dem ED?
Das
kommt ganz auf das Schulhaus an. Die Teilautonomie der Schulen und die neuen
Strukturen sind generell problematisch. Während sich Lehrpersonen früher über
verschiedene Stufen und Schulstandorte hinweg austauschen konnten, muss nun
alles über die jeweilige Schulleitung laufen und geht das Hierarchieleiterchen
hoch und runter.
Conradin
Cramer sagt, die Lehrerinnen und Lehrer dürften sich ja unter anderem in
Workshops zu Wort melden.
Deren
Ergebnisse dann via Schulleitung, die direkte Vorgesetzte des Kollegiums ist,
weitergegeben werden. Da trauen sich Kritiker doch teilweise gar nicht, den
Mund aufzumachen. Auch können so die Informationen gefiltert werden.
Was
halten Sie vom Redeverbot für Lehrer gegenüber den Medien?
Das
kann ich verstehen. Es ist nicht wünschenswert, dass Mitarbeitende eines
Betriebs öffentlich Missstände anprangern. Dass sich Lehrer aber mittlerweile
auch in anderem Rahmen fürchten, offen zu sprechen, ist sehr bedenklich. Dazu
gehört sogar das eigene Schulhaus. Früher sassen die Chefs «irgendwo da im ED».
Heute sitzt das ED in Form der Schulleitung direkt im Lehrerzimmer.
Bereits
unter Cramers Vorgänger Christoph Eymann beklagten sich die Lehrer, übergangen
zu werden. Mit Cramer ist es offenbar nicht besser.
Man
hat sich erhofft, dass mit einem Wechsel ein neuer Wind ins ED kommt – was sich
bis jetzt nicht bestätigt hat. Ausserdem hatte Christoph Eymann immerhin ein
sehr grosses Fachwissen und ein offenes Ohr.
Für
welche Kritikpunkte bräuchten Sie denn jetzt Conradin Cramers Ohr?
Etwa
die Verbürokratisierung der Schule. In der integrativen Schule muss eine
Lehrerperson heute eine Klasse betreuen, die eine enorme Heterogenität aufweist.
Braucht sie zusätzliche Unterstützung, muss sie diese beantragen. Was bringen
aber zwei Heilpädagogenstunden am Mittwochmorgen, wenn sonst keine
Unterstützung da ist? Braucht ein Kind eine separative Schulung, muss die
Lehrperson dafür einen detaillierten Bericht schreiben. Dieser geht dann via
Schulleitung an ein Expertengremium, das – ohne mit der Lehrerin oder dem Kind
zu sprechen – einen Entscheid fällt
Was
sind Ihre konkreten Forderungen, damit die Situation sich bessert?
Keine
Lernberichte mehr für Kindergärtler und Erstklässler. Ausserdem gehören die
teuren und nutzlosen Leistungschecks abgeschafft, zumindest auf Primarstufe.
Und anstatt den durch die integrative Schule extrem geforderten Lehrpersonen
für einzelne Kinder und während weniger Lektionen Heilpädagogen zuzugestehen,
verfechte ich das Teamteaching.
Was
bedeutet das?
Dass
in einer Klasse konstant zwei Lehrpersonen oder eine Lehrperson und eine
Heilpädagogin, Sozialpädagogin oder Ähnliches anwesend sein müssen.
Inwiefern
wäre das ein Vorteil?
Es
würde wieder Ruhe im Klassenzimmer einkehren. Aktuell geben sich Heilpädagogen,
Logopäden, Zivildienstleistende und Praktikanten die Klinke in die Hand. Das
stört den Unterricht, schafft viele zusätzliche Schnittstellen und den Kindern
fehlen fixe Bezugspersonen.
Auch
andere Kantone haben das Schulsystem umgestellt. Was ist in Basel so
schiefgelaufen?
Man
wollte zu viel in zu kurzer Zeit. Und das ED war nie bereit, auch mal eine
Pause oder sogar einen Schritt zurück zu machen. Es heisst immer, dass etwas
nicht möglich sei – wegen des Bildungsraumes, Harmos et cetera. Merkwürdig ist
nur, dass die anderen Kantone, deretwegen unser ED nichts ändern will,
ungeniert Anpassungen vornehmen.
Was
muss jetzt passieren, damit es wieder besser wird?
Entweder
die Spitze des ED nimmt die Lehrerinnen und Lehrer ernst und handelt
entsprechend. Damit meine ich nicht irgendeine Arbeitsgruppe, in der als Alibi
noch zwei kritische Lehrer sitzen dürfen, die aber sowieso überstimmt werden.
Andernfalls werden die Lehrer nach jeder schlechten Erfahrung mit dem ED wohl
schneller an Politik oder Medien gelangen. Conradin Cramer hat also die Wahl.
Kerstin
Wenk ist SP-Grossrätin und als Gewerkschaftssekretärin beim VPOD für den
Bereich Bildung zuständig.
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