2. November 2017

«Das Erziehungsdepartement nimmt die Lehrer nicht ernst»

Gewerkschafterin und Grossrätin Kerstin Wenk (SP) über unzufriedene Lehrer und die Angst vor den Chefs
«Das Erziehungsdepartement nimmt die Lehrer nicht ernst», Basler Zeitung, 2.11. von Nina Jecker



BaZ: Am Gotthelf-Schulhaus wollten Lehrer die Lernberichte verweigern. Und in einem Leserbrief in der BaZ solidarisieren sich mehrere Kollegen mit ihnen. Was läuft schief im Departement von LDP-Regierungsrat Conradin Cramer?
Kerstin Wenk: Die Lehrerschaft ist mit vielem unglücklich. Es geht nicht um Kleinigkeiten, sondern wirkliche Probleme, die dem Schulbetrieb und den Schülern schaden.

Die Kritik an den Lernberichten ist klar. Was sind die anderen Baustellen?
Etwa die Leistungschecks, die im Bildungsraum Nordwestschweiz bereits die Leistungen von Primarschülern messen und vergleichen sollen.

Was ist das Problem mit diesen Checks?
Zum einen ist es unnötig, bereits Primarschüler in dieser Form zu testen und zu vergleichen. Ausserdem: Was ist denn die Aussage, wenn eine Klasse schlecht abschneidet? Wer trägt die Schuld – der Lehrer, die Schüler, das schwierige Viertel, in dem die Schule steht? Das Ergebnis aus einem solchen Vergleichscheck bringt der Lehrperson keine neuen Erkenntnisse. Sie kennt ihre Schülerinnen und Schüler. Und die zusätzlichen Ressourcen, die für eine optimale Unterstützung der Schülerinnen und Schüler notwendig wären, sind nicht vorhanden. Ausserdem leidet der Unterricht, wenn Lehrpersonen nur noch im Hinblick auf die Vergleichstests unterrichten.

Wie breit abgestützt ist die Kritik an diesen Checks?
Sehr breit. Die Basler Lehrerschaft hat an der Gesamtkonferenz im Frühling eine Resolution eingereicht. Diese wurde von gut 80 Prozent der anwesenden Lehrerschaft verabschiedet. Vier von fünf Lehrpersonen sind also für eine Abschaffung der Checks oder plädieren zumindest für Freiwilligkeit. Eine Umfrage über das weitere Vorgehen findet zurzeit statt.

Und doch werden sie durchgeführt.
Beim Erziehungsdepartement (ED)scheint man die Kritik nicht ernst zu nehmen. Anstatt die Checks abzuschaffen, wolle man an diesen festhalten und weitere Erfahrungen damit sammeln. Das einzige Zugeständnis sind kleine Anpassungen.

Wie kam das bei den Lehren an?
Natürlich nicht gut. Da fühlt man sich nicht für voll genommen.

Das scheint generell ein Problem beim ED zu sein. Gegenüber der BaZ berichten Lehrer von einem arroganten Umgangston und dass sie mit allen Anliegen abblitzen.
Das ist uns von der Gewerkschaft VPOD ebenfalls bekannt. Wer sich beschwert, läuft ausserdem Gefahr, als Stänkerer abgestempelt zu werden, der mit den Neuerungen nicht Schritt halten kann. Das wird teilweise auch von den Schulleitungen so vermittelt: Entweder man macht ohne Murren beim neuen System mit oder man ist dort falsch.

Die Schulleitungen unterstützen also die Vorgaben aus dem ED?
Das kommt ganz auf das Schulhaus an. Die Teilautonomie der Schulen und die neuen Strukturen sind generell problematisch. Während sich Lehrpersonen früher über verschiedene Stufen und Schulstandorte hinweg austauschen konnten, muss nun alles über die jeweilige Schulleitung laufen und geht das Hierarchieleiterchen hoch und runter.

Conradin Cramer sagt, die Lehrerinnen und Lehrer dürften sich ja unter anderem in Workshops zu Wort melden.
Deren Ergebnisse dann via Schulleitung, die direkte Vorgesetzte des Kollegiums ist, weitergegeben werden. Da trauen sich Kritiker doch teilweise gar nicht, den Mund aufzumachen. Auch können so die Informationen gefiltert werden.

Was halten Sie vom Redeverbot für Lehrer gegenüber den Medien?
Das kann ich verstehen. Es ist nicht wünschenswert, dass Mitarbeitende eines Betriebs öffentlich Missstände anprangern. Dass sich Lehrer aber mittlerweile auch in anderem Rahmen fürchten, offen zu sprechen, ist sehr bedenklich. Dazu gehört sogar das eigene Schulhaus. Früher sassen die Chefs «irgendwo da im ED». Heute sitzt das ED in Form der Schulleitung direkt im Lehrerzimmer.

Bereits unter Cramers Vorgänger Christoph Eymann beklagten sich die Lehrer, übergangen zu werden. Mit Cramer ist es offenbar nicht besser.
Man hat sich erhofft, dass mit einem Wechsel ein neuer Wind ins ED kommt – was sich bis jetzt nicht bestätigt hat. Ausserdem hatte Christoph Eymann immerhin ein sehr grosses Fachwissen und ein offenes Ohr.

Für welche Kritikpunkte bräuchten Sie denn jetzt Conradin Cramers Ohr?
Etwa die Verbürokratisierung der Schule. In der integrativen Schule muss eine Lehrerperson heute eine Klasse betreuen, die eine enorme Heterogenität aufweist. Braucht sie zusätzliche Unterstützung, muss sie diese beantragen. Was bringen aber zwei Heilpädagogenstunden am Mittwochmorgen, wenn sonst keine Unterstützung da ist? Braucht ein Kind eine separative Schulung, muss die Lehrperson dafür einen detaillierten Bericht schreiben. Dieser geht dann via Schulleitung an ein Expertengremium, das – ohne mit der Lehrerin oder dem Kind zu sprechen – einen Entscheid fällt

Was sind Ihre konkreten Forderungen, damit die Situation sich bessert?
Keine Lernberichte mehr für Kindergärtler und Erstklässler. Ausserdem gehören die teuren und nutzlosen Leistungschecks abgeschafft, zumindest auf Primarstufe. Und anstatt den durch die integrative Schule extrem geforderten Lehrpersonen für einzelne Kinder und während weniger Lektionen Heilpädagogen zuzugestehen, verfechte ich das Teamteaching.

Was bedeutet das?
Dass in einer Klasse konstant zwei Lehrpersonen oder eine Lehrperson und eine Heilpädagogin, Sozialpädagogin oder Ähnliches anwesend sein müssen.

Inwiefern wäre das ein Vorteil?
Es würde wieder Ruhe im Klassenzimmer einkehren. Aktuell geben sich Heilpädagogen, Logopäden, Zivildienstleistende und Praktikanten die Klinke in die Hand. Das stört den Unterricht, schafft viele zusätzliche Schnittstellen und den Kindern fehlen fixe Bezugspersonen.

Auch andere Kantone haben das Schulsystem umgestellt. Was ist in Basel so schiefgelaufen?
Man wollte zu viel in zu kurzer Zeit. Und das ED war nie bereit, auch mal eine Pause oder sogar einen Schritt zurück zu machen. Es heisst immer, dass etwas nicht möglich sei – wegen des Bildungsraumes, Harmos et cetera. Merkwürdig ist nur, dass die anderen Kantone, deretwegen unser ED nichts ändern will, ungeniert Anpassungen vornehmen.

Was muss jetzt passieren, damit es wieder besser wird?
Entweder die Spitze des ED nimmt die Lehrerinnen und Lehrer ernst und handelt entsprechend. Damit meine ich nicht irgendeine Arbeitsgruppe, in der als Alibi noch zwei kritische Lehrer sitzen dürfen, die aber sowieso überstimmt werden. Andernfalls werden die Lehrer nach jeder schlechten Erfahrung mit dem ED wohl schneller an Politik oder Medien gelangen. Conradin Cramer hat also die Wahl.

Kerstin Wenk ist SP-Grossrätin und als Gewerkschaftssekretärin beim VPOD für den Bereich Bildung zuständig.


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