Früher war alles besser - diese Weisheit gehört zu den beliebtesten Redensarten des einheimischen
Sprachschatzes. Vor allem zu Kindheit, Jugend und Schule, aber auch zu Sport
und Politik und sogar zum Wetter («weisse Weihnachten») werden unzählige Anekdoten
erzählt. Fast immer trügt die Erinnerung. «Die Zukunft war früher auch besser»,
hat der legendäre Komiker und Schauspieler Karl Valentin gespottet.
Früher war alles besser, Basler Zeitung, 12.10. von Roland Stark
«Ich habe keine Hoffnung mehr für die Zukunft unseres Volkes, wenn sie
von der leichtsinnigen Jugend von heute abhängig sein sollte. Denn diese Jugend
ist ohne Zweifel unerträglich, rücksichtslos und altklug. Als ich noch jung
war, lehrte man uns gutes Benehmen und Respekt vor den Eltern. Aber die Jugend
von heute will alles besser wissen.»
Die pessimistische Beschreibung stammt nicht aus einer zeitgenössischen
bildungspolitischen Kampfschrift der SVP, sondern vom griechischen Dichter,
Ackerbauer und Viehhalter Hesiod. 700 Jahre vor Christus. Es war eine harte
Zeit. Ohne Schulpflicht, ohne Schulpsychologen, ohne Frühförderung, ohne
Krisenintervention, ohne Elterntaxis, ohne DIN-genormte Spielplätze. Und ohne
Medien, die all die schrecklichen Leiden des Nachwuchses akribisch sammelten,
zu Sensationen und Skandalen aufbliesen und verbreiteten.
Nun gibt es allerdings unbestreitbar ein paar Dinge, die früher
tatsächlich besser waren und bei denen sich der vermeintliche Fortschritt
zumindest teilweise als Rückschritt, wenn nicht sogar als Irrweg entpuppt.
Vor mir liegt ein Klassenfoto aus dem Jahre 1964. Hadwig-Schulhaus St.
Gallen. Schon die Schülerzahl ist bemerkenswert: 35. 22 Mädchen, 13 Knaben.
Spektakulär aber ist die abgebildete Lehrerschaft. Zu erkennen auf dem Bild: 1
Lehrer.
Eine vergleichbare Aufnahme wäre heutzutage nicht mehr realisierbar.
Nicht nur wegen der hohen Anzahl Schüler. Klassenlehrpersonen,
Mathe-Französisch-Deutsch- und Englischlehrer, Textil- und Werklehrer,
Schwimmlehrer, Sportlehrer, Religionslehrer, Musiklehrer, Heilpädagogen,
Assistenten und eventuell noch Hortmitarbeiter müssten mit aufs Bild. Die Zahl
der Bezugspersonen an einer Primarschule kann gut und gerne zweistellig werden.
Eine bedauerliche und schädliche Fehlentwicklung.
Die Gründe für die wundersame Personalvermehrung sind vielfältig. Kleine
bis winzige Teilpensen, ausgeprägtes Fachlehrersystem mit extremer
Spezialisierung, erhöhter Betreuungsbedarf in den heterogenen Klassen wegen der
Liquidierung der Kleinklassen.
Die Nachteile liegen auf der Hand. Die Schulorganisation wird schwierig,
die Stundenplangestaltung äusserst kompliziert, das Ergebnis häufig ein
Flickenteppich und entsprechend pädagogisch kaum sinnvoll. Die Beziehungen
zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern leiden, die Zahl der
Ansprechpersonen für die Eltern ist zu gross. Der Koordinationsaufwand für
Absprachen zwischen Regellehrpersonen und Förderlehrpersonen ist zeit- und
kräfteraubend.
Das Engagement für kleinere Klassen ist nach wie vor sinnvoll. Ebenso
die Forderung nach ausreichenden Ressourcen bei schwierigen Verhältnissen. Noch
dringlicher wäre aber eine deutliche Reduktion der Anzahl Lehrpersonen pro
Klasse. Die Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer sind wichtig. Ihre
berechtigten und gelegentlich überrissenen Ansprüche dürfen jedoch nicht auf
dem Buckel der Schüler und auf Kosten der Unterrichtsqualität verwirklicht
werden.
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