29. Oktober 2017

Bald Abbau in der Frühförderung?

Soll die heilpädagogische Früherziehung im Kindergartenalter gestrichen werden? Am Montag berät der Zürcher Kantonsrat den entsprechenden Passus im neuen Kinder- und Jugendheimgesetz. Mit Aufklärungsarbeit halten Fachverbände dagegen.
Kampf gegen Abstriche bei der Frühförderung, NZZ, 29.10. von Dorothee Vögeli


Damit auch Kinder mit Behinderungen und Entwicklungsproblemen in der Schule schnell Tritt fassen, stehen ihnen und ihren Eltern im Kanton Zürich bis zum Abschluss des Kindergartens Fachleute zur Seite. Nun will der Regierungsrat die Maximaldauer der heilpädagogischen Früherziehung (HFE) um zwei Jahre verkürzen. Kinder mit besonderem Bildungsbedarf sollen spätestens im September nach dem Eintritt in den Kindergarten im Rahmen der schulischen Sonderpädagogik und sozialpädagogischen Familienhilfe gefördert werden. Dies beantragt er im Entwurf des neuen Kinder- und Jugendheimgesetzes.


Häuslicher Kontext zentral

Des Weiteren will sich der Regierungsrat vorbehalten, den Anspruch auf Früherziehung bei angespannter kantonaler Finanzlage weiter einzuschränken. Im Vorfeld der Kantonsratsdebatte vom Montag haben nun Verbände und Fachleute aus dem Frühförderungsbereich ihre grossen Bedenken publik gemacht und versucht, Parlamentarier aller Fraktionen vom langfristigen Nutzen der heilpädagogischen Früherziehung zu überzeugen. Diese setzt je nachdem bereits bei der Geburt an und geschieht stets im häuslichen Kontext. Konkret heisst dies, dass die Fachleute die Familien besuchen, mit den Kindern spielen, die Eltern in ihrer erschwerten Erziehungssituation beraten und sie auf Hilfsmittel und Entlastungsmöglichkeiten aufmerksam machen.

Hingegen gehören Hausbesuche und die regelmässige Unterstützung der Eltern nicht zu den sonderpädagogischen Massnahmen, die der Kanton Zürich im schulischen Kontext anbietet. Diese seien deshalb nicht deckungsgleich mit der heilpädagogischen Früherziehung, hält Romain Lanners, Direktor des Schweizer Zentrums für Sonder- und Heilpädagogik, fest. Aus Lanners' Sicht kann die heilpädagogische Früherziehung je nach individueller Situation des Kindes bis zum Ende des Kindergartens eine sinnvolle Ergänzung zu den sonderpädagogischen Massnahmen im schulischen Kontext sein. Zu diesen gehören Stützunterricht, Logopädie oder Psychomotorik. Auch die sozialpädagogische Familienhilfe ist laut Lanners kein adäquater Ersatz, da sie sozialarbeiterische Schwerpunkte setze.

Ausnahmeregelung juristisch unumgänglich

SP-Kantonsrätin Monika Wicki, die mit einem Minderheitsantrag heilpädagogische Früherziehung im Ausnahmefall bis zum Abschluss des Kindergartens ermöglichen will, hat auch Ottilie Mattmann, die Rechtskonsulentin im Generalkonsulat der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), um eine Stellungnahme ersucht. Aus juristischer Sicht stellt diese nun klar, dass ein einzelner Kanton die Angebotspflicht bei der heilpädagogischen Früherziehung bis zwei Jahre nach Schuleintritt nicht negieren darf.
Das Sonderpädagogik-Konkordat verhindere aber nicht, dass ein Vereinbarungskanton die Leistungen im Einzelfall sorgsamer abwäge und sorgfältiger einsetze - selbst aus finanziellen Gründen, schreibt Mattmann. Dass er dabei die Ziele der heilpädagogischen Früherziehung nicht aus den Augen verlieren dürfe, sei selbstverständlich. Ob sich diese mit anderen Massnahmen wie sonderpädagogischer Familienhilfe erreichen liessen, könne sich nur im konkreten Einzelfall zeigen. «Generell ausschliessen lässt sich diese Lösung via Sonderpädagogik nicht.»


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