Die Informationsflut aus dem Internet macht uns träge. Wir verzichten
zunehmend darauf, Wissen in unseren Köpfen zu speichern. Dass nun auch die
Schulen damit beginnen, ist nicht sehr klug.
Weshalb uns das Internet nicht schlauer macht, NZZaS, 20.8. Kommentar von Michael
Furger
Man hört in diesen Tagen kuriose Geschichten von Menschen, die aus den
Ferien zurückgekehrt sind. Sie hätten auf ihren Reisen Listen erstellt mit
Fragen, die ihnen zugeflogen seien, bei der Buchlektüre zum Beispiel oder beim
Sightseeing. Aber wegen schlechten Handyempfangs oder hoher Roaming-Gebühren
konnten oder wollten sie ihr Mobiltelefon nicht befragen. Die einen suchten hin
und wieder ein Restaurant mit gutem Empfang auf und arbeiteten die Liste ab.
Andere nahmen ihren Fragenkatalog nach Hause, wo sie das Breitband-Internet
schliesslich von ihren Qualen erlöste.
Der fast unbeschränkte Zugang zu Informationen ist wahrscheinlich der
bisher grösste gesellschaftliche Umbruch des 21.Jahrhunderts. Vor 20 Jahren
ging die Suchmaschine Google an den Start, einige Jahre später das
Internet-Lexikon Wikipedia. Dass seither Fragen aller Art innert Kürze
beantwortbar sind, hat sich tief in unser Leben eingenistet. Der britische
Autor Pico Iyer schrieb jüngst in der «New York Times», dass ein interessierter
Leser heute an einem Tag mehr Wissen anhäufen kann als William Shakespeare in
seinem ganzen Leben. Wahrscheinlich hat er recht, aber was heisst das? Sind wir
mit unserem Zugang zu einem gewaltigen Informationsspeicher Menschen wie
Shakespeare tatsächlich tausendfach überlegen? Wissen wir wirklich so viel
mehr?
Richard Foreman, ein amerikanischer Regisseur, hat dazu den Begriff des
«Pfannkuchen-Menschen» geprägt. Er hat festgestellt, dass komplexes, dichtes
Wissen in unseren Köpfen zunehmend verloren geht. Es werde ersetzt durch
oberflächliche, schnell verfügbare Informationen aus dem Internet. Der Verstand
gleiche damit je länger, je mehr einem Pfannkuchen: sehr breit, aber extrem
dünn. Das, was wir heute als unser kulturelles Erbe oder als Bildungskanon
betrachten, verschwinde nach und nach, beklagt Foreman. Dafür entstehe eine Art
Superbewusststein, zusammengesetzt aus Informationsteilchen aus dem Netz.
Natürlich ist bei weitem nicht alles im Netz oberflächlich und dünn. Es
geht darum, wie wir diese Informationen absorbieren: als Häppchen, schnell,
querlesend und zusammenhanglos. Das ergibt den Pfannkuchen, und er scheint ein
Zukunftsmodell zu sein. Jedenfalls rufen die IT-Pioniere aus dem Silicon Valley
und allerlei visionäre Bildungsexperten schon nach einer neuen Art von Bildung.
Die Schulen würden heute Zeit damit verschwenden, den Kindern Wissen
einzutrichtern, statt ihnen beizubringen, wo und wie sie Informationen flott
herunterladen und anwenden können. Die Idee entspricht ganz dem Konzept der
Datenwolke. Wissen soll nicht mehr im Kopf gespeichert, sondern ausgelagert
werden. Auf unserer biologischen Festplatte gäbe es demnach vor allem
Anwendungsprogramme, aber kaum mehr Datensätze. Wir müssen nur noch wissen, wo
eine Information zu finden ist. Ihr Inhalt muss uns nicht mehr interessieren.
Mehr Kompetenzen, weniger Wissen – das ist auch die Idee des Lehrplans
21 und somit das künftige Modell für unsere Schulen. Damit wird im Grunde der
traditionelle Bildungskanon zu einem Auslaufmodell. Geschichte, Literatur, Geografie:
So etwas kann man ja – wenn man es wirklich genau wissen will – aus dem Netz
saugen.
Das ist natürlich Unsinn (UK: vgl. dazu Beat Zemp). Denn wie soll jemand einigermassen erfolgreich
durchs Leben kommen mit einem Verstand, den die Internet-Suchmaschinen in die
Form eines Pfannkuchens gezogen haben? Wie soll ein solcher Verstand eine
gefährliche Idee oder eine perfide Lüge abwehren können? Im Kopf gespeichertes
Wissen indes gibt uns einen Orientierungsrahmen, um jene Informationen
einzuordnen, die uns aus dem Netz entgegensprudeln. Wissen ist mehr als
auswendig gelernte Jahreszahlen. Es ist zum Beispiel ein Verständnis dafür, was
im 20.Jahrhundert in Europa passiert ist, samt den komplexen Zusammenhängen.
Natürlich wäre das auch im Netz erhältlich, nützt uns dort aber nichts in jenem
Moment, in dem wir Neuigkeiten einordnen sollten. Wir wüssten nicht einmal,
wonach wir googeln müssten. Mit einigermassen solidem historischem Wissen
hingegen funken die Synapsen sofort. Wir kriechen nicht jedem Populisten auf
dem Leim, geraten aber auch nicht wegen jeder idiotischen Politiker-Bemerkung
in helle Aufregung.
So gesehen ist es paradox, dass der Abbau von Wissensvermittlung an den
Schulen ausgerechnet mit der Einführung von Unterricht in Medienkompetenz
einhergehen soll. Es ist, als würde man ein Loch in der Wand mit Klebstreifen
schliessen wollen. Woran soll sich der so geformte Medienkompetente denn
orientieren, wenn die Daten fehlen?
Dass man Informationen nur verbinden kann, wenn sie im Kopf gespeichert
sind, gilt nicht zuletzt für kreatives Denken: Innovationen, Kunst,
wissenschaftliche Durchbrüche – sie entstehen häufig durch zufällige
Assoziationen von Wissen. Wie soll das funktionieren mit einer leeren
Festplatte?
Bei allen unbestrittenen Segnungen des Internets: Wir wissen heute nicht
mehr als Shakespeare damals. Dagegen hilft nur eine altmodische Methode: So
viel wie nur möglich abspeichern – im Gehirn natürlich.
So entsteht das, was ein Psychologieprofessor einst als Gegenkonzept
zum Pfannkuchen-Menschen vorgeschlagen hat: der Muffin-Mensch – oben breit,
aber mit einem tiefen Sockel.
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