Für sie beginnt am Montag eine neue Zeit: Mehr als 15'000 Kinder starten
die Schule, 3500 von ihnen in der Stadt Zürich. Die Mädchen und Buben gehen
alle in die erste Klasse einer Volksschule, lernen nach demselben Lehrplan und
sollten somit am Schluss des ersten Jahres Ähnliches können. Doch in einem
unterscheiden sich ihre Schulen stark: im Umgang mit Computern und der
digitalen Welt. Während einige Lehrerinnen und Lehrer schon heute wie
selbstverständlich mit iPads arbeiten, steht anderen für die ganze Klasse nur
ein alter Computer zur Verfügung – der ab und zu kaputt ist. Das muss sich in
diesem Jahr ändern. Ab dem nächsten Sommer sollen alle Schulen fit sein für den
Lehrplan 21, der das neue Fach «Informatik und Medien» mit sich bringt. Darin
lernen Kinder ab der 5. Klasse programmieren. Sie erfahren, weshalb Facebook
jedem individuelle Werbung zeigt, welche Spuren sie im Internet hinterlassen
und wie sie einem Roboter das Winken beibringen.
Grosse lokale Unterschiede bei der Verwendung von Computern. Karikatur von Schaad
Wie Zürcher Schulen digital aufrüsten, Tages Anzeiger, 19.8. von Marisa Eggli
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iPads für
alle
Die Primarschule Regensdorf
zum Beispiel ist im Umgang mit modernen Medien kantonal an der Spitze. In der
ersten Schulwoche erhalten zwei Erstklässler zusammen ein iPad, also einen
flachen Kleincomputer, den sie unter dem Pult verstauen können. Während der
Schulstunden nutzen sie ihn, um Wörter nachzusehen, zu fotografieren oder
Übungen zu machen, die zum Mathematiklehrmittel passen. Jeder Viertklässler
bekommt von der Schule sein eigenes iPad mit eigenem Login und darf das Gerät
in Absprache mit der Lehrerin und den Eltern nach Hause nehmen.
Mitverantwortlich für die Digitalisierung der Regensdorfer Schule ist
Steve Bass. Er sagt: «Das Tablet wird nur dann zum genutzten und alltäglichen
Arbeitsinstrument, wenn jedes Kind eines hat.» Der Umgang damit soll so
natürlich wie möglich sein. In Regensdorf haben sogar schon Kindergärtler
begleiteten Zugang zu einem iPad. Fremdsprachige arbeiten mit gezielten Übungen
an ihrem Deutsch. Dass Kinder wissen, wie moderne Geräte und Medien zu nutzen
sind, ist auch Bestandteil des neuen Lehrplans 21.
Für das kantonale Schulamt ist Regensdorf ein Vorbild. Laut der Amtsleiterin
Marion Völger sind aber auch 80 Prozent der Primar- und Sekundarschulen im
Kanton fit, um ab 2018 das neue Schulfach «Informatik und Medien» zu
unterrichten – zumindest aus technischer Sicht. Sie sagt jedoch: «Es gibt auch
Gemeinden, die bislang auf den Einsatz mobiler Geräte verzichtet haben.» Bei
diesen werde der Veränderungsdruck steigen.
Viele stecken zurzeit mittendrin, Computer und Software anzuschaffen.
Dazu gehören auch die beiden Grossstädte im Kanton. Winterthur hat diese Woche
gemeldet, dass nun alle Primarschülerinnen und -schüler Zugang zu einem Computer
haben werden. Zürich schafft bis im nächsten Sommer wegen des neuen Schulfachs
gegen 3000 mobile Geräte beziehungsweise Computer an. Laut dem Projektleiter
Andi Hess wird der Stadtrat bald einen Entschluss fassen, wie viele davon die
Stadt genau kauft, und er wird das nötige Geld sprechen. Der Betrag wird
voraussichtlich im Millionenbereich liegen. Um das neue Fach unterrichten zu
können, haben diese Woche zudem 100 Lehrerinnen und Lehrer an der Pädagogischen
Hochschule Zürich eine Weiterbildung gestartet. Dort lernen sie unter anderem
programmieren. In den nächsten vier Jahren will der Kanton so 3200 Lehrerinnen
und Lehrer weiterbilden.
Wie die Schulen im Kanton Zürich digital aufrüsten, wird auch
argwöhnisch beobachtet. In Andelfingen befürchten die Eltern von
Sekundarschülern, dass die Tablets ihre Kinder zu sehr ablenken könnten. Auch
dort bekommen alle ein Gerät. In der Stadt Zürich wehren sich Eltern wegen der
Strahlung gegen zu viel WLAN an den Kindergärten und Schulen. Und in
Niederhasli sorgte der ehemalige Schulleiter für Tumult, weil er mittels
moderner Technik den Schulalltag auf den Kopf stellte. Er löste die
herkömmlichen Klassen auf und gab allen Schülerinnen ein iPad. Sie
programmierten und organisierten sich selbst.
Vermitteltes Halbwissen
Auch Juraj Hromkovic, Professor an der ETH für Informationstechnologie
und Ausbildung, steht dem Effort in den Zürcher Schulen misstrauisch gegenüber.
Er findet, es werde zu viel Geld und Energie in die Wahl und Anschaffung des
richtigen Tablets gesteckt. Viel wichtiger wäre es ihm, wenn sich die Schulen
darum kümmern würden, wofür sie diese Geräte eigentlich brauchten – und wie sie
den Kindern Programmieren beibringen könnten. Das hält er für eine Fähigkeit,
die künftig unverzichtbar sei.
Hromkovics Befürchtung: dass Kinder am Ende der Schulzeit zwar wissen,
wie sie ein Tablet und eine App bedienen müssen, von Informatik und der Technik
dahinter trotzdem keine Ahnung haben. Für einen guten Informatikunterricht
brauche es aber nicht für jedes Kind ein iPad, sagt er. «Ein Heft, ein Stift
und der Zugang zu einem Computerzimmer pro Schule würden genügen.» Die
Investitionen könnten so auch geringer gehalten werden.
Dem Informatikprofessor bereitet auch Sorge, dass die Lehrer an der
Pädagogischen Hochschule Zürich für das neue Fach «Informatik und Medien»
zurzeit nicht von studierten Informatikern ausgebildet werden. Es werde so eine
Art Halbwissen an Unwissende weitergegeben. Rahel Tschopp, Leiterin des
zuständigen Bereichs an der Hochschule, sieht diesen Mangel. Man sei daran,
Fachkräfte für diese Weiterbildung auszubilden. Der Bereich sei noch jung, man
habe erst mit dieser Weiterbildung begonnen.
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