Die von Englisch in den Schatten gestellte Landessprache verdient in der
Schule mehr Gegenliebe und Förderung.
Französisch braucht ein Lifting, NZZ, 21.7. von Walter Bernet
Der Kelch ist an Zürich vorbeigegangen. Die Stimmbürger haben die
Fremdspracheninitiative abgelehnt. Nicht nur für Bildungsdirektorin Silvia
Steiner war der 21. Mai ein Tag des Aufatmens. Zwei Fremdsprachen, so die
Meinung einer deutlichen Mehrheit der Urnengänger, erträgt es in der
Primarschule. Trotzdem: Im Abstimmungskampf war viel die Rede vom nutzlosen
Französischunterricht, während der Englischunterricht kein Problem darzustellen
scheint. Es gibt also Handlungsbedarf. Allein, was ist zu tun?
Diese Frage ist alles andere als beantwortet. Erstens ist der
Fremdsprachenunterricht in der Primarschule trotz entsprechenden Forderungen
nie gründlich evaluiert worden. Zuletzt lehnte Silvia Steiner eine Evaluation
am Abstimmungstag ab unter Verweis auf entsprechende Pläne der
Erziehungsdirektorenkonferenz. Und zweitens kosten erfolgversprechende
Massnahmen unter Umständen etwas und beeinträchtigen andere Bildungsinhalte. Zu
intensive Überlegungen in dieser Richtung sind deshalb zurzeit wenig opportun.
Der schwarze Peter
Das ist falsch. Es gibt einige nicht spezifisch zürcherische Studien,
die auf Mängel der Unterrichtsqualität hinweisen. So zeigt eine Innerschweizer Untersuchung vom
Frühling 2016 auf, dass die Ziele der Lehrpläne in Französisch
von viel zu wenigen Schülern erreicht werden. Allerdings gibt es grosse
Unterschiede zwischen den Klassen. Die eine Hälfte erzielt relativ gute
Resultate, die andere ist dafür umso schlechter. Die im Vorfeld der Abstimmung
gezogene Schlussfolgerung lautete, dass nicht das Alter der Schüler, sondern
die Arbeitsweise der Lehrkraft und ihre Fähigkeit, die Kinder für Französisch
zu begeistern, für den Erfolg der Klasse als ganzer entscheidend sei. Da setzen auch die Bemühungen in der
Lehrerbildung ein: «Man kann Schülerinnen und Schüler für den
Französischunterricht motivieren. Wir wissen, wie, und wir wissen mittlerweile
auch, woran es scheitern kann», sagt Bettina Imgrund, Leiterin des Fachbereichs
Französisch der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH).
Den schwarzen Peter einfach einem Teil der Lehrer in die Schuhe zu
schieben, ist allerdings ungerecht. Die Probleme des Französischunterrichts in
der Primarschule haben eine komplexe Vorgeschichte, die bis zu einem gewissen
Grad die Unbeliebtheit des Fachs bei Schülern und bei Lehrern erklärt. Zu viele
der Letzteren bevorzugen in der Ausbildung Englisch, nicht wenige scheitern an
den hohen Anforderungen. Das Personal für den Französischunterricht ist nicht
im Überfluss vorhanden. Wissen müsste man an der PHZH also auch, wie man
angehende Lehrpersonen für das Fach motiviert.
Unter einem schlechten Stern stand bereits die Einführung von
Frühfranzösisch. Alle Primarlehrerinnen und -lehrer wurden damals gezwungen,
Französisch zu unterrichten. Es fehlte an verbindlichen Inhalten. Zwei recht
unterschiedliche Lehrmittel waren im Einsatz. Man schwankte zwischen
spielerischem Eintauchen und Konjugieren von Verben, zwischen dem Fokus auf das
Mündliche und schriftlichen Übungen, führte in den an sich spielerischen
Unterricht Noten ein und so weiter. Als Folge erwies sich der Vorwurf der
Sekundarlehrer, nach acht Wochen spüre man keinen Unterschied mehr zwischen
Schülern mit und ohne Frühfranzösisch, als berechtigt. Es kam noch schlimmer:
Anstatt dass man die Situation analysiert und korrigiert hätte, setzte
Erziehungsdirektor Ernst Buschor nach der Jahrtausendwende die Einführung von
Frühenglisch durch. Und je erfolgreicher der Englischunterricht war, desto
schlechter ging es dem Französischunterricht.
Wer Französisch populärer und den Unterricht effizienter machen will,
muss auch der hier etwas überzeichnet wiedergegebenen Vorgeschichte Rechnung
tragen. «Es wäre im Rückblick sinnvoll gewesen, man hätte in der Primarschule
zuerst den Französischunterricht gestärkt und dann das Englisch eingeführt»,
sagt Lilo Lätzsch, die abtretende Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und
Lehrerverbands. Wie so oft habe man Neues etabliert und dann zu wenig geschaut,
ob es auch funktioniere.
Die Chancen der Nähe
Die Chancen, dass sich die Situation verbessert, stehen dann gut, wenn
nicht nur die PHZH an den Schwachstellen arbeitet – und wenn getroffene
Massnahmen auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Die Einführung des neuen
Lehrmittels «Dis donc!» ab diesem Sommer ist ein erster grosser Schritt. Dem
Lehrmittel eilt ein guter Ruf voraus. Es ist das erste, das nach einem neuen
Prozess mit praktischer Erprobung und mehr Mitsprache der Praktiker erarbeitet
wurde. Dazu kommt eine zusätzliche Lektion im Startjahr, die allerdings später
eingespart wird. Eine wesentliche Verbesserung wären Halbklassenlektionen, aber
die sind nicht umsonst zu haben.
Für Lilo Lätzsch erführe Französisch eine grosse Aufwertung, wenn man
ihm als Landessprache eine bevorzugte Stellung unter den Fremdsprachen
einräumte und die Möglichkeit des Sprachaustausches und der gegenseitigen
Besuche besser nutzte. Was die angehenden Lehrkräfte betrifft, zieht die
Regierung die Grenzen aber eng. Ein Postulat von SP, GLP und SVP, das ein
obligatorisches Gastsemester an einer PH und einen halbjährigen Einsatz als
Klassenassistenz in einem anderen Schweizer Sprachraum fordert, lehnt sie ab.
Die heutigen paar Wochen müssen genügen. Die Antwort auf ein SP-Postulat, das
einen obligatorischen Sprach- und Kulturaustausch für Volksschüler verlangt,
wird im Herbst erwartet.
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