21. Juli 2017

Wirkung des Französischunterrichts untersuchen

Die von Englisch in den Schatten gestellte Landessprache verdient in der Schule mehr Gegenliebe und Förderung.
Französisch braucht ein Lifting, NZZ, 21.7. von Walter Bernet


Der Kelch ist an Zürich vorbeigegangen. Die Stimmbürger haben die Fremdspracheninitiative abgelehnt. Nicht nur für Bildungsdirektorin Silvia Steiner war der 21. Mai ein Tag des Aufatmens. Zwei Fremdsprachen, so die Meinung einer deutlichen Mehrheit der Urnengänger, erträgt es in der Primarschule. Trotzdem: Im Abstimmungskampf war viel die Rede vom nutzlosen Französischunterricht, während der Englischunterricht kein Problem darzustellen scheint. Es gibt also Handlungsbedarf. Allein, was ist zu tun?
Diese Frage ist alles andere als beantwortet. Erstens ist der Fremdsprachenunterricht in der Primarschule trotz entsprechenden Forderungen nie gründlich evaluiert worden. Zuletzt lehnte Silvia Steiner eine Evaluation am Abstimmungstag ab unter Verweis auf entsprechende Pläne der Erziehungsdirektorenkonferenz. Und zweitens kosten erfolgversprechende Massnahmen unter Umständen etwas und beeinträchtigen andere Bildungsinhalte. Zu intensive Überlegungen in dieser Richtung sind deshalb zurzeit wenig opportun.

Der schwarze Peter
Das ist falsch. Es gibt einige nicht spezifisch zürcherische Studien, die auf Mängel der Unterrichtsqualität hinweisen. So zeigt eine Innerschweizer Untersuchung vom Frühling 2016 auf, dass die Ziele der Lehrpläne in Französisch von viel zu wenigen Schülern erreicht werden. Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen den Klassen. Die eine Hälfte erzielt relativ gute Resultate, die andere ist dafür umso schlechter. Die im Vorfeld der Abstimmung gezogene Schlussfolgerung lautete, dass nicht das Alter der Schüler, sondern die Arbeitsweise der Lehrkraft und ihre Fähigkeit, die Kinder für Französisch zu begeistern, für den Erfolg der Klasse als ganzer entscheidend sei. Da setzen auch die Bemühungen in der Lehrerbildung ein: «Man kann Schülerinnen und Schüler für den Französischunterricht motivieren. Wir wissen, wie, und wir wissen mittlerweile auch, woran es scheitern kann», sagt Bettina Imgrund, Leiterin des Fachbereichs Französisch der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH).

Den schwarzen Peter einfach einem Teil der Lehrer in die Schuhe zu schieben, ist allerdings ungerecht. Die Probleme des Französischunterrichts in der Primarschule haben eine komplexe Vorgeschichte, die bis zu einem gewissen Grad die Unbeliebtheit des Fachs bei Schülern und bei Lehrern erklärt. Zu viele der Letzteren bevorzugen in der Ausbildung Englisch, nicht wenige scheitern an den hohen Anforderungen. Das Personal für den Französischunterricht ist nicht im Überfluss vorhanden. Wissen müsste man an der PHZH also auch, wie man angehende Lehrpersonen für das Fach motiviert.

Unter einem schlechten Stern stand bereits die Einführung von Frühfranzösisch. Alle Primarlehrerinnen und -lehrer wurden damals gezwungen, Französisch zu unterrichten. Es fehlte an verbindlichen Inhalten. Zwei recht unterschiedliche Lehrmittel waren im Einsatz. Man schwankte zwischen spielerischem Eintauchen und Konjugieren von Verben, zwischen dem Fokus auf das Mündliche und schriftlichen Übungen, führte in den an sich spielerischen Unterricht Noten ein und so weiter. Als Folge erwies sich der Vorwurf der Sekundarlehrer, nach acht Wochen spüre man keinen Unterschied mehr zwischen Schülern mit und ohne Frühfranzösisch, als berechtigt. Es kam noch schlimmer: Anstatt dass man die Situation analysiert und korrigiert hätte, setzte Erziehungsdirektor Ernst Buschor nach der Jahrtausendwende die Einführung von Frühenglisch durch. Und je erfolgreicher der Englischunterricht war, desto schlechter ging es dem Französischunterricht.

Wer Französisch populärer und den Unterricht effizienter machen will, muss auch der hier etwas überzeichnet wiedergegebenen Vorgeschichte Rechnung tragen. «Es wäre im Rückblick sinnvoll gewesen, man hätte in der Primarschule zuerst den Französischunterricht gestärkt und dann das Englisch eingeführt», sagt Lilo Lätzsch, die abtretende Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Wie so oft habe man Neues etabliert und dann zu wenig geschaut, ob es auch funktioniere.

Die Chancen der Nähe
Die Chancen, dass sich die Situation verbessert, stehen dann gut, wenn nicht nur die PHZH an den Schwachstellen arbeitet – und wenn getroffene Massnahmen auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Die Einführung des neuen Lehrmittels «Dis donc!» ab diesem Sommer ist ein erster grosser Schritt. Dem Lehrmittel eilt ein guter Ruf voraus. Es ist das erste, das nach einem neuen Prozess mit praktischer Erprobung und mehr Mitsprache der Praktiker erarbeitet wurde. Dazu kommt eine zusätzliche Lektion im Startjahr, die allerdings später eingespart wird. Eine wesentliche Verbesserung wären Halbklassenlektionen, aber die sind nicht umsonst zu haben.

Für Lilo Lätzsch erführe Französisch eine grosse Aufwertung, wenn man ihm als Landessprache eine bevorzugte Stellung unter den Fremdsprachen einräumte und die Möglichkeit des Sprachaustausches und der gegenseitigen Besuche besser nutzte. Was die angehenden Lehrkräfte betrifft, zieht die Regierung die Grenzen aber eng. Ein Postulat von SP, GLP und SVP, das ein obligatorisches Gastsemester an einer PH und einen halbjährigen Einsatz als Klassenassistenz in einem anderen Schweizer Sprachraum fordert, lehnt sie ab. Die heutigen paar Wochen müssen genügen. Die Antwort auf ein SP-Postulat, das einen obligatorischen Sprach- und Kulturaustausch für Volksschüler verlangt, wird im Herbst erwartet.


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