Schulen haben auf tieferen Stufen Mühe, passende
Lehrer zu finden. Jetzt sollen Männer in die Bresche springen.
Lehrermangel: Primarschulen suchen dringend Männer, Aargauer Zeitung, 20.7. von Yannick Nock
Während die meisten Kinder die Sommerferien
geniessen, beschäftigen sich die Schulleiter seit Wochen mit der Zeit danach –
nicht ohne Schwierigkeiten. Noch immer beklagen die Verantwortlichen einen
akuten Lehrermangel. Je nach Schulstufe und Fachrichtung war es alles andere
als einfach, passendes Personal zu finden. Das zeigt eine Umfrage der
«Nordwestschweiz» unter den kantonalen Schulleiterverbänden.
Besonders die tieferen Stufen sind betroffen.
Gemäss Philipp Grolimund, Co-Präsident des Aargauer Schulleiterverbands, hat
die Hälfte der Schulen Schwierigkeiten, eine Stelle im Kindergarten zu
besetzten. Ähnlich klingt es in Zürich, St. Gallen, Luzern oder Graubünden. Es
mangelt trotz neu ausgebildeten Pädagogen und Quereinsteigern an Personal. Das
liegt auch daran, dass in den vergangenen Jahren viele Lehrer das Pensionsalter
erreicht haben und die Schülerzahlen wieder steigen.
Wie eine interne, bisher unveröffentlichte Umfrage
des nationalen Schulleiterverbands zeigt, betrifft das Problem alle Kantone.
Hunderte Kindergärten und Schulen wurden bei der Erhebung berücksichtigt.
«Dauerbrenner beim Mangel sind spezifische Fachkräfte wie schulische Heilpädagoginnen
und -pädagogen sowie Kindergartenlehrpersonen», schreibt der Verband auf seiner
Homepage. Für knapp einen Drittel der Befragten sei die
Situation «kritisch», für manche gar «schwierig bis hoffnungslos», in diesen
Stufen eine freie Stelle zu besetzen.
Keine einzige Bewerbung
Festgefahrene Geschlechterrollen befeuern das
Problem in den unteren Stufen. Kurz: Es fehlen Männer. Die Kleinsten werden fast
ausschliesslich von Frauen betreut. «In meinen knapp zehn Jahren als
Schulleiterin habe ich keine einzige Bewerbung eines Mannes für eine
Kindergarten-Stelle erhalten», sagt Ursina Patt, Präsidentin des Verbands
Schulleiterinnen und Schulleiter Graubünden. In der Unterstufe sei der Mangel
weniger akut, aber dennoch ein Thema. Das überwiegend weibliche Schulteam
wendet sich oft mit der Bitte an Patt, sie möge eine freie Stelle doch mit
einem Mann besetzen. Rainer Elster, Vizepräsident des St. Galler Schulleiterverbandes,
doppelt nach: «Es gibt Kinder, die vom Kindergarten bis zur Oberstufe fast nur
von Frauen unterrichtet wurden», sagt er. Reine Frauensache also. Aber nicht
mehr lange.
UMFRAGE
Der Verein «Männer an die Primarschule» will die
Quote in den unteren Stufen erhöhen, vom Kindergarten bis in die 6. Klasse.
Zurzeit laufen vier Projekte, die bis 2018 abgeschlossen werden. Es geht darum,
Männer von den Chancen und Vorteilen der tieferen Stufen zu überzeugen. So
bieten die Pädagogischen Hochschulen Zürich und Zug spezielle Schnuppertage für
interessierte Männer an. Dabei können sie sich am Unterricht beteiligen oder
die Lehrer über den Beruf ausfragen. Das soll vor allem Quereinsteiger
ansprechen.
Auch der Bund unterstützt die verschiedenen
Projekte. Das Büro für Gleichstellung zahlt eine halbe Million Franken. Denn
letztlich kämen mehr Männer auch den Kindern zugute. «Buben und Mädchen
profitieren von Bezugspersonen beider Geschlechter», sagt Lisa Lehner vom
Verein «Männer an die Primarschule» und Vizepräsidentin des Schweizer
Schulleiterverbands.
Den Männern wurde es in den tieferen Stufen bisher nicht leicht gemacht. Sie begegnen Vorurteilen – und Eltern befürchten Übergriffe. «Männer müssen sich die Frage stellen, inwieweit kann ich ein Kind überhaupt in den Arm nehmen, um es zu trösten», sagt Lehner.
Die Angst, eines Übergriffes beschuldigt zu werden,
halte viele davon ab, eine solche Stelle anzunehmen. «Diese Vorurteile müssen
wir überwinden», sagt sie. Seit 1995 ist der Männeranteil der Lehrer auf der
Primarstufe von 30 auf 18 Prozent gesunken. An den Kindergärten war der Anteil
schon immer marginal.
Mehr Lohn für Primarlehrer
Dafür hat neben den Geschlechterrollen auch der
Lohn gesorgt. Viele Kantone bezahlen Lehrern in der Unterstufe weniger als
ihren Kollegen in den höheren Klassen, obwohl sich die Ausbildungsanforderungen
angeglichen haben. Und auch zwischen den Kantonen existiert eine Lohnschere.
Wer mehr bezahlt, hat weniger Mühe, freie Stellen zu besetzen. Einige Kantone,
darunter der Aargau oder St. Gallen, haben deshalb angekündigt, die Löhne zu
erhöhen.
Die Debatte ist nicht neu. So verlässlich wie die
Schulferien im Sommer sind die Forderungen des Schweizerischen Lehrerverbandes
nach mehr Gehalt. Kürzlich startete der Verband einen neuen Appell und lieferte
gleich ein Lohn-Ranking der Kantone ab: Ein «Genügend» haben beide Appenzell
erhalten sowie Schwyz, Uri und Wallis. Als «schlecht» beurteilt wird die
Situation in den Kantonen Bern, Aargau und Schaffhausen. Die übrigen Kantone,
darunter Zürich, beide Basel, St. Gallen und Luzern, haben ein «Ungenügend»
erhalten. Gut abgeschnitten hat lediglich der Kanton Zug.
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