4. Juli 2017

Studie stützt Baselbieter Fremdsprachen-Initiative

Noch hat der Baselbieter Landrat die vor über einem Jahr eingereichte Initiative «Stopp der Überforderung von Schüler/-innen: Eine Fremdsprache auf der Primarstufe genügt» nicht behandelt. Doch es steht fest, dass das Volk darüber abstimmen wird, ob Frühenglisch in den Baselbieter Primarschulen weitergeführt wird. Jetzt erhalten die Initianten Schützenhilfe: Eine soeben publizierte und auf Erfahrungen in der Schweiz abgestützte Studie zeigt auf, dass sich der grosse Aufwand für den frühen Spracherwerb nicht lohnt: Wer später beginnt, holt in kurzer Zeit auf. Das von den Sprachwissenschaftlern Simone E. Pfenninger und David Singleton in Bristol herausgegebene wissenschaftliche Werk geht der Frage nach den Gründen dieser Erkenntnisse nach.
"Je früher desto besser" gilt nicht, Basler Zeitung, 4.7. von Thomas Dähler


Die Baselbieter Volksinitiative, von der Starken Schule und weiteren Exponenten in der Politik und der Bildung tätigen Persönlichkeiten initiiert, verlangt einen Kompromiss: Frühfranzösisch soll beibehalten, Englisch in die Sekundarschule verschoben werden. Anders als die Frühfremdsprachen-Kritiker in anderen Kantonen legen sich die Initianten damit nicht mit der Westschweiz an und setzen sich auch nicht dem Vorwurf aus, der Schweiz durch das Zurücksetzen einer Landessprache staatspolitisch zu schaden – und dies obwohl es um die Motivation für den Französisch-Unterricht in den Schulen schlechter bestellt ist als für den Englischunterricht.

In Basel nicht unbekannt
Die Zürcher Wissenschaftlerin Simone Pfenninger ist in der Nordwestschweiz nicht unbekannt. Als Kontrahentin des früheren Basler Erziehungsdirektors Christoph Eymann und als Referentin an einem Podium hat sie bereits erläutert, wie ihr die Umstellung des Sprachunterrichts in Zürich eine Befragung von Schülerinnen und Schülern mit zeitlich unterschiedlichem Spracherwerb ermöglicht wurden. Sie forscht unterdessen an der Universität Salzburg in den Bereichen Anglistik und Amerikanistik. In dem zusammen mit dem in Ungarn und Irland tätigen Professor David Singleton neu veröffentlichten Buch sind diese Daten durch Zusatzbefragungen verifiziert und wissenschaftlich weiter ausgewertet. Deutlich das Fazit in «Beyond Age Effects in Instructional L2 Learning» – so der Titel des in Englisch verfassten Buchs: Beim Erwerb einer Fremdsprache in der Schule gilt der Leitsatz «Je früher desto besser» nicht. Im Gegenteil: Wer in der Schule später lernt, lernt fundierter und schneller.

Voraussetzungen nicht erfüllt
Ausschlaggebend für erfolgreiche Kenntnisse der Fremdsprache Englisch sind die Kenntnisse der Erstsprache, die Motivation für das Lernen der Fremdsprache und die Intensität des schulischen Sprachunterrichts. Alle drei Kriterien können die Schulen in Basel und im Baselbiet nicht erfüllen: Die Frühfremdsprachen werden schon zu einem Zeitpunkt gelehrt, wenn die Schülerinnen und Schüler die Erstsprache Deutsch noch ungenügend beherrschen. Die Motivation ist in vielen Fällen ungenügend. Und die minimale Stundendotation von zwei oder gar maximal drei Wochenstunden ist das Gegenteil eines intensiven Sprachunterrichts, zumal die Fremdsprache im Unterricht der übrigen Fächer nicht verwendet wird.

Die Grundlagen der wissenschaftlichen Studie verdanken die beiden Autoren einer speziellen Situation in der Schweiz. Im Kanton Zürich gab es 2009 gleichzeitig 13-jährige Schülerinnen, die dank Frühenglisch in der Primarschule bereits über Englischkenntnisse verfügten, und Altersgenossen, die neu mit Englischlernen begannen. So konnte Pfenninger parallel die sprachlichen Fortschritte der beiden Gruppen erheben und verfolgen. Nach einem halben Jahr lagen die Frühenglisch-Absolventen klar vorne, mündlich und schriftlich. Doch dies glich sich in der Folge aus. Die Studie ging der Frage nach, weshalb die Frühenglisch-Absolventen den Vorsprung nicht halten konnten. Untersucht wurden die Motivation, die mündlichen und schriftlichen Kenntnisse der Erstsprache, die Lernstrategien und Lehrmittel und die Intensität des Unterrichts.

Dabei stellte sich heraus, dass die Intensität des Sprachgebrauchs weit wichtiger ist als das Alter beim Beginn des Fremdsprachen-Erwerbs. Je mehr die Sprache verwendet wird, desto besser sind die Sprachkenntnisse. Die Frühenglisch-Absolventen hatten zwar früh mit Englisch begonnen, jedoch nur mit geringer Intensität, nämlich gerade mal mit zwei oder drei Lektionen pro Woche. Bestätigt wird damit eine frühere These von Co-Autor David Singleton: In fortgeschrittenem Alter ist die Konfrontation mit der neuen Sprache wesentlich intensiver als auf der unteren Schulstufe und kommt damit dem natürlichen Spracherwerb in einer fremden Sprachregion näher.

Jüngere Kinder sind gar nicht in der Lage, so rasch Neues einfach aufzunehmen – ausser sie unternehmen grosse Anstrengungen – mit dem Risiko, dass sie ihre positive Einstellung verlieren. Mit einer oder zwei Lektionen pro Woche erwerben die Kinder nicht wirklich nachhaltige Sprachkenntnisse.Die Studie widerlegt auch die These, dass Kinder in frühem Alter leichter lernen. Für die Motivation ist es weit besser, später mit der Fremdsprache zu starten, dafür mit möglichst vielen Lektionen pro Woche.

Erstsprache wichtig
Wichtig sind auch die Kenntnisse in der Erstsprache, und zwar sowohl bei deutscher Muttersprache als auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wer die Erstsprache – die Sprache, die man in der Primarschule lesen und schreiben lernt – gut kennt, kommt auch in der Fremdsprache besser zurecht. Gute Kenntnisse der Erstsprache sind in der Schule eine solide Basis für eine neue Fremdsprache. Dies ist nicht vergleichbar mit dem Spracherwerb in einem zweisprachigen Haushalt oder mit dem Deutschlernen einer Familie, die aus einem anderen Sprachraum zuzieht und deren Erfolg von der neuen Sprachumgebung abhängt.

Französisch vor Englisch
Die Studie basiert auf quantitativen und qualitativen Erhebungen und behandelt insbesondere auch die Schweizer Frage, ob Französisch oder Englisch die erste Fremdsprache sein soll – ohne zu einem eindeutigen Schluss zu kommen. Die Zürcher Schülerinnen und Schüler lernen bekanntlich zuerst Englisch und erst später Französisch. Festgestellt wurde immerhin, dass sich der Englischunterricht negativ auf den Französisch-Unterricht auswirkt, auch weil Französisch von den Schülern als schwieriger und weniger wichtig beurteilt wird. Auch sagen die Schüler mehrheitlich aus, Englisch sei ihnen weniger fremd als Französisch, weil Englisch als Weltsprache überall präsent sei. Jedenfalls ist der Schluss zulässig, dass es Französisch schwieriger hat, wenn die Schüler bereits Englisch-Erfahrungen haben.

Schliesslich gibt die Studie auch Stimmen wieder, die für einen früheren Französisch-Unterricht werben, weil Französisch den Schülern fremder ist. Parallel zu einem intensiven Französisch-Unterricht würden die Schüler nämlich im Alltag ohnehin mit Englisch konfrontiert. Zudem weist die Studie auch aus, dass ältere Schüler nicht nur von den besseren Deutschkenntnissen profitieren. Ältere Schüler können, wenn sie sowohl Englisch als auch Französisch lernen, auch besser von crosslingualen Effekten profitieren.


Simone E. Pfenninger and David Singleton: Beyond Age Effects in Instructional L2 Learning, SLA Second Language Acquisition, Bristol 2017.

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