Noch hat der Baselbieter Landrat die vor über einem Jahr eingereichte
Initiative «Stopp der Überforderung von Schüler/-innen: Eine Fremdsprache auf
der Primarstufe genügt» nicht behandelt. Doch es steht fest, dass das Volk
darüber abstimmen wird, ob Frühenglisch in den Baselbieter Primarschulen
weitergeführt wird. Jetzt erhalten die Initianten Schützenhilfe: Eine soeben publizierte
und auf Erfahrungen in der Schweiz abgestützte Studie zeigt auf, dass sich der
grosse Aufwand für den frühen Spracherwerb nicht lohnt: Wer später beginnt,
holt in kurzer Zeit auf. Das von den Sprachwissenschaftlern Simone E.
Pfenninger und David Singleton in Bristol herausgegebene wissenschaftliche Werk
geht der Frage nach den Gründen dieser Erkenntnisse nach.
"Je früher desto besser" gilt nicht, Basler Zeitung, 4.7. von Thomas Dähler
Die
Baselbieter Volksinitiative, von der Starken Schule und weiteren Exponenten in
der Politik und der Bildung tätigen Persönlichkeiten initiiert, verlangt einen
Kompromiss: Frühfranzösisch soll beibehalten, Englisch in die Sekundarschule
verschoben werden. Anders als die Frühfremdsprachen-Kritiker in anderen
Kantonen legen sich die Initianten damit nicht mit der Westschweiz an und
setzen sich auch nicht dem Vorwurf aus, der Schweiz durch das Zurücksetzen
einer Landessprache staatspolitisch zu schaden – und dies obwohl es um die
Motivation für den Französisch-Unterricht in den Schulen schlechter bestellt
ist als für den Englischunterricht.
In
Basel nicht unbekannt
Die
Zürcher Wissenschaftlerin Simone Pfenninger ist in der Nordwestschweiz nicht
unbekannt. Als Kontrahentin des früheren Basler Erziehungsdirektors Christoph
Eymann und als Referentin an einem Podium hat sie bereits erläutert, wie ihr
die Umstellung des Sprachunterrichts in Zürich eine Befragung von Schülerinnen
und Schülern mit zeitlich unterschiedlichem Spracherwerb ermöglicht wurden. Sie
forscht unterdessen an der Universität Salzburg in den Bereichen Anglistik und
Amerikanistik. In dem zusammen mit dem in Ungarn und Irland tätigen Professor
David Singleton neu veröffentlichten Buch sind diese Daten durch
Zusatzbefragungen verifiziert und wissenschaftlich weiter ausgewertet. Deutlich
das Fazit in «Beyond Age Effects in Instructional L2 Learning» – so der Titel
des in Englisch verfassten Buchs: Beim Erwerb einer Fremdsprache in der Schule
gilt der Leitsatz «Je früher desto besser» nicht. Im Gegenteil: Wer in der
Schule später lernt, lernt fundierter und schneller.
Voraussetzungen
nicht erfüllt
Ausschlaggebend
für erfolgreiche Kenntnisse der Fremdsprache Englisch sind die Kenntnisse der
Erstsprache, die Motivation für das Lernen der Fremdsprache und die Intensität
des schulischen Sprachunterrichts. Alle drei Kriterien können die Schulen in
Basel und im Baselbiet nicht erfüllen: Die Frühfremdsprachen werden schon zu
einem Zeitpunkt gelehrt, wenn die Schülerinnen und Schüler die Erstsprache
Deutsch noch ungenügend beherrschen. Die Motivation ist in vielen Fällen
ungenügend. Und die minimale Stundendotation von zwei oder gar maximal drei
Wochenstunden ist das Gegenteil eines intensiven Sprachunterrichts, zumal die
Fremdsprache im Unterricht der übrigen Fächer nicht verwendet wird.
Die
Grundlagen der wissenschaftlichen Studie verdanken die beiden Autoren einer speziellen
Situation in der Schweiz. Im Kanton Zürich gab es 2009 gleichzeitig 13-jährige
Schülerinnen, die dank Frühenglisch in der Primarschule bereits über
Englischkenntnisse verfügten, und Altersgenossen, die neu mit Englischlernen
begannen. So konnte Pfenninger parallel die sprachlichen Fortschritte der
beiden Gruppen erheben und verfolgen. Nach einem halben Jahr lagen die
Frühenglisch-Absolventen klar vorne, mündlich und schriftlich. Doch dies glich
sich in der Folge aus. Die Studie ging der Frage nach, weshalb die
Frühenglisch-Absolventen den Vorsprung nicht halten konnten. Untersucht wurden
die Motivation, die mündlichen und schriftlichen Kenntnisse der Erstsprache,
die Lernstrategien und Lehrmittel und die Intensität des Unterrichts.
Dabei
stellte sich heraus, dass die Intensität des Sprachgebrauchs weit wichtiger ist
als das Alter beim Beginn des Fremdsprachen-Erwerbs. Je mehr die Sprache
verwendet wird, desto besser sind die Sprachkenntnisse. Die
Frühenglisch-Absolventen hatten zwar früh mit Englisch begonnen, jedoch nur mit
geringer Intensität, nämlich gerade mal mit zwei oder drei Lektionen pro Woche.
Bestätigt wird damit eine frühere These von Co-Autor David Singleton: In
fortgeschrittenem Alter ist die Konfrontation mit der neuen Sprache wesentlich
intensiver als auf der unteren Schulstufe und kommt damit dem natürlichen
Spracherwerb in einer fremden Sprachregion näher.
Jüngere
Kinder sind gar nicht in der Lage, so rasch Neues einfach aufzunehmen – ausser
sie unternehmen grosse Anstrengungen – mit dem Risiko, dass sie ihre positive
Einstellung verlieren. Mit einer oder zwei Lektionen pro Woche erwerben die
Kinder nicht wirklich nachhaltige Sprachkenntnisse.Die Studie widerlegt auch
die These, dass Kinder in frühem Alter leichter lernen. Für die Motivation ist
es weit besser, später mit der Fremdsprache zu starten, dafür mit möglichst
vielen Lektionen pro Woche.
Erstsprache
wichtig
Wichtig
sind auch die Kenntnisse in der Erstsprache, und zwar sowohl bei deutscher
Muttersprache als auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wer die
Erstsprache – die Sprache, die man in der Primarschule lesen und schreiben
lernt – gut kennt, kommt auch in der Fremdsprache besser zurecht. Gute
Kenntnisse der Erstsprache sind in der Schule eine solide Basis für eine neue
Fremdsprache. Dies ist nicht vergleichbar mit dem Spracherwerb in einem
zweisprachigen Haushalt oder mit dem Deutschlernen einer Familie, die aus einem
anderen Sprachraum zuzieht und deren Erfolg von der neuen Sprachumgebung
abhängt.
Französisch
vor Englisch
Die
Studie basiert auf quantitativen und qualitativen Erhebungen und behandelt
insbesondere auch die Schweizer Frage, ob Französisch oder Englisch die erste
Fremdsprache sein soll – ohne zu einem eindeutigen Schluss zu kommen. Die
Zürcher Schülerinnen und Schüler lernen bekanntlich zuerst Englisch und erst
später Französisch. Festgestellt wurde immerhin, dass sich der
Englischunterricht negativ auf den Französisch-Unterricht auswirkt, auch weil
Französisch von den Schülern als schwieriger und weniger wichtig beurteilt
wird. Auch sagen die Schüler mehrheitlich aus, Englisch sei ihnen weniger fremd
als Französisch, weil Englisch als Weltsprache überall präsent sei. Jedenfalls
ist der Schluss zulässig, dass es Französisch schwieriger hat, wenn die Schüler
bereits Englisch-Erfahrungen haben.
Schliesslich
gibt die Studie auch Stimmen wieder, die für einen früheren
Französisch-Unterricht werben, weil Französisch den Schülern fremder ist.
Parallel zu einem intensiven Französisch-Unterricht würden die Schüler nämlich
im Alltag ohnehin mit Englisch konfrontiert. Zudem weist die Studie auch aus,
dass ältere Schüler nicht nur von den besseren Deutschkenntnissen profitieren.
Ältere Schüler können, wenn sie sowohl Englisch als auch Französisch lernen,
auch besser von crosslingualen Effekten profitieren.
Simone E. Pfenninger and David Singleton: Beyond Age Effects in
Instructional L2 Learning, SLA Second Language Acquisition, Bristol 2017.
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