Vor wenigen Monaten kündigte die Howard
University in Washington an, einen Campus am Google-Hauptquartier in Mountain
View zu eröffnen, wo Computerwissenschaftler drei Monate studieren können.
Während ihres Forschungsaufenthalts, einer Art Sommeruniversität, werden die
Gasthörer der traditionell afroamerikanischen Hochschule von Google-Tutoren
angeleitet und können Schnupperkurse in den Fachabteilungen besuchen.
Google drängt ins Klassenzimmer, Basler Zeitung, 11.7. von Adrian Lobe
Dass
grosse Konzerne an Universitäten herantreten und Stiftungsprofessuren
finanzieren, um Nachwuchswissenschaftler zu rekrutieren und von gemeinsamen
Forschungsergebnissen zu profitieren, ist ein in der Wissenschaft immer
häufiger anzutreffendes Phänomen. Dass jedoch Universitäten selbst an Konzerne
herantreten, kommt eher selten vor. Google will die Kooperation als Zeichen der
Diversität verstanden wissen, um vor allem afroamerikanische Wissenschaftler zu
rekrutieren, die in Programmierberufen traditionell unterrepräsentiert sind.
Talente
vom Fliessband
Googles
Vizepräsidentin Bonita Stewart, selbst Afroamerikanerin und Absolventin der
Howard University, schrieb in einem Blog-Eintrag: «Als ich bei Google vor einem
Jahrzehnt anfing, gab es fast keine Diskussion über Vielfalt in der
Tech-Branche.» Das solle sich nun ändern. Die Partnerschaft ist freilich nicht
nur ein Mittel, Googles Image als pluralistisches Unternehmen in der
Öffentlichkeit aufzupolieren – der Konzern rekrutiert sein Personal auf der
ganzen Welt und erhält pro Jahr zwei Millionen Bewerbungen –, sondern auch
Wissenschaft und Praxis stärker zu verzahnen. Dass Google seine Standorte
«Campus» nennt und wie Bildungslandschaften gestaltet, zeugt auch vom Anspruch
lebenslangen Lernens.
Google
und die Mutterfirma Alphabet sind nah an der Wissenschaft. Der mit 600
Milliarden Dollar wertvollste Konzern der Welt entstand aus der Universität
heraus: Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin schrieben ihr
bahnbrechendes Paper «The Anatomy of a Large-Scale Hypertextual Web Search
Engine» (1998), das die Grundlagen der Suchmaschine legte, als Mitglieder der
computerwissenschaftlichen Fakultät der Stanford University. Die mit einem
Jahresetat von knapp sechs Milliarden Dollar ausgestattete Universität
produziert Talente wie am Fliessband. Zu den Alumni gehören Tech-Grössen wie
der ehemalige Microsoft-CEO Steve Ballmer, Ex-Yahoo-Chefin Marissa Mayer sowie
der Paypal-Gründer Peter Thiel.
Schüler-Laptops
durchforstet
Google
ist nicht allein auf dem Markt. Im Kampf um die klügsten Köpfe ist ein
erbitterter Wettstreit entbrannt. Tech-Konzerne überbieten sich mit
Einstiegsgehältern, um die besten Talente an den Universitäten abzuwerben. Laut
einer Gehaltsumfrage der Purdue University laufen Google-Praktikanten mit 6000
Dollar im Monat nach Hause, hinzu kommen nochmals 3000 Dollar für die
Unterkunft. Kein schlechter Verdienst für einen Studenten.
Doch
Google geht das Head-Hunting an den Vorhöfen seiner Programmierschmieden nicht
weit genug: Der Internetkonzern drängt auch in die Schulen. Die New York Times schrieb
in einem lesenswerten Artikel, wie der Tech-Gigant den öffentlichen
Bildungssektor mit Billig-Laptops und kostenlosen Apps transformiert. An der
Grundschule Newton Bateman in Chicago etwa lernen die Schüler, mit Google Docs
Aufsätze zu schreiben und sie in der Cloud zu teilen. Auf der App Google
Classroom vermerkt der Lehrer Abgabetermine und Klassenarbeiten.
Mittlerweile
nutzen über 30 Millionen Kinder, mehr als die Hälfte der US-Primar- und
Sekundarschüler, Google-Education-Apps. Das Laptop Chromebook, das Google für
30 Dollar an Schulen verkauft, ist zum neuen Arbeitsheft geworden. Damit
erreicht Google, dass Nutzer von Kindesbeinen mit seinen Produkten und Diensten
vertraut sind.
Doch
nicht jeder ist von den digitalen Lernhelfern begeistert. Elternverbände
befürchten, Google könnte die Daten ihrer Sprösslinge abgreifen und
detaillierte Profile anlegen. Eine Sorge, die nicht ganz unbegründet ist – das
Unternehmen weist diese Befürchtung jedoch zurück, wie SRF berichtete.
Wie
die Datenschutzorganisation Eletronic Frontier Foundation (EFF) im Rahmen ihrer
Kampagne «Spying on Students» herausfand, war bei den Schulrechnern in den
Standardeinstellungen die Sync-Funktion aktiviert. Damit kann Google jeden
Suchbegriff, jede aufgerufene Seite und Passwörter nachverfolgen und auf seinen
Servern speichern. Aus Diensten wie Hangouts, Drive, Docs, Sheets und Slides
leitet Google detaillierte Verhaltensprofile ab.
Die
EFF-Datenschützer erhoben Beschwerde bei der US-Handelskommission FTC.
«Entgegen öffentlicher Bekundungen durchforstet Google die Browser-Historie und
andere Informationen von Schülern und nutzt diese für Unternehmenszwecke»,
kritisierte EFF-Anwalt Nate Cardozo. «Minderjährige sollten nicht getrackt oder
als Versuchskaninchen missbraucht werden.» Diesen Satz würde wohl jeder
unterschreiben. Doch Google ist nicht gemeinwohl-, sondern profitorientiert.
Und das unterscheidet den Konzern von einer Universität, die dem Humboldtschen
Bildungsideal verpflichtet ist.
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