5. Juli 2017

Eigendynamik von Politik, Administration und Privatwirtschaft muss gestoppt werden

Als Ernst Buschor in den Neunzigern anfing, die Zürcher Volksschule zu reformieren, öffnete er eine Büchse der Pandora, die seitens der Politik nicht mehr zu schliessen ist. 
Stimmvolk muss die Reformindustrie stoppen, Basellandschaftliche Zeitung, 5.7. Leserbrief von Felix Hoffmann


Seither jagt auch in Baselland eine Reform die andere: Teilautonomie der Schulen, neue Zeitaufteilung zwischen Primar- und Sekundarschule, selbstorganisiertes Lernen, Lernlandschaften, Integration lernschwacher Schüler, Kompetenzorientierung, neue Lehrpläne, neue Stundentafeln, Fächerzusammenlegungen, Niveau-übergreifender Unterricht, neues Fremdsprachenkonzept, Frühfremdsprachen, Projektarbeit, Digitalisierung des Unterrichts usw. Zur Umsetzung all dieser von der Politik beschlossenen Neuerungen bedarf es seitens der Schuladministration ständig neuer Stellen, während die Privatwirtschaft gegen Steuergelder Equipment, fortlaufend neue Unterrichtsmaterialien und Weiterbildungen liefert. Das hierdurch entstandene Dreigestirn von Politik, Administration und Privatwirtschaft hat eine Eigendynamik entwickelt, die zum Wohle der Volksschule und unserer Kinder nur noch vom Stimmvolk gestoppt werden kann. Dazu braucht es sinnvolle Initiativen, wie sie von der Starken Schule beider Basel und vom Lehrerverein Baselland erwirkt werden. Es mutet auf diesem Hintergrund eigenartig an, wenn Franz A. Saladinals Direktor der Handelskammer beider Basel fast verzweifelt nach «Ruhe für dieSchulen» ruft und sich gleichzeitig starkmacht für die Dauerreformen im Schulbereich. Ein Hintergedanke an lukrative Aufträge für die Privatwirtschaft soll ihm nicht unterstellt werden. Wahrscheinlich fehlt ihm für eine seriöse Beschäftigung mit der von ihm thematisierten Materie aus verständlichen Gründen schlicht die Zeit. Die Schule darf kein Markt sein zur Realisierung privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle, kein Experimentierfeld zur Profilierung von Politikern und kein Stellengarant für die Schuladministration. Ruhe in der Volksschule kehrt wieder ein, wenn wir uns rückbesinnen auf das, was sie ist: eine Institution zur Bildung und Förderung unseres Nachwuchses. Bei den anstehenden Initiativen muss sich das Stimmvolk entscheiden zwischen einer guten Volksschule und der von Franz A. Saladin vertretenen Reformindustrie. 

1 Kommentar:

  1. Lehrplan 21 als Standortnachteil für die Wirtschaft

    (Packen wir die Chance für eine moderne Schule! Basellandschaftliche Zeitung, 29.6.)

    Gegenwärtig soll in verschiedenen Kantonen mit dem umstrittenen Lehrplan 21 die radikalste Änderung des Schulsystems seit Bestehen der Volksschule vorgenommen werden. Dass die Bedenken, die von der Lehrerschaft, besorgten Eltern und Pädagogikprofessoren, angemeldet wurden, ihre Berechtigung haben, zeigen die schlechten Resultate der LP21-Versuchsschulen, die mit der „Kompetenzorientierung“ und ihrem „selbstgesteuerten“ oder „selbstorganisierten Lernen SOL“ den bewährten Klassenunterricht weitgehend abgeschafft und qualifizierte Lehrer zu „Lernbegleiter“ degradiert haben. Die Schüler werden allein gelassen, in dem es ihnen überlassen wird, wann, wie, wo und ob sie lernen wollen. Die übereilte Einführung dieser wissenschaftlich nicht abgesicherten „Neuen Lernformen“ könnte für die Pionierkantone und deren Gewerbe zu einem wirtschaftlichen Standort-Nachteil werden, wie das der Reformpionierkanton Basel-Stadt schon einmal schmerzlich erleben musste.

    Basel-Stadt hat mit dem Schulgesetz von 1988 eine Reihe von sogenannt fortschrittlichen Schulreformen eingeführt und damit in der Schweiz eine Vorreiterrolle übernommen. Bereits fünf Jahre später (Basler Zeitung vom 12.10.93) zeigten sich jedoch die ersten negativen Resultate: Ein Ausbildungsleiter einer grossen Basler Chemiefabrik meldete, dass von 45 Lehrverträgen für Chemie-Laboranten nur noch einer mit einem Stadt Basler Schulabgänger abgeschlossen werden konnte. 1995 berichtete der Generaldirektor des Schweizerischen Bankvereins in einer Sondersitzung des Basler Grossen Rates zum Problem der nachlassenden Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Basel (NZZ vom 3.4.95) über die gravierenden Auswirkungen der Basler Schulreformen Der Bankverein könne nur noch 20 Prozent seiner Lehrlinge aus dem Kanton Basel-Stadt rekrutieren. Wie die Ergebnisse der Eignungstests für das Medizinstudium zeigten, waren mittlerweile auch die Maturanden Opfer der Schulreformen geworden. Seit der Einführung 1998 haben die Stadt-Basler Bewerber beim Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) gesamtschweizerisch am schlechtesten oder unterdurchschnittlich abgeschnitten.

    Obwohl der Zusammenhang mit den umstrittenen Schulreformen offensichtlich war, konnte der Kanton Basel-Stadt unbehindert seinen Reformkurs weiterführen. Die einst als „fortschrittlich“ hochgelobte Orientierungsschule war 2015 kaum ganz abgeschafft, als Basel-Stadt als Pionierkanton direkt auf den „Lehrplan 21“-Zug aufsprang. Das veranlasste beteiligte Lehrer zu folgenden Bemerkungen: «Einmal mehr dienen wir und die Schulkinder dem Erziehungsdepartement als Versuchskaninchen. Bereits die Einführung der Orientierungsschule als Basler Unikum sei ein einziges Experiment und ein riesiger Fehler gewesen. Und jetzt passen wir unser System dem Rest der Schweiz an, noch bevor die anderen Kantone die Neuerung selber umsetzen.» („Neuer Lehrplan ohne Bücher“, Basler Zeitung, 27.10.2015). Noch können Gewerbe und Wirtschaft mithelfen, die richtigen Weichen zu stellen.


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