In Kinos in
Zürich und Uzwil (SG) läuft derzeit der Film «Vaxxed – die schockierende
Wahrheit». Darin behaupten Impfgegner einen Zusammenhang zwischen
Mehrfach-Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln und dem Entstehen von
Autismus.
Da die
Pendlerzeitung «20 Minuten» für den Film warb, wandten sich entsetzte Ärzte und
Wissenschafter in einem Brief an die Redaktion. Sie bezeichnen den Streifen als
Lügen-Film, der die Bevölkerung gefährde.
Adriano Aguzzi kritisiert Film, Bild: NZZaS
Impfobligatorium für Schulkinder, NZZaS, 11.6. von Andreas Schmid
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Öffentlicher
Widerspruch
Zu den
Absendern des Schreibens gehört der international renommierte Forscher Adriano
Aguzzi von der Universität Zürich. Er kritisiert die Aussage des Films als
unverantwortlich. Der Direktor des Instituts für Neuropathologie am Zürcher
Universitätsspital betont, er sei gegen Zensur und plädiere deshalb nicht
dafür, den Streifen zu verbieten. Aber er sehe es als seine Pflicht an, die
falschen Behauptungen öffentlich zu widerlegen. «Es ist mit letzter Sicherheit
belegt, dass zwischen Impfstoffen und Autismus kein Zusammenhang besteht», sagt
Aguzzi. Gewöhnlich wird heute ein gemeinsamer Impfstoff gegen Masern, Mumps und
Röteln verwendet, der auch in Apotheken abgegeben wird.
Die Impf-Moral
in der Schweiz sei jetzt schon katastrophal, und mit dem Film drohe eine
weitere Verschlechterung, stellt Aguzzi fest. Darum fordert er die Einführung
einer Impfpflicht. «Nur mit einem Obligatorium gelingt es, die Bevölkerung zu
schützen.» Es gehe auch darum, an Immunkrankheiten oder Krebs leidende Kinder,
die nicht geimpft werden könnten, vor einer Ansteckung mit Masern zu bewahren.
Die Handhabe des Obligatoriums stellt sich Aguzzi so vor, dass nur geimpfte
Kinder in Schule und Kindergarten aufgenommen werden sollen. Italien
praktiziere dieses Modell mit Erfolg.
Die Masern waren
laut Aguzzi fast ausgerottet, doch Verschwörungstheoretiker hätten in den
letzten Jahren mithilfe der sozialen Netzwerke einen grossen Rückschritt
bewirkt. «Obwohl ein günstiger Impfstoff vorhanden ist, sterben jedes Jahr mehr
als 70 000 Kinder an Masern», sagt Aguzzi. Wer Impfungen verhindere, begehe
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In den Kinos
Italiens wurde der Film nicht gezeigt. Die Betreiber verzichteten geschlossen
und aus eigenen Stücken darauf, weil sie eine fatale Wirkung befürchteten.
Die Promotoren
von «Vaxxed» machen dagegen geltend, der Streifen basiere auf Fakten und
wissenschaftlich erhärteten Studien, und die Kinobetreiber in Zürich und Uzwil
stellen sich auf den Standpunkt, das Publikum solle sich selber eine Meinung
bilden. Er sei zudem auch von Ärzten animiert worden, den Film zu zeigen, sagt
Pascal Nussbaum vom Uzwiler Kino City.
Daniel
Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit (BAG), widerspricht der
Aussage des Films vehement: Der Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus
sei mehrfach und gründlich widerlegt. «Durch stete Wiederholung werden
Unwahrheiten nicht wahrer», sagt Dauwalder. Gegen den Film gehe man aber nicht
vor, denn das BAG sei keine Zensurbehörde. Vielmehr versuche es, die
Bevölkerung sowohl über die Vorteile als auch über die Risiken des Impfens
aufzuklären. Ein Impf-Obligatorium, wie es Professor Aguzzi proklamiert, stehe
nicht zur Diskussion.
Ziel nicht
erreicht
Laut dem BAG
sind 93 Prozent der 16-Jährigen vor einer Masern-Ansteckung geschützt, sie wurden
also zweimal geimpft. Die angestrebte Rate von 95 Prozent ist damit nicht
erreicht, was zur Folge hat, dass die Krankheit immer wieder ausbrechen kann
und ihre Ausrottung nicht absehbar ist. Das Bundesamt weist aber darauf hin,
dass die Durchimpfungsrate in den letzten Jahren zugenommen habe und die
kantonalen Unterschiede schwänden.
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