Einige
Eltern verhindern, dass ihr Nachwuchs die Mittelschule besucht. Nun werden neue
Tests gefordert.
Gehen die falschen Kinder ans Gymi? Wegen Eltern soll es nun neue Tests geben, Aargauer Zeitung, 14.6. von Yannick Nock
So
kann die soziale Herkunft Beschleuniger wie Bremsklotz der schulischen Karriere
sein. Stamm schreibt, dass Kinder verschiedener Schichten heute wie durch eine
Kontaktsperre voneinander getrennt seien. Das liege auch an der
«Ansteckungsangst» einfach gestellter Familien. «Weil ihnen die akademische
Welt meist fremd ist und sie die Bildungsversessenheit der ‹Gutbetuchten›
ablehnen, sind sie dem Gymnasium gegenüber oft enorm skeptisch», schreibt
Stamm. Diese Eltern seien überzeugt, dass junge Menschen, die den akademischen
Weg wählen, nicht wüssten, was es bedeute, zu arbeiten. «Davor wollen sie ihr
eigenes Kind bewahren, auch wenn es intellektuell begabt ist.» Stamm kommt aber
zum Schluss, dass genau diese Kinder ins Gymnasium gehörten.
Eine unheilige Praxis
Die
Folge: An den Mittelschulen drücken Jugendliche die Schulbank, die in einer
Lehre besser aufgehoben wären, während intellektuell begabte einen anderen Weg
wählen. Davon profitierten weder das Gymnasium noch die Berufsbildung. Lösungen
für dieses Dilemma gäbe es kaum, schreibt Stamm, aber eine Vision: Die Schulen
bräuchten Potenzialanalysen, die sowohl handwerkliche Neigungen als auch
akademische Fähigkeiten sichtbar machten. «Dann würde auch die unheilige Praxis
ein Ende finden, Unterschichtskinder in die Berufsbildung zu schicken, mit der
Begründung, die Eltern könnten ihnen ja doch nicht helfen.»
Zwar
legt der neue Lehrplan 21 einen Fokus auf die Berufswahl, indem Schüler ihr
Persönlichkeitsprofil samt Fähigkeiten und Interessen kennen lernen, wie es im
Lehrplan heisst. Doch das dürfte kaum reichen.
Stefan
Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung,
befürwortet deshalb die Potenzialanalyse, sieht aber in einer obligatorischen
Gymi-Aufnahmeprüfung die bessere Lösung. In den meisten Kantonen entscheiden
Vornoten und Lehrer über den Zutritt an die Mittelschule. Prüfungen werden nur
noch in wenigen Kantonen abgelegt, beispielsweise in St. Gallen. Dort ist
die Maturaquote zwar tiefer, St. Galler Schüler fallen dafür deutlich
weniger oft aus der Probezeit und haben auch später im Studium weniger Mühe.
«Aufnahmeprüfungen
zeigen am fairsten, ob jemand für die Mittelschule geeignet ist oder nicht»,
sagt Stefan Wolter. Ausserdem würde eine Aufnahmeprüfung gemäss Umfragen bei
der Mehrheit der Bevölkerung auf viel Goodwill stossen.
«Ein fatales Zeichen»
Vertreter
der Wirtschaft warnen allerdings davor, die meisten schulisch begabten Kinder
Richtung Gymnasium zu schieben. Schon heute bleiben viele Lehrstellen
unbesetzt. «Es wäre ein fatales Zeichen, wenn es heissen würde, intelligente
Schüler gehen ans Gymi, die anderen in die Berufslehre», sagt Rudolf Minsch,
zuständig für Bildungspolitik beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.
Diesen Fehler habe bereits Deutschland begangen, dabei sei das duale
Bildungssystem eine der Schweizer Stärken. Auch mit der Berufsmatur und den
Fachhochschulen sei eine akademische Karriere möglich. Zudem seien Lehren zum
Polymechaniker oder Informatiker intellektuell gleichermassen herausfordernd
wie das Gymnasium.
Lehrbetriebe
dürfen in den kommenden Jahren aber ohnehin auf mehr Lehrlinge hoffen. Die
sinkenden Schülerzahlen hatten die Besetzung der Lehrstellen in den vergangenen
Jahren erschwert, doch damit ist nun Schluss. Die demografische Entwicklung zeigt
in die andere Richtung. «Wir haben den Tiefpunkt durchschritten», sagt
Bildungsökonom Wolter. In ein, zwei Jahren werde es wieder gleich viele
Lehrlinge wie Lehrstellen geben.
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