Die Zürcher Primarschüler werden wie bisher Französisch und Englisch pauken. Das hat das Volk klar beschlossen. Die Lehrer und Bildungsdirektorin Steiner aber sind weiterhin im Clinch.
Streit um Fremdsprachen geht in Zürich weiter, Tages Anzeiger, 21.5. von Pascal Unternährer
Die
Volksinitiative, welche nur noch eine Fremdsprache in der Primarschule wollte,
ist im Kanton Zürich klar gescheitert. 150'725 Stimmende sagten Ja, 233'357
Nein. Das entspricht einem Nein-Anteil von 60,8 Prozent der Stimmen. Die
Stimmbeteiligung betrug 44,2 Prozent.
Lehrer fordern Evaluation
Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands und
Mitinitiantin, räumt die Niederlage auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnet
ein: «Die Frage der Anzahl Fremdsprachen in der Primarschule ist jetzt
geklärt.» Lätzsch gibt sich überrascht von der Klarheit des Resultats. «Unser
Argument, dass wir für zwei Fremdsprachen sind, aber anders gestaffelt, hat
nicht verfangen», analysiert sie. «Die konkrete Situation im Schulzimmer wird
ausser Acht gelassen.»
Lätzsch hat trotz der Niederlage Forderungen: Einerseits müssten
die Lernziele nach unten angepasst werden, da klar wurde, dass die bestehenden
nicht erreicht werden. Anderseits müsse für die Fremdsprachen
Halbklassenunterricht eingeführt werden. Sonst bringe das frühe Erlernen von
zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe nicht viel. Drittens fordert Lätzsch
eine seriöse Evaluation, warum der Sprachunterricht im Kanton Zürich nicht so
fruchtet wie erhofft.
Die halbe Absage Steiners
Bildungsdirektorin Silvia Steiner (CVP) erteilte der Forderung nach einer Evaluation eine Absage.
Die Frage des Halbklassenunterrichts hingegen wolle sie prüfen, sagte sie an
einer Medienkonferenz. Zudem erinnerte sie daran, dass es mit dem Lehrplan 21
beim Einstieg in eine Fremdsprache mehr Wochenlektionen geben wird.
Im übrigen zeigte sich Steiner erleichtert übers eindeutige
Abstimmungsresultat. «Es ist die Bestätigung unserer Bildungspolitik und ein Bekenntnis zu unserer Vielsprachigkeit», stellte sie fest.
«Sprachen haben einen hohen kulturellen Wert.» Die Zürcher Fremdsprachenpolitik
sei abermals von der Stimmbevölkerung bestätigt worden. Sie ist froh, dass sie
um eine grosse Reform herumgekommen sei, sagte Steiner. Tatsächlich hatten die
Zürcherinnen und Zürcher schon vier Mal die Gelegenheit, sich dazu zu äussern,
erstmals 1988 zum Grundsatz und dann 2006 zur ersten
Eine-Fremdsprache-Initiative und 2008 im Rahmen von Harmos.
Erfreut vom
Resultat zeigte sich auch die Erziehungsdirektorenkonferenz. Der Kanton Zürich
sich für diejenige Lösung beim Sprachenunterricht ausgesprochen, «auf die sich
die Kantone 2004 in ihrer Sprachenstrategie geeinigt haben, die ins
Harmos-Konkordat von 2007 eingeflossen ist und die heute bereits in 23 Kantonen
umgesetzt wird». Die Ausnahmekantone sind Aargau, Appenzell Innerrhoden und Uri.
Grosse Unterschiede
Im Kanton Zürich haben alle Bezirke die Initiative abgelehnt,
aber sehr unterschiedlich klar: So wäre die Initiative in Hinwil beinahe
durchgekommen (51,8 Prozent Nein), während Meilen ganz klar Nein stimmte: 63,2
Prozent. In Zürich war das Nein gar noch wuchtiger: 71,5 Prozent.
Nur 21 von 168 Gemeinden sagten Ja zur Fremdspracheninitiative.
Es sind kleinere Gemeinden wie Marthalen, Oberembrach, Bäretswil, Bauma,
Turbenthal oder Elgg. Vor allem die Gemeinden im Osten des Kantons hiessen die
Initiative gut. Das klarste Ja kommt aus Hofstetten (mit 38,9 Nein), das
klarste Nein kam dem Zürcher Kreis 4 + 5 mit 79,7 Prozent.
Initiative aus der Lehrerschaft
Die von der Zürcher Lehrerschaft lancierte kantonale
Volksinitiative «Mehr Qualität – eine Fremdsprache an der Primarschule» wollte
eine der beiden Fremdsprachen an die Oberstufe versetzen. Ob es Französisch
oder Englisch sein soll, blieb offen und wurde der Politik übertragen.
Bildungsdirektorin Silvia Steiner (CVP) hatte darauf verlauten lassen, dass sie
Französisch auf der Primarstufe belassen würde und Englisch in die Sek
verschieben würde – vor allem aus staatspolitischen Gründen. Aus diesem Grund
war es im Abstimmungskampf in der Romandie verhältnismässig ruhig geblieben.
Die Initiative war als allgemeine Anregung formuliert. Das
heisst, der Kantonsrat hätte bei einem Ja noch das Volksschulgesetz ändern
müssen.
Sprachkonzept: Gescheitert oder Erfolg?
Die Lehrerschaft erklärt das Sprachenkonzept für gescheitert,
vor allem weil zu wenig intensiv unterrichtet wird. Es bräuchte mehr als zwei
Lektionen pro Woche und Halbklassenunterricht, um Erfolg zu haben. Vor allem
die schwächeren Schüler litten unter zu viel Sprachunterricht. Die Initianten
wollten, dass die Schüler zuerst einmal richtig Deutsch lernen, bevor es an die
Fremdsprachen geht. Laut den Lehrern ist der Sprachschulstoff aus der
Primarschule innert weniger Monate an der Oberstufe nachgeholt. Mit dem Beginn
der zweiten Fremdsprache in der Sek würden die Schüler die Sprachen am Ende der
obligatorischen Schulzeit gleich gut beherrschen wie heute.
Die Gegner der Initiative waren hingegen der Meinung, dass sich
das Sprachenkonzept bewährt habe und dass möglichst früh mit dem
Fremdsprachenunterricht begonnen werden soll. An der Primarschule hätten die
Kinder noch mehr Spass als in der Oberstufe, wenn die Pubertät anfängt. Die
Sprachen seien der Schlüssel zum Erfolg im Berufsleben. Ausserdem würde ein Ja
zur Initiative den Schweizer Sprachfrieden und das harmonisierte Schulwesen
(Harmos) gefährden, argumentierten die Gegner.
Der Regierungsrat war gegen die Initiative, der Kantonsrat
lehnte sie mit 96:68 Stimmen ebenfalls ab. Für die Initiative sprachen sich die
SVP, EVP und EDU aus, dagegen SP, FDP, Grüne, CVP, BDP und AL. Die GLP hatte
Stimmfreigabe beschlossen.
Nidwalden, Zürich, Luzern, Thurgau
Die Schweiz schaute gebannt nach Zürich, denn die Sprachenfrage
ist auch in anderen Deutschschweizer Kantonen aktuell. Die Nidwaldner Stimmbevölkerung
hat sich bereits im März 2015 mit 61,7 Prozent Stimmenanteil für das
Beibehalten der zwei Fremdsprachen an der Primarschule ausgesprochen. Kürzlich
hat sich das Thurgauer Kantonsparlament
für die Versetzung des Frühfranzösischen an die Oberstufe ausgesprochen, die
Schlussabstimmung steht noch aus. Bleibt es dabei, wird noch das Volk
entscheiden können, da ein Referendum als gesichert gilt. Im September stimmen
die Luzerner über
eine ähnliche Initiative wie in Zürich ab.
Bildungsminister Alain Berset hatte angekündigt, dass der Bund
eingreift, falls in einem Kanton die zweite Landessprache aus der Primarschule
verbannt wird.
Buschor schockierte die Romandie
Die Fremdsprachenfrage an der Primarschule beschäftigte die
Zürcher Stimmbürger schon oft. 1987 wurde Frühfranzösisch an der 5.
Primarschule eingeführt, worauf es eine Volksinitiative namens «Mehr
Mitbestimmung im Schulwesen (Initiative gegen verfrühten
Fremdsprachenunterricht)» lanciert wurde. Sie wurde aber 1988 mit 62,9 Prozent
Stimmenanteil verworfen.
Ende der 1990er Jahre versetzte der damalige Bildungsdirektor
Ernst Buschor (CVP) die Westschweiz in Aufruhr, weil er Englisch forcieren
wollte. Er schlug vor, mit Frühenglisch in der Unterstufe zu beginnen und das
Frühfranzösisch an der Mittelstufe zu belassen. Dazu startete er Schulversuche
(Projekt 21). Schliesslich erhielt er nach heftigen Auseinandersetzungen grünes
Licht von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Sie beschloss, dass in den
Schweizer Primarschulen künftig zwei Fremdsprachen unterrichtet werden sollen.
Die Kantone konnten hingegen frei entscheiden, mit welcher Sprache sie beginnen
wollten. Damit war der Sprachenfrieden schweizweit besiegelt.
Ab 2004 führte der Kanton Zürich das Frühenglisch in der 2.
Klasse ein. Dagegen gab es Widerstand, der in der Volksinitiative «Nur eine
Fremdsprache an der Primarschule» kulminierte. Das Stimmvolk lehnte diese 2006
aber mit 58,6 Prozent ab. Und zwei Jahre später bestätigte das Volk das
Zweisprachenkonzept mit einem 62,4-Prozent-Ja zum Harmos-Konkordat. Mit dem
Lehrplan 21 wird das Frühenglisch von der 2. in die 3. Primarklasse versetzt.
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