16. Mai 2017

Zürcher Fremdsprachen-Initiative hat Schlüsselrolle

Die kantonale Fremdspracheninitiative hätte weitreichende Folgen. Doch eine Bundesintervention hat bereits im Bundesrat Gegner.

Sprachenstreit: Zürich hat eine Schlüsselrolle, Tages Anzeiger, 15.5. von Raphaela Birrer


Im Streit um die Fremdsprachen in der Primarschule ist der Thurgau schweizweit in die Kritik geraten. Dass das Kantonsparlament das Französisch auf die Oberstufe verschieben will, hat Anfang Mai für einiges Aufsehen gesorgt. Dabei steht in einem anderen Kanton viel rascher viel mehr auf dem Spiel: In Zürich entscheidet das Stimmvolk am Sonntag über die Fremdspracheninitiative. Sie verlangt, dass entweder Englisch oder Französisch erst auf der Sekundarstufe eingeführt wird – welche Sprache es sein soll, lässt das Volksbegehren offen. Die Entscheidung läge beim Regierungsrat. Und der hat sie bereits vor dem Urnengang getroffen: Er würde im Unterschied zum Thurgau das Englisch aus der Primarstufe streichen.

Das erklärt zwar, warum es in der restlichen Schweiz vergleichsweise ruhig bleibt vor dem Zürcher Urnengang. Die Romandie ist besänftigt, dass das Französisch bei einem Ja ungefährdet scheint. Doch die Umsetzungsvariante des Zürcher Regierungsrats löst die Probleme nicht – im Gegenteil. Würde sich die Bevölkerung des grössten Kantons dafür aussprechen, künftig auf Primarstufe nur noch eine Fremdsprache einzuführen, hätte das landesweit einschneidende Konsequenzen.

Vor einem Scherbenhaufen
Seit einem Jahrzehnt bemühen sich die Kantone darum, das Schulwesen zu ­harmonisieren. Dazu sind sie per Verfassung verpflichtet. Um den Volksauftrag aus dem Jahr 2006 umzusetzen, haben die Kantone die «Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule» verabschiedet, der heute neben Zürich 14 weitere Kantone angehören. Dieses sogenannte Harmos-Konkordat regelt auch die Sprachenfrage: Es legt fest, dass die erste Fremdsprache ab der dritten und die zweite ab der fünften Klasse unterrichtet werden muss. Das entspricht dem Sprachenkompromiss von 2004, zu dem sich 22 Kantone bekennen.

Gegen all diese Verpflichtungen würde Zürich verstossen, wenn die Initiative angenommen würde. Und im Unterschied zum Thurgau, wo das Anliegen noch im Parlament ist, wäre dies bereits ein Volksentscheid. Damit stünden die Kantone vor einem Scherbenhaufen. Denn bereits heute ist klar: Schert der grösste Kanton in dieser Grundsatzfrage aus, werden andere folgen. Zu gross ist vielerorts der Unmut darüber, dass auf Primarstufe zwei Fremdsprachen unterrichtet werden. Das Harmos-Konkordat und der Sprachenkompromiss wären dann Makulatur.

Offen ist noch, ob der Bund unmittelbar nach dem Zürcher Entscheid eingreifen müsste. Die Verfassung sieht dies für den Fall vor, dass die Kantone ihre Bildungsziele nicht harmonisieren. Innenminister Alain Berset (SP) hat vor einem Jahr mit einer Intervention gedroht, diese aber vorerst auf Eis gelegt – in der Hoffnung, die Kantone besännen sich auf den Kompromiss. Gemäss Bernhard Ehrenzeller, Experte für Bildungsrecht, würde Zürich mit einer Annahme der Initiative gegen die bundesrechtliche Harmonisierungspflicht verstossen. «Die Bundesbehörden wären in diesem Fall grundsätzlich verpflichtet, zu handeln. Ein gewisser Ermessensspielraum steht ihnen allerdings wohl zu, vor allem in Bezug auf den Zeitpunkt des Eingreifens», sagt der Professor der Uni St. Gallen.
Doch weil der richtige Zeitpunkt heikel ist, bleibt es in Bundesbern vor der Zürcher Abstimmung seltsam still. Einzig die SP macht Druck: Nach dem Thurgauer Parlamentsentscheid forderte die Partei vor zwei Wochen, der Bund müsse nun seine verfassungsmässigen Kompetenzen wahrnehmen und «die notwendigen Vorschriften» erlassen. Wenn auch noch die Zürcher Initiative angenommen werde, müsse der Bund «unverzüglich reagieren», sagt der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard. Und sein Berner Parteikollege Matthias Aebischer zeigt sich besorgt: «Verschiebt der Thurgau das Französisch und Zürich das Englisch auf die Oberstufe, dividieren sich die Kantone maximal auseinander. Östlich der Reuss entstünde ein sprachliches Flickwerk.» Auch für Berset selbst wäre die Umsetzung des Zürcher Volksbegehrens erklärtermassen eine rote Linie.
Indes: Berset müsste mehrere Hürden nehmen, um eine Bundesintervention tatsächlich durchzusetzen. Die erste wäre der Bundesrat. Dort scheint gemäss gut unterrichteter Quellen zurzeit eine knappe Mehrheit möglich. Der Freiburger dürfte neben seiner Parteikollegin Simonetta Sommaruga wohl auch auf die Unterstützung der beiden welschen Magistraten Didier Burkhalter (FDP) und Guy Parmelin (SVP) zählen. Letzterer steht in dieser Frage zwar parteiintern unter Druck, weil die SVP in den Kantonen an vorderster Front für die Abschaffung des Frühfranzösisch kämpft. Doch Parmelin fühlt sich wie Burkhalter auch seiner Herkunft verpflichtet. Selbst wenn es Berset mit dieser welschen Solidarität für einen Interventionsbeschluss reichte: Dem Vorhaben stünden gewichtige Bedenken gegenüber. Neben Ueli Maurer (SVP) und Doris Leuthard (CVP) ist pikanterweise ausgerechnet Bildungsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) dagegen. Bleibe die Mehrheit im Bundesrat so knapp, werde der gewiefte Taktiker Berset sich hüten, mit einer staatspolitisch derart heiklen Vorlage ins Parlament – und später vors Volk – zu gehen, sind sich Dossiervertraute einig.

So dürfte der Bundesrat das Problem auch nach einem Zürcher Ja vorerst aussitzen. «Niemand hat wirklich Lust darauf, diese Debatte auf nationaler Ebene zu führen», sagt die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin. Und FDP-Ständerat Joachim Eder fragt stellvertretend für einen Grossteil der Bundespolitiker: «Lohnt es sich, dafür das Zerwürfnis in der Bevölkerung in Kauf zu nehmen?» 


1 Kommentar:

  1. Laut Artikel 15 des Sprachengesetzes müssen Bund und Kantone in erster Linie dafür sorgen, dass die Unterrichtssprache (Deutsch) besonders gepflegt wird. Ausserdem müssen sie gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit über Kompetenzen in mindestens einer zweiten Landessprache und einer weiteren Fremdsprache verfügen, damit den kulturellen Aspekten unseres mehrsprachigen Landes Rechnung getragen wird. Von Frühfremdsprachen steht hier kein Wort.
    Die Frühfremdsprachen mit dem Konzept „je früher, desto besser“ – welches nur in Ausnahmefällen zutrifft - sind gescheitert. Das Unterrichtsfach Deutsch, Grundlage für jedes Lernen, ist mit 20% funktionalen Analphabeten (Pisa 2015) bei den Schulabgängern in einem nicht tolerierbaren Zustand.

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