Der Markt für
Nachhilfe ist rasant gewachsen. Unterdessen nehmen mehr gute Schüler Hilfe in
Anspruch, um noch besser zu werden, als überforderte Jugendliche. Oft stecken
auch die Eltern dahinter.
Die guten Schüler wollen Nachhilfe, Thurgauer Zeitung, 6.5. von Larissa Flammer
Das Impuls Nachhilfezentrum unterhält
Standorte in Zürich und in der Ostschweiz, darunter auch in Weinfelden,
Frauenfeld, Arbon und Amriswil. Charlotte Bertet ist Nachhilfelehrerin in
Weinfelden und Amriswil. Sie erzählt von ihrer Arbeit.
Charlotte Bertet, was für Personen nehmen
Nachhilfe in Anspruch?
Der Jüngste, dem ich mal privat geholfen
habe, war ein Zweitklässler. Die älteste war etwa Mitte 50. Das war aber eine
Ausnahme. Normalerweise habe ich Klienten bis 28 Jahre. Es gibt jeweils zwei
Anmeldungsschübe im Jahr. Nach den Sommerferien melden sich Sekschüler an, die
die Kantiprüfung machen wollen, nach dem Jahreswechsel Mittelstüfler, die den
Übertritt in die Sek schaffen wollen.
Bei Nachhilfe denkt man oft an schlechte
Schüler, die nicht mehr mitkommen. Ist dem gar nicht mehr so?
Ich glaube, es ist so, dass Nachhilfe
vermehrt salonfähig wird. Das Stigma vom Förderunterricht für Schüler, die zu
schlecht sind, wird abgelöst. Viele Eltern haben das Bedürfnis, ihren Kindern
möglichst gute Voraussetzungen zu schaffen. Dadurch kippt das Image von
Nachhilfe vielleicht etwas ins Positive.
Dann sind es meistens Eltern, die ihre
Kinder in den Nachhilfeunterricht schicken, damit sie besser werden?
Eltern stehen sicher oft hinter einer Anmeldung.
Gerade bei Primarschülern sind die Eltern das erste Mal auch oft dabei. Eine
Mutter hat mich mal angerufen und betont, was ich denn genau mit ihrem Kind
anschauen müsse und was es besser können solle. Da muss ich die Schüler jeweils
etwas schützen. Ich bin da wie ein Puffer. Die Oberstüfler, die an die Kanti
wollen, sind meist selber motiviert und machen sich auch selber Druck. Aber
auch dort gibt es Eltern, die dahinter stehen.
Können Sie denn mit Nachhilfeunterricht
jeden Schüler, der die Ambitionen hat, an die Kanti bringen?
Ich kann sicher keine Wunder vollbringen.
Das sage ich auch jeweils. Ich kann Lücken aufarbeiten und die Psyche
aufrichten. Viele Schüler müssen einfach Freude am Lernen bekommen oder etwas
angestupst werden. Ein Sekschüler, den ich auf die Kantiprüfung vorbereitet
habe, hatte die grössten Selbstzweifel. Er wäre gut genug gewesen, hat sich
aber selber gegeisselt. Da merkt man, was für ein grosser Druck wegen einer
Kantiprüfung herrscht. Von den Eltern, von der Gesellschaft. Zu meiner Zeit
wäre niemand auf die Idee gekommen, mir Nachhilfe für die Kantiprüfung zu
geben.
Wie bewerten Sie persönlich diese
Entwicklung?
Für mich ist es natürlich toll, so habe ich
genug Kundschaft und konnte mir im Studium etwas dazuverdienen. Aber ich frage
mich, was das für unser Schulsystem bedeutet. Warum die Förderung nicht von der
Schule abgedeckt wird oder abgedeckt werden kann. Ich bemerke grosse
Unterschiede, wie gut Schulen ihre Schüler auf Übertritte und Aufnahmeprüfungen
vorbereiten. Das macht viel aus.
Wie muss man sich Nachhilfe bei Ihnen
vorstellen?
Neue Anmeldungen verschickt das
Nachhilfezentrum per Mail an alle. Ich kann die Klienten auswählen und bin mit
ihnen per Du. Nachhilfe ist nicht wie Schule, mir ist das wichtig. Ich habe
eine andere Beziehung zu den Schülern als ihre Lehrer.
Seit wann machen Sie das?
Seit etwa vier Jahren arbeite ich beim
Nachhilfezentrum. Mit diesen Klienten treffe ich mich in den Örtlichkeiten des
Zentrums. Davor habe ich privat Nachhilfe angeboten und bin zu den Schülern
nach Hause gegangen.
Wie sind Sie dazu gekommen,
Nachhilfeunterricht zu erteilen?
Zuerst über die Familie. Meine Tante hat
mich angefragt, ob ich meiner Cousine helfen könne. Später habe ich bei einer
Vermittlungsplattform im Internet ein Profil erstellt und so privat Nachhilfe
erteilt. Damals war ich im Semi in Kreuzlingen und habe daneben Schule gegeben.
Durch meinen Partner bin ich dann vor etwa vier Jahren zum Impuls
Nachhilfezentrum gekommen.
In welchen Fächern wird denn hauptsächlich
Nachhilfe benötigt?
Vor allem in den Fächern Mathe und Deutsch.
Nicht Französisch, wie es die aktuelle
politische Debatte vermuten lassen würde?
Französisch ist bei der
Kantiprüfung-Vorbereitung ein Selbstläufer. Die Schüler müssen vor allem
Vokabeln und die Konjugation von Verben auswendig lernen. Spezifische Anfragen
für Französisch-Nachhilfe nehme ich nicht an, weil ich finde, dass mein
Französisch nicht gut genug ist.
Und was ist das Problem beim Deutsch?
Die Grammatik. Vielen fehlt das Verständnis
für die Regeln. Die Schüler lernen die Regel für den Konjunktiv und können
diese einigermassen anwenden. Aber wenn man sie fragt, was der Konjunktiv ist,
wissen sie das oft nicht. So sind Regeln schwierig anzunehmen, die Schüler sind
unbefriedigt.
Sie haben privat bei Schülern zu Hause und
im Nachhilfezentrum gearbeitet. Was macht mehr Sinn?
Bei Impuls werden 24 Termine im Voraus
vereinbart. Privat bin ich schon gefragt worden, ob ich für die Prüfung in zwei
Tagen helfen könne. Das macht wenig Sinn. Wenn ich zu Schülern nach Hause gehe,
ist auch die Ablenkung viel grösser. Bei einem Zweitklässler habe ich jedes Mal
einen Streit mit den Eltern miterlebt, weil er nicht lernen wollte. Und alle
paar Minuten wollte er mir seine Legos zeigen. Da musste ich mir Tricks
einfallen lassen, um ihn zu motivieren. Und mit einer Schülerin wurde ich immer
von Zwischenrufen der Mutter aus der Küche unterbrochen. Sie rief etwa «Das
weisst du doch, das haben wir schon so oft gemacht!», wenn sie eine Aufgabe
nicht sofort lösen konnte. Da kann ich im Zentrum ungestörter arbeiten.
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