14. Mai 2017

Keinerlei Defizite ohne Frühfranzösisch

Es war Norbert Senn, der in der Debatte im Thurgauer Grossen Rat ein glasklares Urteil abgab: «Es steht mit dem Frühfranzösisch nicht zum Besten; das spielerische Lernen ist gescheitert.» Senn ist CVP-Kantonsrat, er war Gemeindepräsident in Romanshorn, Sekundarlehrer, in jungen Jahren Spitzenfussballer, er ist der Vater des Hackbrettlers und Moderators Nicolas Senn. Vor allem aber ist er Leiter des Volksschulamtes in Appenzell Innerrhoden, dem Kleinkanton, der seit 16 Jahren Englisch ab der dritten Klasse, Französisch aber erst auf Sekundarstufe unterrichtet und sich noch nie an die nationale Sprachenstrategie mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule gehalten hat. Diese gilt in 22 der 26 Kantone: Auch Uri und Aargau unterrichten derzeit keine Fremdsprachen nach dem Modell 3/5, also dem Start der einen Fremdsprache in der dritten und der anderen in der fünften Primarklasse. Das Tessin kennt ein eigenes Modell mit drei Fremdsprachen.
Die Innerrhoder Gallier im Kampf gegen das Frühfranzösisch, NZZ, 9.5. von Jörg Krummenacher


Kein Verzicht auf Kohäsion
Norbert Senn befindet sich derzeit im Brennpunkt der Debatte um die Abschaffung des Frühfranzösischen, zumal er im Thurgau auch der zuständigen Parlamentskommission angehört. Gefährdet eine allfällige Abkehr des Thurgaus vom Sprachenkompromiss den Zusammenhalt der Schweiz? Senn will sich nicht dazu äussern, er mag sich weder exponieren noch möchte er provozieren.

Das gilt generell für die Innerrhoder Behörden: Sie wollen den Thurgauer Französisch-Entscheid nicht kommentieren. Der Chef von Norbert Senn, der Innerrhoder Bildungsdirektor Roland Inauen, ist um eine Stellungnahme dennoch nicht verlegen. «Die nationale Kohäsion ist mir ein Anliegen», sagt er. Gefährdet sieht er diese aber nicht, wenn Französisch erst auf Sekundarstufe unterrichtet wird. Diese Haltung vertrat die Innerrhoder Regierung auch in ihrer Vernehmlassungsantwort auf die vorderhand auf Eis gelegte Revision des Sprachengesetzes, mit deren Hilfe Bundesrat Alain Berset die Harmonisierung des Sprachenunterrichts in der Volksschule durchsetzen wollte. Bei der Frage des innerstaatlichen Zusammenhalts handle es sich «klarerweise um ein gesellschaftspolitisches Anliegen», schrieben die Innerrhoder, das indes mit der Harmonisierung im Sprachenbereich «bei weitem nicht deckungsgleich» sei und nicht mit dieser vermischt werden dürfe: «Der nationale Zusammenhalt definiert sich nicht über den um zwei Jahre verschobenen Zeitpunkt des Unterrichtsbeginns einer zweiten Landessprache.» Der Innerrhoder Ständerat Ivo Bischofberger, der die kleine Kammer derzeit präsidiert, sieht andere Möglichkeiten, den Zusammenhalt zu fördern: auf gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Ebene, ebenso mit Austauschprogrammen.
Norbert Senn, der einst einen halbjährigen Sprachaufenthalt in Neuenburg absolvierte, hat denn auch stets betont, dass sich Sprach- und Schulreisen von Deutschschweizer Schülern in die Westschweiz – und umgekehrt – nachhaltiger auf den nationalen Austausch auswirkten. Auch Roland Inauen teilt diese Haltung und räumt ein, dass da durchaus noch Spielraum bestehe. Ausflüge und Austauschprogramme mit der Romandie würden von Innerrhoder Schulklassen zwar durchgeführt, doch sei dies abhängig vom Engagement der Lehrkräfte und nicht institutionalisiert. Inauen glaubt zu spüren, dass der Austausch aber wieder intensiver gepflegt wird. So seien im Alpstein auch wieder vermehrt Westschweizer Gäste anzutreffen; entsprechend würden die Werbemittel bei den Bergbahnen auf den Säntis oder die Ebenalp auch in Französisch angeboten.

 

Gute Französischkenntnisse

Roland Inauen ist vom Innerrhoder Weg überzeugt: «Unsere Erfahrungen mit Französisch auf der Sekundarstufe sind sehr gut. Wir wollen das zwar nicht an die grosse Glocke hängen, aber auch nichts daran ändern.» Entscheidend sei, dass die Sprachkompetenzen zu Ende der obligatorischen Schule auf gutem, vergleichbarem Niveau seien. Erhebungen dazu gebe es zwar nicht, doch die Erfahrungen beim Übertritt in weiterführende Schulen zeigten, dass die Innerrhoder Schüler in Bezug auf ihre Französischkenntnisse «keinerlei Defizite» hätten. Mit Einführung des Lehrplans 21 gebe es zudem bei den Realschülern eine Verbesserung, indem das bisher freiwillig angebotene Französisch für obligatorisch erklärt wird.


Gar nichts hält der Innerrhoder Bildungsdirektor von einem allfälligen Diktat aus Bern, um den Französischunterricht auf Primarstufe durchzusetzen: «Eine Intervention wäre schwierig.» In ihrer Stellungnahme zum Sprachengesetz schrieb die Innerrhoder Regierung dazu: «Eine solche Anordnung entbehrt jeglicher Verhältnismässigkeit.» Davon ist auch Ständerat Ivo Bischofberger überzeugt. Er mahnt, Ruhe und Verhältnismässigkeit zu wahren: «Ein Referendum gegen das Sprachengesetz wäre so sicher wie das Amen in der Kirche. In der Folge täten sich neue nationale Gräben auf.»



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