Es war Norbert Senn, der in der
Debatte im Thurgauer Grossen Rat ein glasklares Urteil abgab: «Es steht mit dem
Frühfranzösisch nicht zum Besten; das spielerische Lernen ist gescheitert.» Senn ist CVP-Kantonsrat,
er war Gemeindepräsident in Romanshorn, Sekundarlehrer, in jungen Jahren
Spitzenfussballer, er ist der Vater des Hackbrettlers und Moderators Nicolas
Senn. Vor allem aber ist er Leiter des Volksschulamtes in Appenzell
Innerrhoden, dem Kleinkanton, der seit 16 Jahren Englisch ab der dritten
Klasse, Französisch aber erst auf Sekundarstufe unterrichtet und sich noch nie
an die nationale Sprachenstrategie mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule
gehalten hat. Diese gilt in 22 der 26 Kantone: Auch Uri und Aargau unterrichten
derzeit keine Fremdsprachen nach dem Modell 3/5, also dem Start der einen
Fremdsprache in der dritten und der anderen in der fünften Primarklasse. Das
Tessin kennt ein eigenes Modell mit drei Fremdsprachen.
Die Innerrhoder Gallier im Kampf gegen das Frühfranzösisch, NZZ, 9.5. von Jörg Krummenacher
Kein Verzicht auf
Kohäsion
Norbert Senn befindet sich derzeit im
Brennpunkt der Debatte um die Abschaffung des Frühfranzösischen, zumal er im
Thurgau auch der zuständigen Parlamentskommission angehört. Gefährdet eine allfällige Abkehr des Thurgaus vom
Sprachenkompromiss den
Zusammenhalt der Schweiz? Senn will sich nicht dazu äussern, er mag sich weder
exponieren noch möchte er provozieren.
Das gilt generell für die Innerrhoder
Behörden: Sie wollen den Thurgauer Französisch-Entscheid nicht kommentieren.
Der Chef von Norbert Senn, der Innerrhoder Bildungsdirektor Roland Inauen, ist
um eine Stellungnahme dennoch nicht verlegen. «Die nationale Kohäsion ist mir
ein Anliegen», sagt er. Gefährdet sieht er diese aber nicht, wenn Französisch
erst auf Sekundarstufe unterrichtet wird. Diese Haltung vertrat die Innerrhoder
Regierung auch in ihrer Vernehmlassungsantwort auf die vorderhand auf Eis gelegte Revision des
Sprachengesetzes, mit deren Hilfe Bundesrat Alain Berset die
Harmonisierung des Sprachenunterrichts in der Volksschule durchsetzen wollte.
Bei der Frage des innerstaatlichen Zusammenhalts handle es sich «klarerweise um
ein gesellschaftspolitisches Anliegen», schrieben die Innerrhoder, das indes
mit der Harmonisierung im Sprachenbereich «bei weitem nicht deckungsgleich» sei
und nicht mit dieser vermischt werden dürfe: «Der nationale Zusammenhalt
definiert sich nicht über den um zwei Jahre verschobenen Zeitpunkt des
Unterrichtsbeginns einer zweiten Landessprache.» Der Innerrhoder Ständerat Ivo
Bischofberger, der die kleine Kammer derzeit präsidiert, sieht andere
Möglichkeiten, den Zusammenhalt zu fördern: auf gesellschaftlicher, kultureller
und sportlicher Ebene, ebenso mit Austauschprogrammen.
Norbert Senn, der einst einen
halbjährigen Sprachaufenthalt in Neuenburg absolvierte, hat denn auch stets
betont, dass sich Sprach- und Schulreisen von Deutschschweizer Schülern in die
Westschweiz – und umgekehrt – nachhaltiger auf den nationalen Austausch
auswirkten. Auch Roland Inauen teilt diese Haltung und räumt ein, dass da
durchaus noch Spielraum bestehe. Ausflüge und Austauschprogramme mit der
Romandie würden von Innerrhoder Schulklassen zwar durchgeführt, doch sei dies
abhängig vom Engagement der Lehrkräfte und nicht institutionalisiert. Inauen
glaubt zu spüren, dass der Austausch aber wieder intensiver gepflegt wird. So
seien im Alpstein auch wieder vermehrt Westschweizer Gäste anzutreffen;
entsprechend würden die Werbemittel bei den Bergbahnen
auf den Säntis oder die Ebenalp auch in Französisch angeboten.
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