In einem offenen Brief an Bildungspolitiker
der Länder und des Bundes schlagen 130 Professoren und Mathelehrer Alarm. Viele Abiturienten,
die sich z. B. für Fächer wie Wirtschaft oder Informatik einschreiben würden,
seien überfordert. Die Absender
des Brandbriefes fordern daher entsprechende Maßnahmen an Schulen.
Trotz guter Noten - Viele Abiturienten für Uni ungeeignet, Welt, 22.3.
Das Gymnasium ist die beliebteste Schulform, die Zahl der
Studienanfänger steigt weiter – doch gleichzeitig sinkt das Niveau: In einem
offenen Brief an Bildungspolitiker der Länder und des Bundes schlagen 130
Professoren und Mathelehrer Alarm. Viele Abiturienten, die sich für Fächer der
Bereiche Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik
(WiMINT) einschreiben würden, seien heillos überfordert.
„Im Rahmen der Kompetenzorientierung … wurde der Mathematik-Schulstoff
so weit ausgedünnt, dass das mathematische Vorwissen von vielen
Studienanfängern nicht mehr für ein WiMINT-Studium ausreicht“, heißt es in dem
Brief, den der Berliner „Tagesspiegel“ am
Mittwoch veröffentlichte.
Dabei ginge es
nicht unbedingt um hohe Mathematik, sondern um Grundwissen: „Den
Studienanfängern fehlen Mathematikkenntnisse aus dem Mittelstufenstoff, sogar
schon Bruchrechnung (!), Potenz- und Wurzelrechnung, binomische Formeln,
Logarithmen, Termumformungen, Elementargeometrie und Trigonometrie.“
Davon sei die Studierfähigkeit massiv
beeinträchtigt, wie im Januar eine Vorabiturklausur in Hamburg zeigte. Hierbei
waren die Ergebnisse so schlecht ausgefallen, dass die Schulbehörde den
Notenschnitt nachträglich von 4,1 auf 2,9 anhob, wie der „Spiegel“berichtete.
Reformen über die
Köpfe hinweg
Das seien
„alarmierende Symptome für die Krise der Mathematikausbildung an den Schulen“,
heißt es in dem offenen Brief. An den Universitäten seien diese Defizite
„längst kaum mehr aufholbar – weder in Vorkursen noch in Brückenkursen“. Zwar
gebe es in der Studieneingangsphase „fast überall mathematische Alphabetisierungsprogramme“.
Allerdings zur Frustration jener Studenten, „die mit guten Noten und hohen
Erwartungen an die Hochschulen kommen“.
Als einen Grund
sehen die Mathematiker Reformen, die ohne ausreichende Einbeziehung erfahrener
Lehrkräfte der Schulen und Hochschulen durchgesetzt worden seien. So seien
mathematische Ausdrucksweisen und abstrakte Aufgaben durch sperrige Textgebilde
und konstruierte Modellierungsaufgaben ersetzt worden.
Physik, Mathe,
Chemie? Geht so!
„Entsprechend sehen kompetenzorientierte
Lehrbücher aus – wie ein Kaleidoskop oder ein Panorama, in dem mit jeder
Doppelseite ein neues Thema angefangen wird. Man sieht viel Text und bunte
Bilder, aber keinen roten Faden mehr“, lautet die Kritik. „Der Mathematikstoff
wird nur häppchenweise ‚angeboten‘ und nicht ausreichend vernetzt: Aushöhlung,
Entfachlichung, Entkernung des Mathematikunterrichtes sind das Resultat.“
Warnung vorm
Hamburger Modell
Mit Blick auf das
Hamburger Klausurdesaster wird konkret bemängelt, dass die Aufgaben einen
„teilweise absurd konstruierten“ Realitätsbezug hätten. Diese „Verpackung“
müsse von den Schülern erst einmal zeitaufwendig entfernt werden, um zum
mathematischen Kern vorzudringen.
„Nach dem Willen
der Hamburger Abituraufgabensteller soll dieser Aufgabenstil eine
Vorreiterrolle für ganz Deutschland übernehmen“, beklagen die Experten. „Diese
Planung wird nach dem jüngsten Skandal hoffentlich nicht umgesetzt.“
Konkret fordern die
Absender des Brandbriefes sechs Maßnahmen. So sollten die Schulen unter anderem
zu einer an fachlichen Inhalten orientierten Mathematikausbildung zurückkehren
und mehr Wert auf Grundrechenarten, Übung und Wiederholung legen. Und auch der
Taschenrechner solle nicht mehr so oft zum Einsatz kommen.
In den vergangenen
Jahren wurde immer wieder Kritik an der Studieneignung von Abiturienten
geäußert. Dem Statistikportal „Statista“ zufolge haben
2010 nur 74,9 Prozent aller Studienanfänger den Abschluss geschafft. 2006 waren
es noch 79 Prozent.
Ein wachsender Teil
der Schulabgänger bringe schlicht die Kompetenzen nicht mit, die ihnen in den
Zeugnissen attestiert würden, stellt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im
vergangenen Jahr fest. Deshalb seien die Universitäten „zunehmend mit
Studienanfängern konfrontiert, die ihre Begabungen offenbar auf ganz anderen
Feldern als in der Wissenschaft haben“.
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