Rund 6000 Schülerinnen und Schüler treten diese Woche zur schriftlichen
Aufnahmeprüfung an
Am Montag und am Dienstag finden die Zürcher Gymiprüfungen statt. Rund 6000 Schüler treten dazu an. Der politische
Druck, streng zu prüfen, ist gross. Wie geht Martin Zimmermann, Koordinator der
Kantonsschulen für die Zentrale Aufnahmeprüfung, damit um?
Eine Aufnahmeprüfung erfordert viel Konzentration, da ist eine Stärkung zwischendurch willkommen. Bild: Goran Basic
"Es geht im Gymnasium nicht nur um Intelligenz", NZZ, 6.3. von Walter Bernet
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Herr Zimmermann, fast alle wollen ins Gymi. Wem raten Sie, auf die
Prüfung zu verzichten?
Es stimmt nicht, dass alle ins Gymnasium wollen. Für das Langgymnasium
meldet sich gut ein Viertel der Sechstklässler an, beim Kurzgymnasium sind es
ungefähr 10 Prozent der Zweit- und Drittklässler der Sekundarstufe. Die Frage
ist trotzdem wichtig. Wir raten an unseren Informationsabenden all jenen von
einer Anmeldung ab, die sich nicht vorstellen können, sich mit grosser
Konzentration und Ausdauer auf eine Sache einzulassen, die keinen direkt
sichtbaren Nutzen verspricht. Vier oder sechs Jahre Gymnasium sind eine lange
Zeit. Man muss sich für die Inhalte schon interessieren, um durchzuhalten.
Für viele ausländische Eltern mit akademischer Ausbildung ist es
unverständlich, dass in der Schweiz nur etwa 20 Prozent eines Jahrgangs das
«Abi» machen können. Was sagen Sie ihnen?
Wir haben viele gute Alternativen, vor allem über den Berufsbildungsweg.
Sie werden überall gelobt. Ich tue es gerne auch. Man kann mit der geringen
Jugendarbeitslosigkeit argumentieren, aber am Ende ist es so, dass die Schweiz
dieses Modell gewählt und so ausgestaltet hat, dass man auch nach einer
Berufslehre nicht von einem Universitätsstudium ausgeschlossen ist. Das
Gymnasium hat viele Stärken, aber ist man einmal drin, bewegt man sich
weitgehend auf einer Schiene. Für viele junge Männer ist die Berufslehre mit
Berufsmatur ein attraktiverer Weg. Man hat früh seinen eigenen Lohn und kann
später immer noch entscheiden, welchen Weg man gehen will.
Noch vor Jahren hiess es, die Prüfung sei je nach Schule einfacher oder
schwieriger zu schaffen. Deshalb hat man die Zentrale Aufnahmeprüfung
eingeführt. Ist die Kritik verstummt? Immerhin korrigieren ja die einzelnen
Schulen die Prüfung.
Die Prüfungen sind streng normiert. Unterschiede in der Korrektur kann
es eigentlich nur im Aufsatz geben. Aber auch da ist die Kritik weitgehend
verstummt. Durch den Austausch hat man sich einander angenähert.
Von den einzelnen Schulen verantwortet wird nach wie vor die mündliche
Prüfung. Gibt es Unterschieden in der Handhabung und bei den Erfolgsquoten?
Bei den mündlichen Prüfungen ist es ähnlich wie bei den schriftlichen.
Die Erfolgsquoten in den schriftlichen und in den mündlichen Prüfungen liegen
bei allen Schulen nahe beieinander. Das spricht klar dagegen, dass einzelne
Schulen zum Beispiel zu viele Schüler nachselektionieren. Eine weitere
Vereinheitlichung der mündlichen Prüfungen dürfte kaum möglich sein, zumal die
Lehrer auf Einflussnahmen abweisend reagieren würden. Sie haben ein sehr hohes
Berufsethos.
In den Spardiskussionen geistert, genährt von der Bildungsdirektorin,
die Behauptung herum, die Schulen nähmen zu viele Prüflinge auf und siebten dann
in der Probezeit umso kräftiger aus, namentlich im Kurzgymnasium. Es wurden
sogar finanzielle Motive unterstellt. Was sagen sie dazu?
Es gibt ein Problem beim Übergang von der Sekundarschule zum
Kurzgymnasium. Die Quoten der nach der Probezeit Ausscheidenden sind gestiegen.
Wir haben reagiert mit dem Versuch einer Klärung der gegenseitigen Erwartungen
an das Fachwissen der Schüler, um die Passung zu verbessern. Im sogenannten
VSGYM-Projekt sind wir daran, genauer zu beschreiben, was die Schüler für den Erfolg
im Gymnasium wissen müssen. Finanzielle Motive können ausgeschlossen werden. Es
ist den Mittelschulen am Ende der Probezeit im Februar gar nicht möglich,
Klassen zusammenlegen und so zu sparen. Sie können also nicht davon
profitieren, dass die Schülerpauschalen für ein ganzes Jahr bezahlt werden,
auch für die nach einem halben Jahr ausscheidenden Schüler.
Trotzdem: Das Aufnahmeverfahren macht offenbar relativ ungenaue
Erfolgsprognosen. Gibt es Verbesserungspotenzial? Man überarbeitet das
Prüfungsverfahren ja zurzeit.
Das ist nicht richtig. Die Prüfungsergebnisse liefern eine ziemlich gute
Prognose für den Erfolg in der Probezeit. Wer die Prüfung nur knapp schafft,
muss eher damit rechnen auszuscheiden. Die Zentrale Aufnahmeprüfung trennt sehr
gut bei den ganz starken und bei den ganz schwachen Schülern. Abweichungen von
der durch die Prüfung gestellten Prognose gibt es eher im Mittelfeld. Aber das
ist bei jedem Aufnahmeverfahren so.
Wären Intelligenztests ein Ersatz? Oder gar ein Verzicht auf die Prüfung
und ein Abstützen auf Lehrerempfehlungen?
In der Schweiz gibt es viele verschiedene Aufnahmeverfahren. Sie
funktionieren alle. Ein Intelligenztest kann sie aber nicht ersetzen. Es geht
im Gymnasium nicht nur um Intelligenz, sondern auch um Durchhaltewillen, um
Affinität zum schulischen Lernen, um die Bereitschaft, auch Knochenarbeit zu
leisten. Die Schüler müssen über eine lange Zeit sieben- bis achtstündige
Schultage aushalten können. Das ist streng.
Ein Thema ist das Verhältnis von Lang- und Kurzgymnasium. Die Politik
möchte den in den letzten Jahren auf rund 60 Prozent angewachsenen Anteil von
Kurzgymnasiasten trotz grossem Ansturm auf die früheren rund 50 Prozent
verringern. Eine klare politische Ansage an die Prüfungsmacher. Wie gehen Sie
damit um?
Diese Vorgabe haben wir vom Kantonsrat und in etwas sibyllinischerer
Form durch die Leistungsüberprüfung Lü 16 der Regierung: Diese verlangt eine
«spätere und stärker leistungsbezogene Aufnahme ins Gymnasium mit
gleichzeitiger Senkung der Ausfallquote». Wir werden sie umsetzen müssen, und
zwar so, dass wir den Schülern trotzdem gerecht werden. Das wird dann nicht
einfach, wenn es sich um einen starken Jahrgang handelt. Einfach zu sagen, wir
nähmen nur so und so viele Schüler ins Gymnasium auf, geht nicht.
Generell ist es doch so, dass ungefähr so viele Schüler die Prüfungen
bestehen, wie gerade noch Platz haben in den Schulen. Es gibt aber auch
Schulen, die etwas kämpfen müssen um genügend Anmeldungen. Welche Rolle spielt
bei solchen Fragen das Aufnahmeverfahren?
Wir haben nie einfach die Schulhäuser gefüllt, sondern uns an
qualitative Kriterien gehalten. Bei ungleicher Zahl von Anmeldungen greifen die
Schulen zu Umteilungen, beispielsweise zwischen den Schulen rund um den Zürcher
Pfauen oder auch bei uns im Oberland zwischen Wetzikon und Uster.
Aber die Infrastrukturen der Mittelschulen sind seit den siebziger
Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr gross erweitert worden.
Trotzdem gab es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre einen grossen
Run auf das Langgymnasium. Vermutlich war das mangelnde Vertrauen in die
Sekundarschule nach der damaligen Oberstufenreform der Grund. Zu Unrecht, wie
wir im Rückblick sehen. Wir haben gute Sekundarschulen.
Die Mittelschülerquoten unterscheiden sich zwischen den Kantonen und
innerhalb des Kantons sehr stark. Besteht angesichts des ungerecht verteilten
Zugangs zu den Universitäten da nicht Handlungsbedarf?
Die Ungleichheit ist in der Tat irritierend. Ich hätte persönlich aber
keine Freude, wenn der Bund zum Beispiel Minimal- und Maximalquoten
vorschreiben würde. Letztlich spielt auch hier eine Art Markt. Und zu einem
Überangebot an Akademikern auf dem Arbeitsmarkt ist es nirgends gekommen. Die
Quotenfrage ist eine politische Frage. Ich kann und will sie deshalb nicht beantworten.
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