15. Februar 2017

Wenig Anreize für die Naturwissenschaften

Im Dezember letzten Jahres wurden die neuesten Pisa-Ergebnisse publiziert. Die Schweiz schnitt dabei wie üblich ziemlich gut ab. In Mathematik erzielte sie von allen europäischen Ländern das beste Resultat. Und auch bei den Naturwissenschaften, die das Schwerpunktthema der neuesten Pisa-Studie bilden, gehören Schweizer Schülerinnen und Schüler zu den besten in Europa. Doch trotz diesen guten Resultaten haben wir einen Mangel an Studenten und Lehrlingen bei sogenannten Mint-Fächern. Schülerinnen und Schüler aus der Schweiz erzielen bei Naturwissenschaften gute Resultate, aber der Anteil an jungen Menschen mit naturwissenschaftlichen Wunschberufen liegt, wie auch in Finnland, Deutschland, den Niederlanden oder Japan, unter 20 Prozent.
Niedrige Löhne und geringes Sozialprestige, NZZ, 15.2. Gastkommentar von Mathias Binswanger


Also wird seit Jahren versucht, Kinder und vor allem Mädchen künstlich für naturwissenschaftliche Fächer zu begeistern. Doch klappt das wirklich? Die Resultate der Pisa-Studie zeigen, dass es damit nicht weit her ist. So muss man zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass Freude an Naturwissenschaften für die bei Pisa gemessenen Leistungen kaum Bedeutung besitzt. Man muss nicht Spass an naturwissenschaftlichen Fächern haben, um gute Resultate zu erzielen. Zwar ist diese Freude in Singapur, dem Land mit den weltweit besten Ergebnissen, stark ausgeprägt, doch in Japan, welches hinter Singapur an zweiter Stelle liegt, ist es genau umgekehrt. Dort ist die Lust am Besuch von naturwissenschaftlichen Fächern ausgesprochen gering, doch die Leistungen sind ausgezeichnet, genauso wie auch in Deutschland oder den Niederlanden.

Generell wird die Leistung in naturwissenschaftlichen Fächern durch ganz andere Faktoren beeinflusst. Wichtig ist vor allem die sozioökonomische Herkunft. Wer aus einem begüterten und/oder gebildeten Elternhaus kommt, erzielt im Durchschnitt deutlich bessere Leistungen als jemand, der aus einem ärmeren oder bildungsfernen Haushalt stammt. In der Schweiz ist dieser Zusammenhang (wie auch in Deutschland) sogar besonders stark ausgeprägt. Doch da wir hierzulande relativ viele sozioökonomisch begünstigte Haushalte haben, erklärt dies zu einem Teil bereits das gute Abschneiden der Schweizer Schülerinnen und Schüler.
Letztlich offenbart sich hier ein Dilemma der Bildungspolitik: Dort, wo der Staat einen Einfluss hat, nämlich bei der Organisation und Gestaltung der Schulen, ist die Wirkung auf die Schulleistungen gering. Auch die neuste Pisa-Studie zeigt, dass weder der Schultyp (privat oder öffentlich, Gesamtschule oder nicht) noch das Ausmass an vorschulischen Angeboten einen Einfluss hat. Die grösste Wirkung lässt sich noch über Schuldisziplin erzielen. In Ländern, in denen Schulschwänzen leicht möglich ist, gibt es keine guten Leistungen. Auch die Lehrperson ist wichtig. Wo gemäss Einschätzung der Schüler auf Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler eingegangen wird, sind die Leistungen eindeutig besser. Das wiederum ist nur möglich, solange der Lehrerberuf sein Sozialprestige nicht noch weiter einbüsst und zu einer Tätigkeit zweiter Klasse verkommt.

An der Leistung liegt es also nicht, wenn sich Jugendliche in der Schweiz nicht für Mint-Fächer interessieren. Das Desinteresse scheint vielmehr ein Wohlstandsphänomen zu sein, das sich in vielen Industrieländern beobachten lässt. Techno-Freaks, Computer-Nerds oder Mathe-Genies sind nicht die Helden und schon gar nicht die Heldinnen der heutigen Jugend. Kein Wunder: Solange Nichtskönnerinnen und Nichtskönner aus TV-Castings permanent im Rampenlicht der Medien stehen oder Manager ohne besondere Talente Topgehälter verdienen, während Forscher und Ingenieure in Labors und an Computern als nützliche Idioten ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Mauerblümchendasein fristen, gibt es auch für begabte Knaben und Mädchen wenig Anreiz, sich für Naturwissenschaften zu begeistern.

Umso mehr müssen wir dankbar sein, dass es immer noch eine beachtliche Minderheit gibt, die diese Studienrichtungen ergreift. Für Studentinnen und Studenten in ärmeren Ländern sieht das dagegen ganz anders aus. Dort bietet ein naturwissenschaftliches Studium die Chance, dereinst einen Job in einem Land wie der Schweiz zu finden.

Freude an Naturwissenschaften, Technik und Informatik lässt sich nicht künstlich herbeizüchten, und schon gar nicht bei Mädchen, wo der Anreiz zur Ergreifung von Mint-Berufen noch geringer ist. Entsprechende Kampagnen kann man sich deshalb sparen. Man kann Jugendlichen nicht vorgaukeln, dass ein Leben als Naturwissenschafterin oder Techniker faszinierend sei, solange diese Tätigkeiten relativ schlecht bezahlt sind und geringes Sozialprestige aufweisen. Die Folge davon: Immer mehr Naturwissenschafter und Ingenieure werden im Ausland akquiriert.


Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Dozent an der Universität St. Gallen.

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