Im Dezember letzten Jahres wurden die neuesten Pisa-Ergebnisse
publiziert. Die Schweiz schnitt dabei wie üblich ziemlich gut ab. In Mathematik
erzielte sie von allen europäischen Ländern das beste Resultat. Und auch bei
den Naturwissenschaften, die das Schwerpunktthema der neuesten Pisa-Studie
bilden, gehören Schweizer Schülerinnen und Schüler zu den besten in Europa.
Doch trotz diesen guten Resultaten haben wir einen Mangel an Studenten und
Lehrlingen bei sogenannten Mint-Fächern. Schülerinnen und Schüler aus der
Schweiz erzielen bei Naturwissenschaften gute Resultate, aber der Anteil an
jungen Menschen mit naturwissenschaftlichen Wunschberufen liegt, wie auch in
Finnland, Deutschland, den Niederlanden oder Japan, unter 20 Prozent.
Niedrige Löhne und geringes Sozialprestige, NZZ, 15.2. Gastkommentar von Mathias Binswanger
Also wird seit Jahren versucht, Kinder und vor allem Mädchen künstlich
für naturwissenschaftliche Fächer zu begeistern. Doch klappt das wirklich? Die
Resultate der Pisa-Studie zeigen, dass es damit nicht weit her ist. So muss man
zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass Freude an Naturwissenschaften für die
bei Pisa gemessenen Leistungen kaum Bedeutung besitzt. Man muss nicht Spass an
naturwissenschaftlichen Fächern haben, um gute Resultate zu erzielen. Zwar ist
diese Freude in Singapur, dem Land mit den weltweit besten Ergebnissen, stark
ausgeprägt, doch in Japan, welches hinter Singapur an zweiter Stelle liegt, ist
es genau umgekehrt. Dort ist die Lust am Besuch von naturwissenschaftlichen
Fächern ausgesprochen gering, doch die Leistungen sind ausgezeichnet, genauso
wie auch in Deutschland oder den Niederlanden.
Generell wird die Leistung in naturwissenschaftlichen Fächern durch ganz
andere Faktoren beeinflusst. Wichtig ist vor allem die sozioökonomische
Herkunft. Wer aus einem begüterten und/oder gebildeten Elternhaus kommt,
erzielt im Durchschnitt deutlich bessere Leistungen als jemand, der aus einem
ärmeren oder bildungsfernen Haushalt stammt. In der Schweiz ist dieser
Zusammenhang (wie auch in Deutschland) sogar besonders stark ausgeprägt. Doch
da wir hierzulande relativ viele sozioökonomisch begünstigte Haushalte haben,
erklärt dies zu einem Teil bereits das gute Abschneiden der Schweizer
Schülerinnen und Schüler.
Letztlich offenbart sich hier ein Dilemma der Bildungspolitik: Dort, wo
der Staat einen Einfluss hat, nämlich bei der Organisation und Gestaltung der
Schulen, ist die Wirkung auf die Schulleistungen gering. Auch die neuste
Pisa-Studie zeigt, dass weder der Schultyp (privat oder öffentlich,
Gesamtschule oder nicht) noch das Ausmass an vorschulischen Angeboten einen
Einfluss hat. Die grösste Wirkung lässt sich noch über Schuldisziplin erzielen.
In Ländern, in denen Schulschwänzen leicht möglich ist, gibt es keine guten
Leistungen. Auch die Lehrperson ist wichtig. Wo gemäss Einschätzung der Schüler
auf Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler eingegangen wird, sind die
Leistungen eindeutig besser. Das wiederum ist nur möglich, solange der
Lehrerberuf sein Sozialprestige nicht noch weiter einbüsst und zu einer
Tätigkeit zweiter Klasse verkommt.
An der Leistung liegt es also nicht, wenn sich Jugendliche in der
Schweiz nicht für Mint-Fächer interessieren. Das Desinteresse scheint vielmehr
ein Wohlstandsphänomen zu sein, das sich in vielen Industrieländern beobachten
lässt. Techno-Freaks, Computer-Nerds oder Mathe-Genies sind nicht die Helden
und schon gar nicht die Heldinnen der heutigen Jugend. Kein Wunder: Solange
Nichtskönnerinnen und Nichtskönner aus TV-Castings permanent im Rampenlicht der
Medien stehen oder Manager ohne besondere Talente Topgehälter verdienen,
während Forscher und Ingenieure in Labors und an Computern als nützliche
Idioten ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Mauerblümchendasein
fristen, gibt es auch für begabte Knaben und Mädchen wenig Anreiz, sich für
Naturwissenschaften zu begeistern.
Umso mehr müssen wir dankbar sein, dass es immer noch eine beachtliche
Minderheit gibt, die diese Studienrichtungen ergreift. Für Studentinnen und
Studenten in ärmeren Ländern sieht das dagegen ganz anders aus. Dort bietet ein
naturwissenschaftliches Studium die Chance, dereinst einen Job in einem Land
wie der Schweiz zu finden.
Freude an Naturwissenschaften, Technik und Informatik lässt sich nicht
künstlich herbeizüchten, und schon gar nicht bei Mädchen, wo der Anreiz zur
Ergreifung von Mint-Berufen noch geringer ist. Entsprechende Kampagnen kann man
sich deshalb sparen. Man kann Jugendlichen nicht vorgaukeln, dass ein Leben als
Naturwissenschafterin oder Techniker faszinierend sei, solange diese
Tätigkeiten relativ schlecht bezahlt sind und geringes Sozialprestige
aufweisen. Die Folge davon: Immer mehr Naturwissenschafter und Ingenieure
werden im Ausland akquiriert.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der
Fachhochschule Nordwestschweiz und Dozent an der Universität St. Gallen.
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