Der neue Basler Erziehungsdirektor muss sich um zahlreiche Baustellen kümmern.
Cramer muss an mehreren Fronten gleichzeitig Lösungen finden, Bild: Kostas Maros
Die Baustellen des Conradin Cramer, Basler Zeitung, 21.2. von Franziska Laur und Thomas Dähler
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Behinderte Kinder in
Normalklassen
Die aufwendigste Baustelle von Erziehungsdirektor Conradin Cramer
dürfte die integrative Schulung sein. Lehrerinnen und Lehrer in den Primar- und
Sekundarschulen stöhnen unter der Last, Verhaltensauffällige sowie körperlich
und geistig behinderte Schülerinnen und Schüler gemeinsam in der Klasse mit
unauffälligen oder gar hochbegabten Kindern unterrichten zu müssen. Sie
erhalten zwar Verstärkung durch Heilpädagogen und ein Heer von
Spezial-Lehrkräften, doch dies bringt oft mehr Unruhe als Entlastung. In den Schulzimmern
ist es manchmal so laut, dass Schüler unter Konzentrationsschwierigkeiten
leiden. Annemarie Pfeifer von der EVP hat denn auch den ersten Anzug an die
Adresse des neuen Bildungsdirektors eingereicht. Sie möchte, dass die Schwächen
dieses neuen Schulmodells behoben werden. Ausserdem solle der Regierungsrat
mithilfe einer Studie aufzeigen, ob sich die integrative Schule überhaupt
bewährt. Weiter solle abgeklärt werden, welche Folgen der erhöhte Stress auf
das Wohlergehen der Lehrkräfte habe.
Der Bedarf an Schulraum
steigt
Conradin Cramer wird auch an der Schulhaussituation noch schwer
arbeiten müssen. Zwischen 2012 und 2020 wird der Kanton 790 Millionen Franken
in die Sanierung und Neuerstellung von Schulhäusern stecken. Kürzlich stellte
sich jedoch heraus, dass dieses Geld nicht reichen wird. So steht man mitten in
der zweiten Planungsphase. Vorgesehen ist ein neues Sekundarschulhaus für rund
60 Millionen Franken und eines für die Primarschule für rund 35 Millionen
Franken. Wie Simon Thiriet, Pressesprecher des Erziehungsdepartements, sagt,
sei noch nicht klar, wo diese gebaut werden sollen. Dem
Finanzkommissionsbericht für das Budget 2017 ist zu entnehmen, dass der Bedarf
an Schulraum im Entwicklungsgebiet Klybeck noch offen ist. Anzunehmen ist, dass
auch mit zwei zusätzlichen Schulhäusern der Bedarf noch nicht gedeckt ist. Nur
schon im Klybeck und auf dem Felix-Platter-Areal entstehen in absehbarer Zeit
Hunderte neue Wohnungen, was zusätzlichen Bedarf an Schulräumen nach sich
zieht.
«Schö barl Fronse» – das
neue Sprachbad
Immer mehr Fachleute bezweifeln, dass die von sechs Kantonen
gemeinsam gestaltete Einführung von Frühfremdsprachen mit einer neuen Methode
sinnvoll ist. So musste in Bern der Grammatikteil der Aufnahmeprüfung für das
Gymnasium gestrichen werden, da die Schüler noch kaum Verben konjugieren
können. Basel war nur deshalb nicht mit diesem Problem konfrontiert, weil bei
den freiwilligen Prüfungen fürs Gymnasium kein Französisch, sondern nur Deutsch
und Mathematik abgenommen wird. Die schlechten Französischkenntnisse der
heutigen Schüler liegen nicht zuletzt an der neuen Lernmethode des Projekts
Passepartout. Diese vernachlässigt Grammatik und Vokabeln. In der Praxis werden
den Schülerinnen und Schülern Originaltexte vorgesetzt, deren Bedeutung sie oft
nicht verstehen. Auch Fehler machen ist Teil des Konzepts. So schreiben die
Kinder anfangs «schö», ohne dass dies berichtigt wird. Die mangelnden
Kenntnisse müssen dann Gymnasiallehrer oder Eltern nachträglich ausbügeln.
Einheitliche Checks sollen
Standards sichern
Mit der Einführung des Kompetenzenkatalogs des Lehrplans 21 werden
die Leistungstests für die Volksschule zentral. Die Kantone Aargau, Solothurn,
Baselland und Basel-Stadt haben gemeinsam die Einführung von sogenannten Checks
zum Ende der dritten, sechsten, achten und neunten Klassen beschlossen. Damit
sollen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler im Bildungsraum
Nordwestschweiz überprüft und verglichen werden. Doch der Bildungsraum
Nordwestschweiz steckt in der Krise, und damit auch die gemeinsamen
Leistungstests. Noch werden die Checks weiterhin grösstenteils durchgeführt,
doch ein Abschlussbericht für die vier Kantone ist seit 2014 keiner mehr
erschienen. Zurzeit hat Basel-Stadt den Vorsitz im Bildungsraum Nordwestschweiz.
Zu Conradin Cramers Aufgaben gehört es, sich um die Zukunft des Bildungsraums
zu kümmern. Auch um die Checks. Immerhin wurde den KMUs versprochen, die
Schulen würden ihre Abgänger nach einheitlichen Standards prüfen.
Verpflichtungen des
Harmos-Konkordats
Der Kanton Basel-Stadt hat die Interkantonale Vereinbarung über
die Harmonisierung der obligatorischen Schule unterschrieben. Basel-Stadt
erfüllt dabei fast alle Verpflichtungen des Harmos-Konkordats. Nicht
Harmos-konform ist in Basel-Stadt einzig der Übertritt ins Gymnasium, der
gemäss Harmos schon nach dem 10. Schuljahr (der Kindergarten wird
mitgezählt) erfolgen sollte. Doch im Vergleich zu anderen Kantonen muss sich
Conradin Cramer bei den Harmonisierungs-Fortschritten wenig Sorgen machen. Eine
nächste Bilanz planen die Kantone 2019. Koordinationsdefizite bestehen vor
allem bei den Sprachen, wo Basel-Stadt aber alle vereinbarten Eckwerte einhält.
Offen ist allerdings, ob die angestrebten gleichwertigen Kompetenzniveaus für
Englisch und Französisch erreicht werden. Das wird erst überprüfbar sein, wenn
die ersten Jahrgänge mit der neuen Regelung die Schule verlassen. Noch nicht
sehr weit sind die Kantone – auch Basel-Stadt – bei der im Konkordat
vereinbarten Koordination der Lehrpläne und Lehrmittel.
Die umstrittenen neuen
Sammelfächer
Basel-Stadt hat zwar den Lehrplan 21 längst eingeführt, auch
in den Sekundarschulen. Doch was aus den neuen Sammelfächern des Lehrplans 21
wird, ist noch immer offen. Denn für «Räume, Zeiten, Gesellschaften» und «Natur
und Technik» gibt es noch keine ausgebildeten Lehrkräfte und auch noch keine
Lehrmittel. Deshalb unterrichten weiterhin Geschichts-, Geografie-, Chemie-,
Physik- und Biologielehrerinnen und -lehrer. Doch irgendwann muss Conradin
Cramer das Provisorium in eine solide Lösung überführen, denn die Schülerinnen
und Schüler brauchen das Rüstzeug für die weiterführenden Schulen. Nicht ganz
ausgeschlossen werden kann allerdings, dass Basel-Stadt auf den seinerzeitigen
Entscheid zugunsten der Sammelfächer zurückkommt. Die Nachbarkantone Baselland
und Aargau werden nämlich den Lehrplan 21 ohne die neuen Sammelfächer
einführen. Im Sinne der einst angestrebten Harmonisierung wird sich der Basler
Erziehungsdirektor deshalb nochmals dieser Debatte stellen müssen.
Der Lehrplan 21 in der
Umsetzungsphase
Als erster und damals einziger Kanton arbeitet Basel-Stadt seit
August 2015 mit dem Lehrplan 21. Während sich nur einzelne Basler Lehrer
offen dagegen aussprachen, bekam das neue Regelwerk in den Reihen der Politik,
Wissenschaftler und auswärtigen Lehrkräfte immer mehr Gegner. Zu normierend, zu
standardisierend, urteilten sie. Es finde ein Paradigmenwechsel Richtung
Ökonomisierung der Schule statt. Acht Jahre lang hatten 200 Experten an dem
Werk geschraubt. Herausgekommen ist das wohl aufwendigste Bildungspapier, das
das hiesige Schulwesen je gesehen hat. 470 Seiten stark mit
2304 Kompetenzstufen, welche die Schüler im Lauf ihres Weges erreichen
sollen. Doch in mehreren Kantonen sind die Lehrplan-Gegner in Volksabstimmungen
gescheitert. Dabei herrscht die vorgängige Meinung, dass der Lehrplan nicht
eins zu eins umgesetzt werden muss. So wird sich Conradin Cramer vor allem mit
der individuellen Umsetzung des Lehrplans durch die Pädagogen beschäftigen
müssen.
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