«Die
Schülerinnen und Schüler lernen Sprachen anhand von interessanten Sachtexten
und nicht von künstlich konstruierten Standardsätzen und Dialogen. Im
Vordergrund steht das Handeln und Kommunizieren: Die Schülerinnen und Schüler
lernen so Wortschatz und Grammatik nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit
spannenden Inhalten und Aktivitäten.»
"Moderner" Sprachunterricht gemäss Passepartout: Kinder am Computer übersetzen Texte, Bild: Adrian Streun
Führt "Passepartout" in eine Sackgasse? Bieler Tagblatt, 18.2. von Lotti Teuscher
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Das ist
ein Auszug aus der Beschreibung des Projekts Passepartout, in das auch
Frühfranzösisch ab der dritten Klasse integriert ist. Eine, die diese Form des
Unterrichts kritisiert, ist die Zürcher Linguistin Simone Pfenninger. Die neue
Lehrmethode könne nur funktionieren, wenn die Fremdsprache etwa acht Lektionen
pro Woche gelernt werde, ergänzt durch Immersionsunterricht: Gewisse Fächer
werden in der Fremdsprache unterrichtet.
Im
Projekt Passepartout ist indes beides nicht vorgesehen. Während der 3. und 4.
Klasse werden pro Woche drei Lektionen Französisch unterrichtet, in der 5. und
6. zwei, danach wieder drei. Kurz: Die Anzahl Lektionen im
Französischunterricht bleibt gleich, sie wird lediglich auf zwei Jahre mehr
verteilt.
Ein
«Sprachbad» statt eines «Sprachbädeli» wäre denn auch Erwin Sommer lieber
gewesen, Vorsteher des Amts für Kindergarten und Volksschule an der kantonalen
Erziehungsdirektion: «Aber dazu fehlen uns die Mittel.»
Ziel nicht erreicht
Passepartout
hat im Jahr 2011 sechs Kantone gestartet, unter ihnen auch Bern – mit einem
ambitionierten Ziel: Die Kantone wollten den Fremdsprachenunterricht an der
Volksschule von Grund auf erneuern.
Dies
scheint gelungen – wenn auch nicht im positiven Sinn: Jugendliche, die ins
Gymnasium wechseln möchten, werden diesen Frühling zum ersten Mal in der
Geschichte keine Grammatik-Französischprüfung absolvieren. Denn was sie nicht
gelernt haben, kann auch nicht geprüft werden. Einer, der Passepartout von
Beginn weg bekämpft hat, ist der ehemalige Bieler Stadtrat und Orpunder
Oberstufenlehrer Alain Pichard: Im Oberstufenlehrmittel «Clin d’oeil» für
Primar- und Sekundarschüler sei zwar ein wenig Grammatik enthalten. Doch, so
Pichard: «Die Oberstufenschüler sollen sich die Grammatik selber erarbeiten.
Dies, weil angenommen wird, dass Kinder dies können, wenn sie schwierige Texte
übersetzen.»
Texte
notabene, die laut Pichard so schwierig seien, dass auch Lehrer sie manchmal
kaum übersetzen könnten: Es sind wissenschaftliche Texte oder solche, die in
einer Tageszeitung stehen. Die Schüler sollen diese Texte mittels Computer
übersetzen und sich dadurch die Grammatik selber erarbeiten. «Dies führt dazu,
dass viele Schüler nicht einmal wissen, was ein Verb oder ein Nomen ist», sagt
Pichard.
Ergänzungen vorgenommen
Dem
widerspricht Erwin Sommer: Nachdem zahlreiche Lehrer protestiert hatten, sei
das Lehrmittel nachgebessert worden: «Bemerken die Kritiker denn nicht, dass
wir Änderungen vorgenommen haben?» Ergänzt wurde «Clin d’oeil» etwa durch
Arbeitsblätter zu verschiedenen Grammatikthemen, durch eine Verbenliste oder
eine Zusammenstellung zum Alltagswortschatz mit einer Übungssoftware.
Lehrer
Pichard lässt dies nicht gelten. Für ihn sind die Nachbesserungen lediglich ein
Tropfen auf den heissen Stein: «Der Versuch der Autoren, in der Minigrammaire
doch noch einen systematischen Konjugationsaufbau nachzuliefern, überzeugt
nicht.» Dass die Passepartout-Promotoren den Schülern zumuten würden,
komplizierte authentische Texte ohne solide Kenntnisse in der französischen
Konjugation zu entschlüsseln, sei ein Widerspruch in sich selbst: «Wie sollen
Schüler einen Text verstehen, wenn sie den Infinitiv einer Verbform wie zum
Beispiel falloir von faudrait nicht einmal erahnen können?»
Gymnasiasten bevorzugt
Der
eigentliche Skandal ist gemäss Pichard, dass Gymnasiasten die fehlenden
Grammatikkenntnisse nachholen könnten – Primar- und Sekundarschüler hingegen
nicht: «Damit wird die Spaltung zwischen Gymnasium sowie Primar- und
Sekundarschule weiter vorangetrieben.»
Erwin
Sommer von der kantonalen Erziehungsdirektion setzt die Akzente anders als
Pichard – bei der Freude der Kinder an der neuen Sprache und ihrer Motivation,
die durch Passepartout gefördert werde: «Am wichtigsten ist, dass die Kinder
gern Französisch reden.» Sommer spricht von begeisterten Rückmeldungen
bezüglich der Ausdrucksfähigkeit der Kinder.
Austausch mit Tavannes
Zudem
unterstützt die Erziehungsdirektion den Sprachaustausch mit welschen Schulen
mit Geld und Tipps. Kürzlich haben Primarschulen aus Safnern und Orpund Briefe
ausgetauscht mit Schülern aus Tavannes. Danach waren die Seeländer Kinder einen
Tag lang in Tavannes, haben Unterricht in der Gastgebersprache erhalten und an
einer Dorfführung teilgenommen.
Alain
Pichard erzählt seinerseits eine Anekdote: Der Vater eines Schülers fragte in
einer Buchhandlung nach einem Lehrmittel, um seinem Kind französische Grammatik
beizubringen. Der Buchhändler sagt: «Aha, Sie sind also auch ein Passepartout-Opfer?
Natürlich haben wir ein Lehrmittel, denn danach werden wir häufig gefragt.» Wer
von den beiden Kontrahenten am Ende richtig liegt, werden Evaluationen zeigen,
die dieses Jahr, 2018 und 2020 stattfinden.
Zu Erwin Sommer: Die Tatsache, dass Französisch nicht während acht Stunden pro Woche unterrichtet werden kann, hat nichts mit fehlenden Mitteln zu tun. Grund dafür ist die Stundentafel, die dafür keinen Platz hat - nicht zuletzt, weil ja zwei Primarfremdsprachen unterrichtet werden.
AntwortenLöschenZu Erwin Sommer, Nr. 2: Die Freude und Motivation dürften relativ schnell schmelzen, wenn die Kinder nach vier Jahren immer noch nicht wissen, wie ein Verb konjugiert wird und folglich kaum einen Satz bilden können. Wie gross die Freude dann bei den abnehmenden Lehrkräften der Sekundarschule und der Gymnasien ist, können wir erahnen. Also: Toll gemacht, Herr Sommer! Es herrscht offiziell Friede, Freude, Eierkuchen im Kanton Bern.
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