Auch für muslimische Mädchen ist der
gemischtgeschlechtliche Schwimmunterricht an der Schule obligatorisch. Die
Religionsfreiheit wird mit dieser Pflicht nicht verletzt. Das Urteil des
Menschenrechtshofs in Strassburg von dieser Woche wurde schweizweit mit
Erleichterung, teilweise gar mit Enthusiasmus, zur Kenntnis genommen. Die
Basler CVP-Grossrätin Andrea Knellwolf schrieb gestern in einem Leserbrief in
der Basler Zeitung: «Endlich haben wir die Gewissheit, dass wir wenigstens den
frechsten Verweigerungen, unsere sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten
zu akzeptieren, entschieden entgegentreten und ein Mindestmass an Integration
verlangen dürfen, ohne als Menschenrechtsverachter hingestellt zu werden. Danke
Strassburg!»
Vom Schwimmunterricht freigekauft, Basler Zeitung, 14.1. von Alessandra Paone
Das Urteil bezieht sich auf einen Fall aus dem Jahr 2008. Der
strenggläubige muslimische Vater Aziz Osmanoglu aus Basel verbot seinen damals
sieben- und neunjährigen Töchtern, am Schwimm- unterricht der Primarschule
teilzunehmen. Die Behörden suchten mehrfach das Gespräch mit der Familie –
jedoch erfolglos. Osmanoglu stellte sich auf den Standpunkt, dass die Glaubens-
freiheit seine Mädchen dazu berechtige, dem gemischtgeschlechtlichen
Schwimmunterricht fernzubleiben. Es folgte ein jahrelanger juristischer Streit,
der mit dem besagten Verdikt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
nun ein Ende findet.
Auf den ersten Blick mag der Entscheid aus Strassburg tatsächlich
als Durchbruch interpretiert werden. Oder zumindest als Bestätigung dafür, dass
die hiesige Praxis richtig ist. Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest,
dass das Urteil im Wesentlichen nichts ändert. Denn wer nicht am Schwimmunterricht
teilnehmen will, der wird es auch in Zukunft nicht tun – ganz einfach, indem er
sich freikauft.
Wie bei Verkehrsbussen
In Basel-Stadt werden Erziehungsberechtigte gebüsst, die ihre
Pflichten verletzen. Wer sich also weigert, seine Kinder ins Schwimmen zu
schicken, muss 350 Franken pro Elternteil, Kind und Schuljahr zahlen und ist
vom Unterricht befreit. Osmanoglu wurde im Jahr 2010 mit 1400 Franken belangt.
Dagegen legte der Muslim Beschwerde ein. Insgesamt betrugen die Sanktionen in
seinem Fall 5000 Franken. Für diese Summe kam jedoch nicht er, sondern der
Riehener Theologe und Unternehmer Johannes Czwalina auf.
Mehr können die Behörden aber nicht tun. «So funktioniert unser
Rechtsstaat», sagt Simon Thiriet, Sprecher des Basler Erziehungsdepartements.
Er zieht einen Vergleich mit der Regelung im Strassenverkehr: «Wenn Sie fünfmal
in einer Woche zu schnell fahren, werden sie fünfmal gebüsst. Der Führerschein
wird ihnen deswegen aber nicht entzogen.»
In einzelnen Fällen sei die Busse erhöht worden, sagt Thiriet. Das
Schulgesetz lässt dafür einen Spielraum offen: Erziehungsberechtigte, die
wiederholt gegen die Regeln verstossen, können auf Antrag der Schulleitung oder
der zuständigen Stelle der Gemeinden mit einer Ordnungsbusse bis zu 1000
Franken belegt werden.
Änderung des Bildungsgesetzes
Verweigerungshaltung wird auch im Baselbiet bestraft, mit einer
Busse von maximal 5000 Franken, wie die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion
mitteilt. Allerdings ist dort Schwimmen nicht überall fester Bestandteil des
Unterrichts. Nur an drei Sekundarschulen findet ganzjährig und regelmässig
Schwimmunterricht statt. Die anderen Schulen gehen sporadisch und individuell
während der Sportlektionen in ein Schwimmbad, die Primarschulen je nach
Verfügbarkeit der Anlagen.
Im Kanton Baselland ist derzeit eine Anpassung des
Bildungsgesetzes in der Vernehmlassung. In diesem sollen «die hiesigen
gesellschaftlichen Werte» verankert werden. Bei wesentlichen Inte-
grationsschwierigkeiten von Schülern mit ausländischer Staatsbürgerschaft soll
zudem eine Meldung an die zuständigen kantonalen Ausländerbehörden erfolgen.
Der Grund für die Gesetzes- änderung ist die Therwiler Handschlagaffäre: Weil
sich zwei muslimische Sekundarschüler konsequent weigerten, ihrer Lehrerin die
Hand zu geben, liess die Bildungsdirektion ein Rechtsgutachten erstellen.
Dieses kam zum Schluss, dass die Gleichstellung von Mann und Frau höher zu
gewichten sei als die Religionsfreiheit.
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