11. Januar 2017

Strassburger Urteil stärkt Behörden den Rücken

Der obligatorische Schwimmunterricht für muslimische Schüler stellt keine Verletzung der Religionsfreiheit dar. Das sagt der Menschenrechtsgerichtshof und weist eine Beschwerde muslimischer Eltern gegen die Schweiz ab.
Wer Kinder vom Schwimmunterricht fernhält, behindert deren soziale Integration, urteilen die Strassburger Richter. Bild: KeystoneAuch Muslime sollen schwimmen, NZZ, 11.1. von Katharina Fontana
Es ist ein Urteil, das nicht überrascht, doch wäre es anders herausgekommen, hätte es ein fatales Signal gesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lehnt die Beschwerde eines muslimischen Elternpaars aus Basel ab, das der Schweiz eine Verletzung seiner Glaubensfreiheit vorwirft. Die Eltern waren 2010 vom Basler Erziehungsdepartement mit 1400 Franken gebüsst worden, weil sie sich 2008 geweigert hatten, ihre Töchter im Alter von damals neun und sieben Jahren in den gemischten obligatorischen Schulschwimmunterricht zu schicken. Der im Kindesalter aus der Türkei eingewanderte Vater der beiden Mädchen, heute schweizerisch-türkischer Doppelbürger, ist kein Unbekannter. 2010 sorgte er landesweit für Schlagzeilen, weil er als Sekretär der muslimischen Gemeinde Basel in einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens das Schlagen widerspenstiger Ehefrauen als richtig bezeichnet hatte.

Auf Linie des Bundesgerichts
Der EGMR erteilt in seinem am Dienstag publizierten, einstimmig gefällten Entscheid den muslimischen Eltern eine Absage. Er kommt zum Schluss, dass nicht deren Interesse an einer Dispensation aus religiösen Gründen vorgehe. Vielmehr seien die Interessen der beiden Mädchen vorrangig: Sie sollen am Schulunterricht vollständig teilnehmen und im Verband mit den Klassenkameraden das Schwimmen praktizieren dürfen. Auf diese Weise sollen sich die Kinder sozial integrieren können. Die Strassburger Richter weisen darauf hin, dass die Schulbehörde den Eltern weit entgegengekommen ist, indem den Mädchen das Tragen eines Burkinis offeriert wurde; auch verfügte das Schwimmbad über geschlechtergetrennte Umkleide- und Duschräume.

Das klare Strassburger Verdikt ist insofern wichtig, als es den Kantonen, die religiös begründeten Sonderwünschen an den Volksschulunterricht nicht nachgeben wollen und auf der schulischen Integration der Kinder bestehen, den Rücken stärkt. Das Urteil liegt auch auf der seit 2008 verschärften Rechtsprechung des Bundesgerichts: Demnach geht die Teilnahme am obligatorischen Schulunterricht der Beachtung religiöser Gebote einzelner Bevölkerungsteile grundsätzlich vor. Kinder aus allen Kulturen müssten in die in der Schweiz geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingebunden werden, so die höchstrichterliche Haltung. Insbesondere gelte es zu vermeiden, dass Kinder islamischen Glaubens bereits auf der Schulstufe in eine Aussenseiterrolle gedrängt würden.

Integrationspflicht für Muslime
Anders gesagt: Muslime trifft, wie alle anderen auch, eine Integrationspflicht, sie müssen eine Anpassung ihrer Lebensgewohnheiten akzeptieren, ihre Kinder sollen sozial eingebunden werden. Entsprechend bestätigte das Bundesgericht 2012 die vom Basler Erziehungsdepartement verhängte Ordnungsbusse gegen das muslimische Elternpaar und deren Pflicht, die Kinder in den obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zu schicken.

Abgesehen vom Schwimmunterricht musste das Bundesgericht in der Vergangenheit auch zu anderen Fragen von Schulunterricht und Religion Stellung nehmen. Bei religiös motivierten Dispensationen von einzelnen obligatorischen Schulfächern zeigt es sich generell sehr zurückhaltend: So sprach es sich etwa 2014 dagegen aus, ein Kind unter Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit seiner Eltern vom Aufklärungsunterricht zu dispensieren. Verständnis hat die Lausanner Instanz dagegen, wenn ein Kind an religiösen Feiertagen, etwa am Sabbat, einen freien Tag verlangt. Gleichzeitig will das Bundesgericht nicht alles Religiöse in den privaten Bereich verdrängen. So haben hiesige Schüler das Recht, religiöse Symbole oder Kleidung zu tragen, wie etwa das islamische Kopftuch.
Urteil 29086/12.


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