Der obligatorische Schwimmunterricht für muslimische Schüler stellt
keine Verletzung der Religionsfreiheit dar. Das sagt der Menschenrechtsgerichtshof
und weist eine Beschwerde muslimischer Eltern gegen die Schweiz ab.
Wer Kinder vom Schwimmunterricht fernhält, behindert deren soziale Integration, urteilen die Strassburger Richter. Bild: KeystoneAuch Muslime sollen schwimmen, NZZ, 11.1. von Katharina Fontana |
Es ist ein Urteil, das nicht überrascht, doch wäre es anders
herausgekommen, hätte es ein fatales Signal gesetzt. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lehnt die Beschwerde eines muslimischen
Elternpaars aus Basel ab, das der Schweiz eine Verletzung seiner
Glaubensfreiheit vorwirft. Die Eltern waren 2010 vom Basler
Erziehungsdepartement mit 1400 Franken gebüsst worden, weil sie sich 2008
geweigert hatten, ihre Töchter im Alter von damals neun und sieben Jahren in
den gemischten obligatorischen Schulschwimmunterricht zu schicken. Der im
Kindesalter aus der Türkei eingewanderte Vater der beiden Mädchen, heute
schweizerisch-türkischer Doppelbürger, ist kein Unbekannter. 2010 sorgte er
landesweit für Schlagzeilen, weil er als Sekretär der muslimischen Gemeinde
Basel in einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens das Schlagen
widerspenstiger Ehefrauen als richtig bezeichnet hatte.
Auf Linie des Bundesgerichts
Der EGMR erteilt in seinem am Dienstag publizierten, einstimmig
gefällten Entscheid den muslimischen Eltern eine Absage. Er kommt zum Schluss,
dass nicht deren Interesse an einer Dispensation aus religiösen Gründen
vorgehe. Vielmehr seien die Interessen der beiden Mädchen vorrangig: Sie sollen
am Schulunterricht vollständig teilnehmen und im Verband mit den
Klassenkameraden das Schwimmen praktizieren dürfen. Auf diese Weise sollen sich
die Kinder sozial integrieren können. Die Strassburger Richter weisen darauf
hin, dass die Schulbehörde den Eltern weit entgegengekommen ist, indem den
Mädchen das Tragen eines Burkinis offeriert wurde; auch verfügte das Schwimmbad
über geschlechtergetrennte Umkleide- und Duschräume.
Das klare Strassburger Verdikt ist insofern wichtig, als es den
Kantonen, die religiös begründeten Sonderwünschen an den Volksschulunterricht
nicht nachgeben wollen und auf der schulischen Integration der Kinder bestehen,
den Rücken stärkt. Das Urteil liegt auch auf der seit 2008 verschärften
Rechtsprechung des Bundesgerichts: Demnach geht die Teilnahme am
obligatorischen Schulunterricht der Beachtung religiöser Gebote einzelner
Bevölkerungsteile grundsätzlich vor. Kinder aus allen Kulturen müssten in die
in der Schweiz geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingebunden
werden, so die höchstrichterliche Haltung. Insbesondere gelte es zu vermeiden,
dass Kinder islamischen Glaubens bereits auf der Schulstufe in eine
Aussenseiterrolle gedrängt würden.
Integrationspflicht für Muslime
Anders gesagt: Muslime trifft, wie alle anderen auch, eine
Integrationspflicht, sie müssen eine Anpassung ihrer Lebensgewohnheiten
akzeptieren, ihre Kinder sollen sozial eingebunden werden. Entsprechend
bestätigte das Bundesgericht 2012 die vom Basler Erziehungsdepartement
verhängte Ordnungsbusse gegen das muslimische Elternpaar und deren Pflicht, die
Kinder in den obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zu
schicken.
Abgesehen vom Schwimmunterricht musste das Bundesgericht in der
Vergangenheit auch zu anderen Fragen von Schulunterricht und Religion Stellung
nehmen. Bei religiös motivierten Dispensationen von einzelnen obligatorischen
Schulfächern zeigt es sich generell sehr zurückhaltend: So sprach es sich etwa
2014 dagegen aus, ein Kind unter Berufung auf die Glaubens- und
Gewissensfreiheit seiner Eltern vom Aufklärungsunterricht zu dispensieren.
Verständnis hat die Lausanner Instanz dagegen, wenn ein Kind an religiösen
Feiertagen, etwa am Sabbat, einen freien Tag verlangt. Gleichzeitig will das
Bundesgericht nicht alles Religiöse in den privaten Bereich verdrängen. So
haben hiesige Schüler das Recht, religiöse Symbole oder Kleidung zu tragen, wie
etwa das islamische Kopftuch.
Urteil 29086/12.
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