Ein Basler geht, eine Zürcherin kommt: Silvia Steiner übernimmt als
erste Zürcherin seit Alfred Gilgen das Präsidium der
Erziehungsdirektorenkonferenz. Sie setzt auf Konsens, aber auch auf den
Lehrplan 21 und zwei Fremdsprachen auf Primarstufe.
"Ich bin eine überzeugte Föderalistin", NZZ, 18.1. von Marc Tribelhorn und Walter Bernet
Frau Steiner, die EDK ist ein demokratisch wenig legitimiertes
Steuerungsmittel zwischen den Kantonen und dem Bund. Können Sie als neue
Präsidentin überhaupt etwas bewegen?
Die EDK ist rechtsstaatlich abgestützt und demokratisch legitimiert. Sie
ist ein Kollektivgremium, das bezüglich Harmonisierung der Bildung bereits viel
erreicht hat. Als überzeugte Föderalistin werde ich dort vor allem moderieren,
damit wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Es braucht zwar einheitliche
Lösungen, aber selbstverständlich muss es weiterhin möglich sein, dass die
Kantone in der Volksschule ihre unterschiedlichen kulturellen Eigenheiten
pflegen.
Es ist doch eine Illusion, zu glauben, dass die Kantone in Zeiten von
nationalen und internationalen Bildungsstandards und -monitorings autonom
schalten und walten können.
Das sind Instrumentarien, die die Harmonisierung der Bildungsziele
sicherstellen und die Überprüfung der Qualität der Volksschule ermöglichen. Was
die Kantone für Schlüsse daraus ziehen, entscheiden sie noch immer alleine. Und
überhaupt: Wo ist das Problem, wenn wir etwas zentralistisch regeln, was
ohnehin alle Kantone befürworten?
Ihr Vorgänger, Christoph Eymann, hatte mit viel Gegenwind zu kämpfen.
Wie wollen Sie mehr Akzeptanz schaffen?
Genau gleich, wie Christoph Eymann es gemacht hat. Mit Transparenz. Ich
höre immer wieder den unberechtigten Vorwurf, die EDK sei ein bürokratischer
Moloch. Es braucht deshalb noch mehr Aufklärungsarbeit.
Treten Sie das Amt also mit einer Vision an?
Ich will nicht alles umkrempeln. Ich stehe hinter dem
EDK-Tätigkeitsprogramm, möchte aber in einzelnen Bereichen Akzente setzen, zum
Beispiel bei der frühen Förderung, der Digitalisierung und der Berufsmaturität.
Ganz wichtig ist mir, dass die verschiedenen Bildungsstufen vom Kindergarten
bis zur Hochschule nicht isoliert betrachtet, sondern ganzheitlich und vernetzt
gedacht werden.
Gehen Sie als Zürcherin besonders behutsam vor?
Als Vertreterin eines grossen Kantons hat man immer eine spezielle
Stellung, mit der man behutsam umgehen sollte. Wenn es aber einen
Anti-Zürich-Reflex gäbe, wäre ich kaum gewählt worden. Zürich ist eine Art
Suisse miniature: Im Kanton Zürich haben wir alle Bildungsinstitutionen, eine starke
demografische Durchmischung, städtische und ländliche Gebiete. Ich verstehe
deshalb, welche Bedürfnisse die anderen Kantone haben.
EDK-Generalsekretär Hans Ambühl, die graue Eminenz der schweizerischen
Bildungslandschaft, geht demnächst in Pension. Wie schliessen Sie diese Lücke?
Hans Ambühl hat sehr viel geleistet für die EDK. Mit seiner
Nachfolgerin, Susanne Hardmeier, der jetzigen Stellvertreterin, ist die
Kontinuität sichergestellt. Sie hat viel Erfahrung und kennt die
Bildungslandschaft bestens. Das gibt eine neue Optik, neue Fragestellungen,
eine neue Dynamik.
Erstmals steht damit ein weibliches Doppel an der Spitze der EDK – ein
Vorteil?
Es ist ein Zufall, mehr nicht.
Können Sie mit der personellen Erneuerung die Wogen glätten, welche die
Herren Eymann und Ambühl mit dem Lehrplan 21 ausgelöst haben?
Die Debatte über den Lehrplan 21 ist in den letzten Jahren besonders
hart geführt worden. Der Lehrplan 21 ist aber kein Projekt der EDK national,
sondern der Deutschschweizer Kantone. Diese haben zusammen entschieden, einen
sprachregionalen Lehrplan zu erarbeiten. Das hat nichts mit dem ehemaligen
Präsidenten und dem Generalsekretär der EDK zu tun. Die beiden haben nur
betont, dass der Lehrplan 21 wichtig und richtig sei. Das ist auch meine
Haltung. Ich stehe ein für einen konsequent kompetenzorientierten Unterricht
und für zwei Fremdsprachen auf Primarstufe.
Es ist unbestritten, dass der Ertrag des frühen Fremdsprachenunterrichts
bescheiden ist. Müsste nicht eher der Sprachaustausch intensiviert werden?
Ich bestreite, dass der Ertrag so gering ist. Aber während der
obligatorischen Schulzeit können wir nur die Basis legen. Wer eine Fremdsprache
richtig lernen will, muss nach der Schulzeit für längere Zeit in das jeweilige
Gebiet reisen. Beim Englisch ist das heute selbstverständlich, weshalb beim
Französisch nicht mehr? Aber klar: Die schulischen Austausche müssen
intensiviert werden. Es geht dabei ja nicht nur um das Lernen der anderen
Landessprache, sondern auch um das kulturelle Verständnis.
In der Fremdsprachenfrage bleibt die politische Lage angespannt. Im Mai
wird in Ihrem Kanton über eine Initiative abgestimmt, die nur noch eine
Fremdsprache in der Primarstufe verankern will. Ist Ihnen schon angst und
bange?
Ich habe Respekt, bin aber zuversichtlich. Die Stimmbevölkerung im
Kanton Zürich hat schon einmal klar für zwei Fremdsprachen votiert. Zudem
glaube ich nicht, dass eine Mehrheit den Englischunterricht aus der
Primarschule verbannen möchte. Die Initianten sagen ja nicht, welche
Fremdsprache gestrichen werden müsste. Eine Abschaffung von Französisch in der
Primarschule steht ohnehin nicht zur Diskussion. Darauf würde der Bundesrat mit
dem Sprachengesetz reagieren.
Es wäre kein gutes Zeichen, wenn Sie als EDK-Präsidentin aus Harmos
aussteigen müssten . . .
Das ist so. Es wäre aber kein Ausstieg aus Harmos, sondern es würde ein
Eckwert nicht erfüllt. Dass die Kantone die Ziele harmonisieren – auch beim
Sprachunterricht –, steht übrigens in der Bundesverfassung. Aber ich bleibe
optimistisch. Auch was die Umsetzung des Lehrplans 21 betrifft.
Ist mit dem Lehrplan 21 das von der Bundesverfassung vorgegebene
Harmonisierungsziel erreicht?
Harmonisierung ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Genauso wie
Schule und Gesellschaft sich verändern, wird auch der Harmonisierungsprozess
nie abgeschlossen sein. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem ständigen
Veränderungsprozess. Ich denke zum Beispiel an das Thema Digitalisierung, das
uns in Zukunft sehr stark beschäftigen wird.
Das Stöhnen in der Volksschule über den permanenten Reformdruck wird
also weitergehen . . .
Ich bewundere die Lehrpersonen, wie sie mit dem dynamischen Schulfeld
umgehen. Alles ist im Wandel, nicht nur die Methodik, sondern auch die
Ansprüche, die etwa von der Wirtschaft an die Schule herangetragen werden. Die
Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer werden gross bleiben. Was man nicht
vergessen sollte: Die Reformen, die wir kantonal aufgleisen, sind immer
Antworten auf die Veränderungen in der Gesellschaft und auf die Anforderungen
im Schulzimmer.
Der Vorwurf der «Reformitis» ist demnach unbegründet?
Wir haben in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich grosse Umwälzungen
gehabt. Mich stört aber die Klage über den «Reformwahn» und die
«Bürokratisierung» der Bildung, welche die Lehrpersonen vermeintlich von der
Arbeit abhalten. Heute muss in allen Lebensbereichen viel mehr dokumentiert
werden als früher. Die Eltern, die Schulpflege, die Politik sind viel
kritischer und verlangen von den Lehrpersonen vermehrt Rechenschaft.
Es hat sich eine regelrechte Vermessungsindustrie etabliert, die Bildung
vergleichbar machen will, etwa mit einheitlichen Tests. Stichwort Pisa.
Das kann man sehr wohl kritisch sehen. Aber es ist zum Beispiel der
politische Wille, dass wir bei Pisa dabei sind. Die Resultate von 2015 sind aus
Sicht der EDK nur bedingt erklärbar. Wir haben viele Fragezeichen, gerade was
die neue Methodik betrifft.
Pisa hat immerhin gezeigt, dass die Risikogruppe von Kindern, die am
Ende der Schulzeit nicht einmal elementare Kenntnisse haben, in den letzten
Jahren konstant hoch geblieben ist.
Das hat nicht Pisa aufgedeckt, das wussten wir schon durch unsere
Lernstandserhebungen. Es ist ein Fakt, dass rund 20 Prozent der Kinder und
Jugendlichen nicht mitkommen, egal in welchem Schulsystem. Das Ziel muss sein,
dass diese Jugendlichen doch noch einen Abschluss machen und ihren Platz in der
Gesellschaft finden. Die Gründe für die Schulschwäche sind allerdings sehr
heterogen.
Ein anderes Thema, das die Lehrpersonen sehr beschäftigt, ist die
integrative Schule, in der alle Kinder innerhalb der gleichen Regelstruktur
unterrichtet werden. Muss dieses umstrittene System national koordiniert
werden?
Die EDK hat bereits das Konkordat für Sonderpädagogik verabschiedet und
darin festgelegt, wo Koordinationsbedarf besteht. Zudem haben wir nationale
Gesetze wie das Behindertengesetz, die verbindlich sind. Auch wenn viel geklagt
wird, stelle ich fest: Die integrative Schule ist ein Erfolgsmodell. Keine
andere Institution in unserer Gesellschaft integriert so umfassend wie die
Volksschule. Auf diese Leistung, die täglich in den Schulzimmern von den
Lehrerinnen und Lehrern erbracht wird, dürfen wir stolz sein.
Kommen wir noch zum Gymnasium. Zwischen den Kantonen bestehen bezüglich
der Maturaquote riesige Unterschiede, etwa zwischen Genf und Schaffhausen. Wie
kann das sein?
Das ist das Ergebnis kultureller Unterschiede. Die Berufslehre ist zum
Beispiel in der Romandie etwas weniger verbreitet als in der Deutschschweiz.
Und so gross ist die Diskrepanz auch wieder nicht, betrachtet man alle
Maturatypen. Meiner Meinung nach sollte die Quote der gymnasialen Matur bei
etwa 20 Prozent liegen, zusammen mit der Berufsmatur bei 40 Prozent. Unser
duales Bildungssystem bietet viele alternative Wege, um später noch eine Matur
zu machen.
Ist das nicht ungerecht? Im einen Kanton können viel mehr Kinder und
Jugendliche das Gymnasium besuchen als im anderen.
Im Vordergrund steht die Studierfähigkeit der Maturanden. Alle müssen am
Schluss die gleichen Anforderungen erfüllen, das ist für mich entscheidend.
Müsste man denn konsequenterweise nicht national vereinheitlichen und
eine zentrale Maturaprüfung einführen?
Gemeinsame Leitlinien braucht es ohne Zweifel. Eine vereinheitlichte
Maturaprüfung sollte man aber nicht vorschnell und ohne Not fordern. Unsere
Lehrpersonen wollen individuell unterrichten und sich nicht auf das vorgegebene
Niveau einer vereinheitlichten Prüfung beschränken.
Interview: Marc Tribelhorn, Walter Bernet
Das ist ja interessant: Frau Steiner empfindet es nicht als inkompatibel mit Harmos, wenn an der Primar nur noch eine Fremdsprache unterrichtet würde. "Es wäre aber kein Ausstieg aus Harmos, sondern es würde ein Eckwert nicht erfüllt. Dass die Kantone die Ziele harmonisieren – auch beim Sprachunterricht –, steht übrigens in der Bundesverfassung." Also alles gar nicht so schlimm!
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