Die Zahl der Handy-Delikte von
Teenagern wächst. Jetzt zeigt eine Erhebung: Männliche Jugendliche verbreiten
im Netz eher Pornografie, weibliche eher Beleidigungen.
Jugendliche machen sich kaum Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns. Bild: Getty Images
Sex-Filme im Klassen-Chat, NZZaS, 8.1.von Lukas Häuptli
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Es war ein Klassen-Chat, wie es sie zu
Tausenden gibt. Ein Chat, an dem Schüler und Schülerinnen einer Klasse via
Handy mitmachen und in dem sie sich über Hausaufgaben und Prüfungen, aber auch
über Partys und Konzerte austauschen. Im besagten Klassen-Chat tauchten allerdings
plötzlich auch Fotos und Videos mit Pornografie und Gewaltdarstellungen auf.
Manche waren harmlos, manche nicht: Auf einem Film trennte sich ein Mann vor
laufender Kamera die Genitalien ab. Die Schüler und Schülerinnen des Chats
waren noch nicht 16-jährig.
Gegen den Jugendlichen, der die
Aufnahmen in den Klassen-Chat gestellt hatte, wurde ein Strafverfahren
eingeleitet. Es war und ist nicht das einzige: Die Jugendanwaltschaften führen
mittlerweile gegen Dutzende Jugendliche Verfahren wegen verbotener Pornografie.
Allein im Kanton Zürich waren es von 2013 bis 2015 deren 205; in den drei
Jahren davor waren es erst 26 gewesen. Das geht aus einer Erhebung hervor,
welche die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich in der zweiten Hälfte 2016
gemacht hat.
Die Lust am Provozieren
Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kanton
Aargau: Die dortige Jugendanwaltschaft hatte 2015 gegen 28 Jugendliche
Strafverfahren wegen verbotener Pornografie geführt. Letztes Jahr waren es
bereits 58. «Wir gehen davon aus, dass es daneben eine grosse Dunkelziffer gibt
und dass diese Verfehlungen zunehmen», sagt Hans Melliger, Leiter der Aargauer
Jugendanwaltschaft. Andere Jugendanwaltschaften bestätigen diese Entwicklung.
Die meisten führen allerdings keine Statistiken zu einzelnen Delikten.
«Je mehr problematische Inhalte im Netz
verfügbar sind, desto grösser dürfte die Gefahr der missbräuchlichen Nutzung
sein», sagt dazu Patrik Killer, Leiter der Jugendanwaltschaft Zürich-Stadt. Er
ist zusammen mit Sarah Reimann von der Oberjugendanwaltschaft für die Erhebung
verantwortlich. «Viele Jugendliche begehen Pornografie-Delikte aus einer
Mischung aus Langeweile, Mangel an Selbstkontrolle und Lust am Provozieren»,
erklärt er weiter. Oft spielten auch der Gruppendruck sowie das Heischen nach Aufmerksamkeit
und Anerkennung eine Rolle. «Fast allen Fällen gemeinsam ist aber, dass sich
die Jugendlichen kaum Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns machen.»
Verena Schmid von der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt ergänzt: «Wir
haben die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen sehr gut vernetzt sind und
entsprechende Videos sehr schnell im ganzen Bekanntenkreis zirkulieren. Das
stellt für die Opfer eine grosse Belastung dar.»
Die Zürcher Erhebung zeigt nicht nur,
welche Pornografie-Delikte die Jugendlichen auf ihren Handys begehen, sondern
auch, wie sie sie begehen. In fast fünfzig Prozent der Fälle stellten die
Jugendlichen Porno-Videos in Chats. In rund zwanzig Prozent wurden Sex-Fotos
und -Videos gegen den Willen der Betroffenen veröffentlicht, und in weiteren
rund zwanzig Prozent drehten Jugendliche selbst Videos mit sexuellen
Handlungen. All das stellt das Schweizer Jugendstrafrecht unter Strafe.
Was die Erhebung auch zeigt: Mehr als
drei Viertel der Pornografie-Delikte wurden von männlichen Jugendlichen
begangen. Ganz anders verhält es sich bei Ehrverletzungs-Delikten; auch sie
werden mehrheitlich per Handy und an Computern begangen. Hier waren mehr als
fünfzig Prozent der Delinquierenden weibliche Jugendliche.
Die Jugendanwaltschaften des Kantons
Zürich haben zwischen 2013 und 2015 total 171 Strafverfahren wegen
Ehrverletzungs-Delikten geführt; bei mehr als hundert erfolgten sie per Handy
oder am Computer, vor allem per Textnachrichten, in sozialen Netzwerken oder
auf Internet-Seiten.
«Bin leicht zu haben»
«Die Beschimpfungen und Beleidigungen
im Netz sind in manchen Fällen schon sehr heftig», sagt Patrik Killer dazu. So
hätten Jugendliche in mehreren Fällen auf Dating-Plattformen falsche Profile
von anderen Jugendlichen erstellt. Auf diesen Profilen fänden sich dann jeweils
beleidigende oder anzügliche Aussagen wie «Bin leicht zu haben».
«Unter den Motiven dafür, dass
weibliche Jugendliche Ehrverletzungen begehen, findet sich fast immer
Eifersucht», erklärt Killer weiter. Die Verleumdungen und Beschimpfungen hätten
weitreichende Folgen. «Den Jugendlichen ist oft nicht bewusst, dass das
Internet kaum vergisst.»
In vielen Fällen von Handy-Delikten
erstatten Eltern und Lehrer der geschädigten Jugendlichen Strafanzeige. Am
Schluss der entsprechenden Verfahren steht oft eine sogenannt persönliche
Leistung, wie sie das Jugendstrafgesetz vorsieht. Diese besteht häufig darin,
dass Täter und Täterinnen an Medienkursen teilnehmen müssen, in denen sie im
Umgang mit Medien geschult werden. In derartigen Fällen werden die Vergehen
nicht ins Strafregister eingetragen. «Bei diesen Tätern handelt es sich in
aller Regel um Einmal-Täter», sagt Killer. «Es geht darum, dass sie die Lehren
aus den Delikten ziehen.»
Das Strafgesetz verbietet verschiedene
Formen von Pornografie, unter anderem solche mit Minderjährigen,
Gewalttätigkeiten und Tieren. Daneben wird bestraft, wer Pornografie
Jugendlichen unter 16 Jahren zugänglich macht – was im eingangs erwähnten Fall
der Sex-Filme und Sex-Fotos im Klassen-Chat geschah.
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