Keine Initiative gegen den Lehrplan 21 ging bisher so weit wie jene im Aargau. Doch die Abstimmung im Februar ist erst der Anfang: Die Gegner des Reformprojekts formieren sich neu.
Der neue Kampf der Lehrplan-Gegner, Tages Anzeiger, 25.1. von Raphaela Birrer
Die Rede ist von
«Erpressung», «Lügnern» und «Experimenten mit Kindern»: Es ist ein gehässiger
Kampf, der zurzeit im Aargau ausgetragen wird. Der Kanton stimmt am 12. Februar
über eine Initiative gegen den Lehrplan
21 ab
– und die politischen Kontrahenten schenken sich nichts. Denn es geht um viel:
So soll zum Beispiel ein fixer Fächerkatalog ins Gesetz geschrieben werden.
Dieser schliesst in der Primarschule eine zweite Fremdsprache sowie Technik,
Medien oder Informatik aus – Bereiche also, die mit dem Lehrplan 21 Einzug in
die Schulzimmer halten. Zudem soll es einen Rahmenlehrplan für den Kindergarten
und Jahresziele für die Schule geben. Beides widerspricht dem
klassenübergreifenden Zyklen-Modell im Lehrplan 21.
Damit geht die Aargauer Initiative deutlich weiter als die
Volksbegehren, die letztes Jahr in anderen Kantonen an die Urne kamen. Bisher
wollten die Gegner die Kompetenz über den Lehrplan meist vom Regierungsrat zum
Parlament verschieben, um die politische Kontrolle über das Reformprojekt zu
erhöhen. Doch davon wollte das Volk nirgends etwas wissen: weder im Thurgau (75
Prozent Nein-Stimmen-Anteil) noch in Schaffhausen (69 Prozent), Appenzell
Innerrhoden (Landsgemeinde) oder Baselland (53 Prozent). In St. Gallen wurde
zudem eine Initiative zum Ausstieg aus dem Harmos-Konkordat mit 70 Prozent
Nein-Stimmen deutlich abgelehnt; das Fernziel der Urheber war die Verhinderung
des Lehrplans 21.
Der Unterschied
Obwohl die Lehrplangegner bislang überall gescheitert sind, ist
die Nervosität im Aargau gross: «Durch die Hintertür soll in der Primarschule
die zweite Fremdsprache abgeschafft werden», sagt Thomas Leitch, SP-Grossrat
und Co-Präsident des gegnerischen Komitees. Ein Alleingang seines Kantons hätte
Probleme für die Lehrerausbildung an der gemeinsamen Fachhochschule der
Nordwestschweiz zur Folge, gibt der Sekundarlehrer zu bedenken. «Doch die
Initianten verbreiten Unwahrheiten und versuchen, die Bevölkerung gegen die
Behörden aufzubringen. Ein Ja ist darum möglich», so Leitch.
Die Erfolgschancen beurteilt Elfy Roca vom Initiativkomitee
gleich: «Wir sind sehr optimistisch. Es ist uns trotz massiver
Behördenpropaganda gelungen, eine Debatte über die Grundlagen der Volksschule
zu lancieren.» Bestrebungen zur Abschaffung der zweiten Fremdsprache gebe es
auch in anderen Kantonen, und in die gemeinsame Lehrerausbildung in der Region
komme wegen verschiedener Initiativprojekte ohnehin Bewegung, sagt die
Primarlehrerin und Heilpädagogin.
Tatsächlich wird sich das Volk in der Nordwestschweiz demnächst
mehrfach zum Lehrplan 21 äussern können; in Solothurn bereits am 21. Mai. Dabei
unterscheiden sich die anstehenden Initiativen in diesen Kantonen von jenen in
den Ostschweiz – und könnten darum zum Gradmesser für das weitere Vorgehen der
Lehrplangegner in der ganzen Deutschschweiz werden.
Die Strategie: Das Volk soll nicht nur über die politische
Zuständigkeit für den Lehrplan entscheiden, sondern über dessen konkrete
Eckwerte. Im Aargau sollen dazu genaue Vorgaben im Gesetz definiert werden. Und
in Solothurn sollen zum Beispiel Sammelfächer wie «Räume, Zeiten und
Gesellschaften» nicht mehr möglich sein. Dabei orientieren sich die Solothurner
Initianten an einer bereits erfolgreichen Volksinitiative aus dem Kanton
Baselland. Dort ist der Widerstand gegen die jüngsten Bildungsreformen
besonders gross: In den letzten fünf Jahren wurden 12 Volksinitiativen, drei
parlamentarische Initiativen sowie Dutzende weitere Vorstösse lanciert – häufig
geht es um einzelne inhaltliche Aspekte des Lehrplans 21.
Dahinter steht ein koordiniertes Vorgehen des parteiunabhängigen
Komitees Starke Schule Baselland. «Mehrere Vorstösse zum gleichen Anliegen
steigern die Erfolgschancen», sagt Geschäftsleiterin Saskia Olsson. Und:
«Anders als die Komitees in anderen Kantonen bekämpfen wir den Lehrplan 21
nicht als Ganzes, sondern biegen ihn zurecht. Das gelang uns bisher erstaunlich
gut.» Als Nächstes kommt in Baselland eine Initiative an die Urne, die
Stoffinhalte und Themen anstatt Kompetenzen im Lehrplan fordert.
Neue Initiativen werden
vorbereitet
Die Strategie der Nordwestschweizer finden auch Komitees in
anderen Kantonen erfolgversprechend, wie eine Umfrage von
Tagesanzeiger.ch/Newsnet zeigt. Zuerst stehen nun Urnengänge in Zürich, Bern
und Luzern an. Dort lautet die Forderung unter anderem, die Lehrpläne vors Volk
zu bringen. Doch im Hintergrund läuft noch viel mehr: In den
«Verlierer»-Kantonen der Ostschweiz sowie in Zug, Schwyz und Basel-Stadt
formiert sich der Widerstand neu. Neue Initiativen werden bereits vorbereitet –
und die Richtschnur sind die inhaltlichen Diskussionen über den Lehrplan in der
Nordwestschweiz.
«Man darf mit uns rechnen», sagt etwa Irene Herzog-Feusi vom
Schwyzer Komitee gegen den Lehrplan 21. Nachdem die erste Initiative letztes
Jahr vom Bundesgericht für ungültig erklärt worden ist, trifft sich ihr Komitee
aus Lehrern und Eltern nun jede Woche, um die verschiedenen Volksschulgesetze
der Kantone zu studieren. Das Ziel: «Wir wollen einen schlanken Gesetzeskern
definieren, der kantonsübergreifend gelten könnte. Die restlichen Bestimmungen
sollen von den unnötigen Bildungsreformen bereinigt werden.» Und Herzog-Feusi
spricht für alle Lehrplangegner in der Deutschschweiz, wenn sie sagt: «So
schnell geben wir nicht auf.»
Die Stimmbürger haben 2006 mit dem Bildungsartikel für eine Harmonisierung mit Eckwerten und nicht für einen top down Einheitslehrplan gestimmt. Die D-EDK hat sich nicht an diese verfassungsmässige Vorgabe gehalten, deshalb muss der Souverän nun mit den Volksinitiativen die direkte Demokratie im Bildungswesen wieder herstellen. Die "Grundlagen für den Lehrplan 21" der D-EDK von 2010, die für alle Kantone gleich sind, werden von den LP21-Befürwortern verschwiegen. Unser bewährtes Schulsystem mit der "OECD-Kompetenzorientierung" (nach Weinert) auf "selbstgesteuert" umgebaut werden.
AntwortenLöschenDer zentrale Punkt bei der Lehrplan 21-Reform ist die „Kompetenzorientierung“ mit dem "selbstgesteuerten Lernen", bei dem der Klassenunterricht verunmöglicht und der qualifizierte Lehrer aus dem Lernprozess gedrängt wird. Das "selbstgesteuerte Lernen" wird als "Wochenplan"-Methode seit 1990 in immer mehr Schulen eingeführt. Die alleine lernenden Schüler brauchen mehr als doppelt so viel Zeit wie beim bewährten Klassenunterricht. Alle OECD-Staaten, die diese "Kompetenzorientierung" – wie Finnland - eingeführt haben sind nach ein paar Jahren im Pisa-Vergleich massiv abgestürzt. Von 1200 Aargauer Primar- bis Mittelschullehrer lehnen rund 70% das "selbstgesteuerte Lernen" ab.