10. Januar 2017

Musliminnen müssen in Schwimmunterricht

Obligatorischer Schwimmunterricht verletzt die Religionsfreiheit nicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt der Schweiz im Fall von zwei Schülerinnen aus Basel recht.
Eltern aus Basel wehrten sich dagegen, ihre Töchter zum gemischten Schwimmunterricht zu schicken, Bild: Rolf Haid
Musliminnen müssen in Schwimmunterricht, Bund, 10.1.

Indem die Schweizer Behörden den Besuch des gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts für zwei muslimische Mädchen für obligatorisch erklärten, haben sie die Religionsfreiheit der Betroffenen nicht verletzt. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) betrifft den Fall einer in Basel wohnhaften Familie. Die sieben und neun Jahre alten Mädchen besuchten dort im August 2008 eine Primarschule. Dem obligatorischen Schwimmunterricht blieben sie jedoch fern. Gespräche mit den Eltern, welche die Schweizer und die türkische Staatsbürgerschaft haben, fruchteten nicht.

Eltern gebüsst
Das Erziehungsdepartement büsste die Eltern deshalb im Juli 2010 mit je 700 Franken – pro Tochter mit 350 Franken. Die schweizerischen Rekurs- und Beschwerdeinstanzen wiesen die dagegen eingelegten Rechtsmittel ab. So gelangten die Eltern an den EGMR.
Dieser hält in seinem am Dienstag publizierten Urteil fest, dass das Interesse an der Integration der beiden Kinder und damit am Besuch sämtlicher schulischer Fächer höher zu gewichten sei als die privaten Interessen der Eltern, die eine Dispens aus religiösen Gründen gewünscht hatten.

Gemäss Gerichtshof geht es beim Schwimmunterricht nicht nur um das Erlernen des Schwimmens, sondern auch um das gemeinsame Lernen im Klassenverband und damit um die soziale Komponente. Zudem sei es den Mädchen erlaubt worden, Burkinis zu tragen.

Strenge Glaubensregel
Die Eltern hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit ihnen ein Recht auf Dispensation ihrer beiden Töchter vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht gewähre.

Sie seien deshalb nicht verpflichtet gewesen, ihre Kinder in diesen Unterricht zu schicken. Somit hätten sie auch ihre Pflicht als Eltern nicht verletzt, und die Ordnungsbusse hätte deshalb nicht ausgesprochen werden dürfen.

Die Eltern machten geltend, dass sie sich zu einem strengen muslimischen Glauben bekennen würden. Dieser verbiete einen gemeinsamen Schwimmunterricht von Knaben und Mädchen.

Zwar verlange der Koran die Bedeckung des weiblichen Körpers erst ab der Zeit der Geschlechtsreife. Jedoch untersage eine islamisch orientierte Schamerziehung einen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht schon vorher.

Rechtsprechung 2008 geändert
Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil im März 2012 fest, die Befolgung der besagten Glaubensregel falle unter den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Allerdings berühre das Obligatorium nicht den Kernbereich des Grundrechts.

Es führte aus, dass aufgrund des vorliegenden Falls kein Anlass bestehe, die im Oktober 2008 festgelegte Rechtsprechung zu ändern. Das Bundesgericht hielt damals fest, dass die multikulturelle Schulrealität verlange, dass Kinder aus allen Kulturen in die in der Schweiz geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingebunden würden.

Dies sei eine Bedingung, um später am wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen, um die Chancengleichheit zu garantieren und den sozialen Frieden zu sichern. Diese Sicht stützt der EGMR.

Von Ausländern dürfe und müsse erwartet werden, dass sie zum Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung bereit seien und die hiesigen sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten akzeptierten.

Integration durch Schule
Das Bundesgericht hielt in seinem publizierten Entscheid zudem fest, dass der Schule eine wichtige Funktion bei der sozialen Integration zukomme. Die Schüler und Schülerinnen müssten deshalb die obligatorischen Fächer besuchen.

Im Gegenzug müsse die Schule weltanschaulich neutral und laizistisch sein. Im Rahmen der Bedeutung der Pflichtlektionen müsse eine Schule nicht für alle persönlichen Wünsche eine abweichende Sonderregelung vorsehen oder zulassen.

Basel-Stadt mit Urteil zufrieden
Der Kanton Basel-Stadt zeigt sich mit dem EGMR-Urteil zufrieden. Es bestätige die Haltung, die der Kanton sehr sorgfältig bei Kindern aller Religionszugehörigkeiten anwende, sagte der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann auf Anfrage. Basel-Stadt sehe die Volksschule als «Klammer um die gesamte Bevölkerung».

Erfreut zeigte sich Eymann im Weiteren, dass der EGMR explizit gelobt hat, dass den Kindern als Alternative das Tragen von Burkinis angeboten wurde. Zu Diskussionen komme es zudem nur in Einzelfällen. (Verfahrensnummer 29086/12) 


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