Eusebio
kämpft seit Jahren gegen die Einführung des Lehrplanes 21, zusammen mit einem
Team aktiver Gleichgesinnter. Es herrscht Einmütigkeit, der laufende Zustrom
weiterer Engagierter sorgt für gute Stimmung – dann kam die kalte Dusche aus
den Kantonen Thurgau und Schaffhausen nach den dort massiv verlorenen
Abstimmungen gegen den LP21.
Das Volk hat immer Recht! Wirklich? Medien-Panoptikum, 3.12. von Eusebio (Vorveröffentlichung)
Man
sollte inzwischen eigentlich gemerkt haben, meint Eusebio, dass der LP21 die
schlimmste Schulreform aller Zeiten einläutet. 2300 Kompetenzstufen, welche
Können statt Wissen vortäuschen, die klassischen Bildungsziele über Bord werfen
und trotzdem weiterhin Lesen Schreiben Rechnen und weitere Grundfähigkeiten
abbauen, seit Jahrzehnten herangewachsene Fächerstrukturen durch zeitgeistlich
geprägte unscharfe Themenbereiche ersetzen, angefüllt mit emotional und
gefühlsmässig aufgeladenen Kompetenzen, dazu angetan, ideologischen Einfluss
auf die Haltung der Heranwachsenden auszuüben, die Klassengemeinschaft mitsamt
ihrem Lehrer aufzulösen und in der Einsamkeit selbstgestalteter Lernumgebungen
veröden zu lassen – dies und weitere Fragwürdigkeiten allein nur deshalb, um
die angeblich komplexen Probleme unserer künftigen Gesellschaft bewältigen zu
können. Von Harmonisierung ist schon lange kaum mehr die Rede.
Eusebio
ist mit dieser Kritik nicht allein. Persönlichkeiten wie Hans Zbinden, Rudolf
Künzli, Remo Largo, Konrad Paul Liessmann, Urs Kalberer, Regula Stämpfli,
Andreas Büchi, Rolf Dubs, Benedikt Weibel, Mathias Binswanger, Walter Herzog,
Roland Reichenbach, Beat Kappeler, René Donzé, Alain Pichard und viele mehr
sehen es ähnlich. Dahinter stehen nicht nur pädagogische und staatsmännische
Gesichtspunkte; gesunder Menschenverstand reicht aus nach einem Blick in das
Monsterwerk. Man fragt sich dann zum Beispiel, weshalb Schülerinnen und Schüler
bloss die Bedeutung von Rechtschreiberegeln reflektieren müssen, anstatt
dieselben richtig anzuwenden. Aber solches sei für die Lösung künftiger
Gesellschaftsprobleme nicht mehr nötig, man habe ja Korrekturprogramme ...
Damit
wird auf einen der häufigsten und gleichzeitig doofsten Einwände der
Lehrplanturbos gegen Kritik verwiesen: Die Pädagogik aus dem letzten
Jahrhundert habe völlig ausgedient, weil unfähig, die komplexen Probleme der
künftigen Gesellschaft zu lösen. Dabei wird bewusst ein falsches Bild dieser
angeblich verstaubten Paukerschulen gezeichnet, bestehend aus stupidem
Auswendiglernen von Hauptstädten und langweiligen Monologen im
Frontalunterricht. Die Verunglimpfung und Lächerlichmachung der Vergangenheit
schlechthin wird im gleichen Atemzug auf die Menschen übertragen, welche dafür
einstehen, und nehmen bisweilen beinahe paranoide Züge an: sie seien
konservativ, rückständig, rückwärtsgewandt und verschwörungstheoretisch
infiziert.
Diese
Dialektik ist nicht neu. Sie fand schon immer Anwendung bei revolutionären
Umwälzungen, um Gegner der Besonnenheit mundtot zu machen. Der Lehrplan 21 kann
durchaus als revolutionär bezeichnet werden; die EDK kündigte ihn zu Beginn
auch so an. Heute bemüht sie sich um Schadensbegrenzung und verniedlicht das
Werk zum harmlosen Kompass, der sowieso nicht gelesen werde.
Neu
hingegen ist die unheilvolle Tendenz breiter Kreise, diese Taktik kritiklos zu
übernehmen und mitzuschreien im Umzug der zeitgeistbewegten Erneuerer, welche
damit dem Globalisierungs- und Digitalisierungsgespenst glauben begegnen zu
müssen. Sie verkennen die Tatsache, dass unser weltweit anerkannt gutes
Bildungsmodell mitverantwortlich ist für fast alles, was die Schweiz heute
ausmacht: Die einmalige Kombination von Wohlstand und Sicherheit in Freiheit!
Eine über weite Strecken unstrukturierte Ansammlung kleinkarierter und
zeitgeistlich geprägter Kompetenzen wird das Erbe unserer Volksschulen aus dem
letzten Jahrhundert nicht halten können, weil sie das bisherige Erfolgsrezept
über Bord wirft: Die Vermittlung von Bildung! Kompetenzen sind sicher
angebracht in der Berufsausbildung, auch in der späteren beruflichen und
persönlichen Ausprägung; die Grundlage für das Verstehen dieser Welt muss
jedoch schon in der Volksschule altersgerecht vermittelt werden. Bildung
verhilft zu jener flexiblen Überlegenheit, welche Voraussetzung ist für unsere
KMU-basierte Wirtschaft mit ihren zahlreichen Berufsolympiade-Medaillen, für
die führenden Ränge unserer Forschungs- und Entwicklungsanstalten wie auch für
das Funktionieren unserer direktdemokratischen Milizgesellschaft.
“Zukunft
braucht Herkunft” sollte eigentlich jedem denkenden Menschen geläufig sein; das
Zitat ist jedoch den Lehrplanturbos vermutlich schon deshalb suspekt, weil
seine Wurzeln in der Antike liegen. Dieselbe Grundhaltung mag bei der
Streichung des Faches Geschichte mitgespielt haben. Sie ignoriert die Tatsache,
dass nicht jede menschliche Entwicklung kurzfristigen Veränderungen unterliegt.
Dazu zählt mit Bestimmtheit der Prozess des Lernens, Reifens und Heranwachsens:
ein erbbiologisch gesteuerter Vorgang mit evolutionärem Ablaufdatum, der nicht
plötzlich von einem technologischen Durchbruch wie der Digitalisierung
weggewischt wird. Pestalozzi hat diesen Vorgang, fokussiert auf Bildung und
Erziehung, in die Formel “Kopf, Herz und Hand” gepackt – heute noch genauso
aktuell wie vor 200 Jahren. Er hat auch Eingang gefunden im gesetzlichen
Auftrag an die aargauischen Schulen. Der aargauische alt-Oberrichter Rudolf
Weber schreibt dazu in einem Essay:
Pestalozzi versteht Bildung als Menschen-,
Persönlichkeits- oder auch sittliche Bildung. Es geht dabei um die Bildung des
ganzen Menschen, um eine Pädagogik, welche nicht seine Verwendbarkeit, sondern
seine Menschlichkeit ins Zentrum stellt. In diesem Sinne erfüllt die Schule
eine doppelte Aufgabe: Einerseits hat sie die Kinder zum gesellschaftlichen
Leben zu befähigen, anderseits ihre Anlagen und Kräfte so zur Entfaltung zu
bringen, dass sie zu einer sittlichen Lebensgestaltung finden können.
Menschenbildung soll bei den Kindern echtes moralisches Verhalten entwickeln.
Mit der Dreiteilung der Bildung von Kopf, Herz und Hand bringt Pestalozzi seine
Auffassungen von Pädagogik auf den Punkt: Die Schule soll die heranwachsende
Generation auf die vor ihr liegenden Anforderungen so vorbereiten, dass sie
ihnen nicht nur hinsichtlich ihrer praktischen („Hand“) und intellektuellen
(„Kopf“) Fähigkeiten, sondern auch und in erster Linie als Mitmenschen und
verantwortliche Mitgestalter des Zusammenlebens („Herz“) gewachsen sind. Es
genügt dabei nicht, die Schüler zu unterrichten; vielmehr müssen sie erzogen
werden, damit sie ihr eigenes Leben im Sinne wahrer Bildung fruchtbar gestalten
können.
Diesen
Grundsatz, der ansatzweise seit dem ersten Schulgesetz von 1835 gilt, vermag
der Lehrplan 21 mit seinen Kompetenzlein nicht mehr zu erfüllen – zum Nachteil
von Volk, Staat und Wirtschaft. Am härtesten trifft es wohl die Schwächsten,
welche bis vor kurzem in der Realschule einen auf sie zugeschnittenen
Unterricht (“weniger Kopf, mehr Herz und Hand) gefunden hatten. Ausgerechnet
jene politische Seite, die sich stets für Chancengleichheit stark macht, steckt
diesbezüglich beim LP21 den Kopf in den Sand.
Das
wirklich schlimme an dieser Entwicklung jedoch ist die Tatsache, dass große
Teile unserer Stimmberechtigten den LP21 weder kennen noch hinterfragen, ja,
sich von geschürten Zukunftsängsten verunsichern lassen und naiv glauben, mit
“modernen Methoden und zeitgeistlichen Inhalten, die nur aus Können bestehen,
die digitale Zukunft 4.0 bewältigen zu können.” Dabei muss alles neu und anders
sein: Lehrplan, Methoden, Lehrerbildung, Controlling (Monitoring), Lehrmittel
... alles unter Ausklammerung jedweder pädagogischen Erfahrung auf die
Heranzüchtung eines ökonomisch effizienten Kunden ausgerichtet ... nur das Kind
bleibt, was es ist und mit ihm die Konstanten von Bildung und Erziehung seit
Pestalozzi.
Eusebio
glaubt einen Zusammenhang zu verspüren zwischen der heutigen, infolge
Digitalisierung & Co verunsicherten Gesellschaft und der blinden, aber
törichten Hinwendung zu unerprobten, kompetenz- und zeitgeistorientierten
Schulreformen als Heilsbringer. Es hat weniger mit Wertewandel als mit
Werteverlust zu tun und reicht bis hinauf zu einzelnen Bildungsdirektoren,
welche nicht mehr genau wissen, was Bildung eigentlich ist.
Halten
wir dagegen und mobilisieren unseren ganzen Freundes- und Bekanntenkreis für
die noch kommenden Volksabstimmungen. Im Aargau heisst dies ein Ja zur
Bildungsinitiative am 12. Februar.
Wohin die Pädagogik der Verwendbarkeit führen kann, zeigt folgendes schockierendes Beispiel:
AntwortenLöschenAuf die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland von 2011 folgt nun die Köderung von jungen Schulabbrechern zur „Freiwilligen“-Armee. Gibt das nicht Verhältnisse wie in den USA?
Wenn man das Bildungswesen mit der „Kompetenzorientierung“ herunterfährt, hat man nachher genügend „freiwillige“ Schulabbrecher, die sich als Zeitsoldaten verpflichten, um in der Armee den Abschluss nachzuholen, weil sie sonst nirgends unterkommen. Die Fremdsprachen können dann in Auslandeinsätzen vor Ort nachgeholt werden (!).
Die Umstellung des bewährten Bildungssystems auf „Kompetenzorientierung“ (nach Weinert/OECD, wie sie auch im Lehrplan 21 vorgesehen ist) im Jahre 2005 fällt nach 10 Jahren für einige Bundesländer in Deutschland vernichtend aus. Das bisherige «Musterländle» Baden-Württemberg stürzte 2015 mit der Fratton-«Gemeinschaftsschule» völlig ab.